Politik

Der schwierige Abschied für Joe Biden

Nach seinem Verzicht auf eine zweite Amtszeit steht Joe Biden vor einer ungewöhnlichen Situation – sowohl in Bezug auf seinen Wahlkampf als auch auf seine Aufgaben als Präsident. Leicht fällt ihm das nicht.
20.08.2024 11:23
Aktualisiert: 20.08.2024 11:23
Lesezeit: 2 min

Joe Biden umarmt seine Tochter Ashley nach ihrer Rede fest und verweilt einige Sekunden in ihren Armen. Anschließend wischt sich der Präsident mit einem Taschentuch die Augen und tritt ans Rednerpult. Der 81-Jährige fasst sich ans Herz, während Tausende Delegierte im Saal ihm zujubeln. "Danke, Joe", rufen sie beim Parteitag der Demokraten in Chicago in Sprechchören. Und später: "Wir lieben Joe."

Es war jedoch genau diese Partei, die Biden wegen seines Alters und seiner mentalen Verfassung zum Rückzug aus dem Wahlkampf gedrängt hat. Einige prominente Demokraten, die Bidens Rücktritt gefordert hatten, sitzen nun klatschend im Saal und feiern ihn als jemanden, der in einem Akt menschlicher Größe, im Interesse der Partei, freiwillig Platz gemacht habe für die nächste Generation. Das verzerrt die Realität. Biden weigerte sich lange, dem Druck seiner Partei nachzugeben. Das Ringen um seinen Abschied wurde zu einem unwürdigen Schauspiel.

All das versucht die Partei bei ihrem Treffen in Chicago, das der neuen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gewidmet ist, zu kaschieren. Doch Biden bleibt in den kommenden Monaten in einer undankbaren Rolle. Dies betrifft sowohl den Wahlkampf als auch seine Präsidentschaft.

Die Rolle im Wahlkampf

Direkt nach seinem großen Auftritt beim Parteitag zieht sich Biden in eine längere Pause zurück und fliegt von Chicago nach Kalifornien. Dort verbringt er den Rest der Woche ohne öffentliche Auftritte. Dass Biden während des restlichen Parteitags komplett abtaucht, spricht Bände. Seit seinem Rückzug im Juli trat der Demokrat erst einmal mit Kamala Harris bei einer Wahlkampfkundgebung auf. Öffentlich hielt er sich sonst stark zurück.

Es scheint, als sei die Strategie der Demokraten nach Bidens peinlichen Auftritten der vergangenen Monate, die ihn zum Rückzug bewogen, seine Präsenz im Wahlkampf auf ein Minimum zu beschränken. Damit soll auch das Risiko weiterer Fehler verringert werden, die Harris schaden könnten. In Chicago scherzt Biden, er werde der beste freiwillige Wahlkampfhelfer sein, den Harris und ihr Vize Tim Walz je gesehen hätten. Doch eine prägende Rolle im Wahlkampf ist derzeit für Joe Biden nicht absehbar.

Für Harris ist die Bilanz der gemeinsamen Regierungszeit in mancher Hinsicht problematisch, insbesondere beim Thema Migration. Zudem muss sie sich in ihrer neuen Rolle als Spitzenkandidatin zurechtfinden. Daher wird sie vermutlich versuchen, im Wahlkampf Abstand zu Joe Biden zu halten. Nach den parteiinternen Spannungen bis zu Bidens Rückzug bemühen sich die Demokraten nun, Geschlossenheit zu demonstrieren. Darum geht es auch bei Bidens Auftritt in Chicago, wo er Harris als starke, erfahrene Frau mit Charakter und Integrität lobt.

Die Rolle als US-Präsident

Biden bleibt bis Januar Präsident. Doch er ist nun eine "lame duck" – jemand, der am Ende seiner Amtszeit steht und daher stark an Macht und Einfluss eingebüßt hat. "Ich habe noch fünf Monate in meiner Präsidentschaft", sagt Joe Biden in Chicago. "Ich habe noch viel zu tun." Und er sei entschlossen, dies auch zu erledigen.

Allerdings ist das nicht einfach. Das Rampenlicht gehört nun allein Kamala Harris und dem Wahlkampf. Die Demokraten im Kongress sind primär damit beschäftigt, ihre eigenen Sitze bei der Wahl zu verteidigen. Auch internationale Partner überlegen eher, wie sie mit einer künftigen US-Regierung zusammenarbeiten können, anstatt neue Initiativen mit Biden zu starten.

Dies gilt nicht nur für Harris, sondern auch für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, den bereits mehrere internationale Regierungschefs kontaktiert haben.

Joe Biden wird dennoch versuchen, in den verbleibenden Monaten an seinem politischen Erbe zu arbeiten. Erst im dritten Anlauf schaffte er den Einzug ins Weiße Haus – als ältester US-Präsident aller Zeiten. Vielleicht macht die Schwierigkeit, mit der er dorthin gelangte, das Loslassen nun umso schwerer.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
USA
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Mulfin Trade hat seine Schutzsysteme für mehr Sicherheit aktualisiert

Der Schutz persönlicher Daten ist einer der Schlüsselfaktoren, die das Vertrauen der Kunden in einen Service beeinflussen. Mulfin Trade...

DWN
Technologie
Technologie Regulieren statt dominieren: Europas letzter Ausweg in der KI-Welt
07.06.2025

Europa droht im globalen KI-Wettlauf abgehängt zu werden. Doch Experten zeigen: Die wahre Macht liegt nicht in der Modellentwicklung,...

DWN
Politik
Politik Kollaps der Insekten-Revolution: EU zerstört ihre eigene Bio-Strategie
07.06.2025

Erst gefeiert als nachhaltige Wunderlösung – nun droht das Aus: Europas Insektenzüchter stecken in der Krise. Die Hoffnung, Fischmehl...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unternehmen verkaufen: Die 10 häufigsten Fehler beim Unternehmensverkauf
07.06.2025

Was Unternehmer beim Verkauf ihres Unternehmens falsch machen – und wie selbst starke Zahlen durch fehlende Strategie, überzogene...

DWN
Politik
Politik Ehegattennachzug stagniert: Rechtliche Hürden beim Sprachnachweis
07.06.2025

Die Zahl der Visa für den Ehegattennachzug nach Deutschland ist rückläufig. Gleichzeitig bestehen weiterhin sprachliche und rechtliche...

DWN
Panorama
Panorama Ausweis, Ticket & Co.: Was Sie vor einem Urlaubsflug beachten sollten
07.06.2025

Check-in, Sicherheitscheck und Sprint zum Gate: Der Start in den Urlaubsflug kann am Flughafen schnell im Stress enden. Das lässt sich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wertvollster Fußballer der Welt: Lamine Yamal knackt 400-Millionen-Marke
07.06.2025

Ein 17-Jähriger dominiert den globalen Fußballmarkt: Lamine Yamal ist mehr wert als ganze Bundesligateams – und verkörpert die extreme...

DWN
Politik
Politik Der Weltraum als nächstes Schlachtfeld – Europas Sicherheit steht auf dem Spiel
07.06.2025

Der Orbit wird zur neuen Frontlinie geopolitischer Machtspiele. Wie private Satelliten, militärische Strategien und neue Allianzen die...

DWN
Technologie
Technologie Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech
06.06.2025

Während Europa an bahnbrechenden Technologien tüftelt, fließt das große Geld aus den USA. Wenn Europa jetzt nicht handelt, gehört die...