Unternehmen

FDP fordert Ende des Acht-Stunden-Tages: Neue Debatte um Arbeitszeiten

In Deutschland ist die Arbeitszeiterfassung seit zwei Jahren Pflicht, aber konkrete gesetzliche Regelungen fehlen noch. Die FDP fordert zudem ein Ende des Acht-Stunden-Tags, um eine Wirtschaftswende zu fördern.
08.07.2024 12:49
Aktualisiert: 08.07.2024 12:49
Lesezeit: 3 min
FDP fordert Ende des Acht-Stunden-Tages: Neue Debatte um Arbeitszeiten
Ein Mitarbeiter erfasst seine Arbeitszeit digital an einem Terminal. (Foto: dpa) Foto: Sina Schuldt

Nach Jahren mit wenig Arbeitszeiterfassung, Kontrolle und Papierkram beim mobilem Arbeiten oder im Homeoffice kehrt eine Art digitale Stechuhr zurück. Arbeitszeiterfassung ist für Deutschlands Unternehmen, Büros und Verwaltungen Pflicht - diese Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts gilt seit zwei Jahren. Doch eine Reaktion des Gesetzgebers lässt bis heute auf sich warten. Stattdessen pocht die FDP auf ein Ende des Acht-Stunden-Tags - mit dem Ziel: Wirtschaftswende.

Was die höchsten deutschen Arbeitsrichter entschieden

Es besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, heißt es in dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts von September 2022 (1ABR 22/21). Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten mit dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019 und dem deutschen Arbeitsschutzgesetz.

Laut EuGH sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Sie soll helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten. Gewerkschafter argumentieren, die Kehrseite von Vertrauensarbeit seien großteils unbezahlte Überstunden. Gallner sagte in der Verhandlung: „Zeiterfassung ist auch Schutz vor Fremdausbeutung und Selbstausbeutung.“

Was im Arbeitsalltag gilt

Mit dem Beschluss zur Zeiterfassungspflicht sei das „Ob entschieden“, betont die BAG-Präsidentin. Das „Wie“ kann gesetzlich geklärt werden oder durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wie sie der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt sagt. „Wir haben herausgefunden, dass die Betriebsräte dafür ein Initiativrecht haben.“

Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz mussten vor der höchstrichterlichen Entscheidung nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das Bundesarbeitsgericht zog für seinen Beschluss nicht das Arbeitszeit-, sondern das Arbeitsschutzgesetz heran. Nach Paragraf 3 sind Arbeitgeber danach bereits verpflichtet, „ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann“. Schnell wurde über eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes gestritten, das definieren soll, wie die Arbeitszeiterfassung in der Praxis erfolgen soll.

Was Arbeitsminister Heil unternimmt

Auch die SPD im Bundestag machte sich für ein neues Gesetz stark – denn Überstunden würden heute oft nicht erfasst und vergütet. Wirtschaftsverbände und FDP sehen das „Stechuhr-Urteil“ allerdings im Widerspruch zu einer modernen, flexiblen Arbeitswelt.

Zuständig in der Bundesregierung ist Arbeitsminister Hubertus Heil. Der SPD-Politiker hatte zwar eine zügige Lösung angekündigt – und legte vor gut einem Jahr auch einen ersten Gesetzentwurf vor. Auf dem Arbeitgebertag im Herbst beteuerte der Minister noch, er wolle nicht die Stechuhr wieder einführen.

Noch immer hat die Regierung das Thema nicht abgearbeitet. „Zur gesetzlichen Ausgestaltung der Aufzeichnungspflicht finden derzeit regierungsinterne Gespräche statt“, bekundet eine Sprecherin des Heil-Ministeriums. Auch aus Ampel-Fraktionskreisen heißt es: „Da gibt es keinen neuen Stand.“ Verwiesen wird im Arbeitsministerium auf das Bundesarbeitsgericht - denn: „Die Frage des "Ob" einer Aufzeichnungspflicht ist damit geklärt“, so auch die Heil-Sprecherin.

FDP: Acht-Stunden-Tag „altes Dogma“

Warum sich die Ampel schwertut mit Neuerungen in dem Bereich, zeigen auch die Debatten nach dem jüngsten Wachstumspaket, das die Regierung mit dem Haushalt 2025 festgezurrt hat. Die Partner sind bei dem Thema uneins wie in vielen sozialen Fragen. Prompt nach der Rettung der Koalition per Haushaltseinigung macht sich die FDP im Bundestag für ein Ende des Acht-Stunden-Tags für Deutschlands Beschäftigte in heutiger Form stark.

Das Wachstumspaket sei „ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, dem perspektivisch die vollständige Umstellung von der Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit folgen sollte“, sagt FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. Heute darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer acht Stunden in der Regel nicht überschreiten - für Köhler ein „altes Dogma“.

Die Koalitionsspitzen hatten sich in der Nacht zu Freitag auf Steuer- und Beitragsfreiheit für Zuschläge für Überstunden geeinigt, die bei Tarif-Beschäftigen eine Wochenarbeitszeit von 34 Stunden überschreiten, bei anderen von 40 Stunden.

Bei acht von zehn wird Arbeitszeit erfasst

Nach Einschätzung von Gallner hat sich die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durchgesetzt. Betroffen sind die 35 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland gibt. Gallner meint, es fehle zwar noch immer eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes. „Aber in den Unternehmen haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft maßgeschneiderte Lösungen gefunden, die Arbeitszeit und damit auch mögliche Überstunden zu erfassen“, so die BAG-Präsidentin.

80 Prozent der Beschäftigten sagten, dass ihre Arbeitszeit betrieblich erfasst oder sie von ihnen selbst dokumentiert wird. Gallner verweist dabei auf Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. Zahlen von 2023 deuteten darauf hin, „dass die Erfassung der Arbeitszeit etwas stärker verbreitet ist als noch 2021 und 2019“, so die Bundesanstalt in einem Bericht.

Was aus Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit wird

Flexible Modelle wie mobiles Arbeiten, Homeoffice oder Kernarbeitszeiten seien durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht eingeschränkt, so Gallner. „Das geht doch alles. Vertrauensarbeitszeitmodelle sind nicht in Gefahr, im Gegenteil.“ Auch dafür würden schließlich die gesetzlichen Regelungen gelten wie eine elfstündige Ruhezeit pro Tag oder eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Sie reagierte damit auf Befürchtungen einiger Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände.

Wie Deutschland auf die „Sünderliste“ der EU kam

Nach Angaben von Fachpolitikern und Arbeitsrechtlern stand Deutschland wegen der fehlenden Umsetzung der Zeiterfassungspflicht kurz vor einem Vertragsverletzungsverfahren der EU - als einziger großer Mitgliedsstaat. Nach ihrem Wissen stehe die Bundesrepublik inzwischen nicht mehr auf der „Sünderliste“, sagt Gallner.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Generation Z lehnt Führungspositionen ab – Unternehmen müssen umdenken
25.04.2025

Die Generation Z zeigt sich zunehmend unbeeindruckt von traditionellen Karrierewegen und Führungspositionen im mittleren Management. Eine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Reichster Ostdeutscher: Wie ein Unternehmer einen kleinen DDR-Betrieb zum globalen Player macht
25.04.2025

Rekord-Umsatz trotz Krisen: Der Umsatz von ORAFOL betrug im Jahr 2024 betrug 883 Millionen Euro – ein Rekordjahr trotz Wirtschaftskrise....

DWN
Politik
Politik Rentenbeiträge und Krankenkasse: Sozialabgaben werden weiter steigen
25.04.2025

Gerade bei der Rente hat die kommende Merz-Regierung ambitionierte Pläne. Doch gemeinsam mit den Krankenkassenbeiträgen droht...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gold im Höhenrausch: Wenn Trump das Gold sieht, wird es gefährlich
25.04.2025

Der Goldpreis steht kurz davor, einen historischen Rekord nicht nur zu brechen, sondern ihn regelrecht zu pulverisieren. Die Feinunze Gold...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Autoindustrie unter Druck: Zollkrieg sorgt für höhere Preise und verschärften Wettbewerb
25.04.2025

Der Zollkrieg zwischen den USA und Europa könnte die Auto-Preise in den USA steigen lassen und den Wettbewerb in Europa verschärfen....

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen der Deutschen auf Rekordhoch – aber die Ungleichheit wächst mit
25.04.2025

Private Haushalte in Deutschland verfügen so viel Geld wie nie zuvor – doch profitieren längst nicht alle gleichermaßen vom...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland am Wendepunkt: Wirtschaftsmodell zerbricht, Polen rückt vor
25.04.2025

Deutschlands Wirtschaftsmaschinerie galt jahrzehntelang als unaufhaltsam. Doch wie Dr. Krzysztof Mazur im Gespräch mit Polityka...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft China im Handelskrieg: Regierung bereitet sich auf das Schlimmste vor
25.04.2025

Chinas Führung bereitet sich inmitten des eskalierenden Handelskonflikts mit den USA auf mögliche Härtefälle vor. In einer Sitzung des...