Panorama

35 Jahre Mauerfall: Von der Mauer ist nur das Geschäft mit Souvenir-Stücken geblieben

Vor 35 Jahren fiel die Berliner Mauer, ein historischer Moment, der nicht nur die Teilung Deutschlands beendete, sondern auch eine neue Ära des Handels mit Mauerteilen einleitete. Diese Souvenirs, die Erinnerungen an den Mauerfall verkörpern, haben sich mittlerweile zu begehrten Exportschlagern entwickelt.
09.11.2024 07:33
Aktualisiert: 09.11.2024 07:43
Lesezeit: 3 min

Als vor 35 Jahren der Mauerfall stattfand, ließen die ersten Sammler nicht lange auf sich warten. "Es ging noch am gleichen Abend los", sagt Cornelia Thiele von der Stiftung Berliner Mauer. "Wir haben Bilder von der Mauer vor dem Brandenburger Tor am 9. November in der Nacht, wo Menschen mit Hammer und Meißel anfangen, auf der Mauer herumzuhauen, Stücke rauszubrechen, sich diese Stücke mitzunehmen." Was damals für viele ein Impuls in einem historischen Moment war, wurde für andere bald zu einem Geschäft. Bis heute können Touristen kleine und größere Brocken der Mauer für wenige Euro erwerben. Die Einzelteile der einst tödlichen Grenze sind ein echter Exportschlager.

Handwerkliche Fertigung von Mauerteilen

Seit Anfang des Jahres betreiben auch die Brüder Sebastian und Julian Sacha das Geschäft mit der Berliner Mauer. Die beiden Westberliner übernahmen im Januar von Volker Pawlowski, der nach der Wende schnell erkannte, dass mit der Mauer Geld zu verdienen wäre. Noch 2010 beschrieb der "Spiegel" ihn als "eine Art Mauer-Monopolist", mittlerweile hat er sich aus dem Geschäft zurückgezogen.

Die Brüder Sacha beliefern nach eigenen Angaben etwa 40 Prozent der Berliner Souvenir-Läden mit Mauerteilen - ein ziemlich staubiges Geschäft. Denn das Zerkleinern der Mauer und das Zusammenstellen der Souvenirs sind echte Handarbeit. Metallschneider und Kreissägen kommen zum Einsatz, Hammer und Meißel sowieso. Plexiglasplatten werden erhitzt, geprägt und gebogen. Noch bevor die Mauer zerkleinert wird, kommt neue Farbe drauf. Denn die alte blättert mittlerweile ab - und bunt soll das kleine Souvenir dann bitte doch sein.

Eine Bananenkiste mit Mauersteinen verkaufen die Sachas nach eigenen Angaben im Schnitt täglich. Und zwar nicht nur an Berliner Souvenirläden, sondern über ihren Online-Shop in die ganze Welt. Von Bestellungen aus Madagaskar, Brasilien und Australien berichten sie. Die meisten Bestellungen aus dem Ausland kämen jedoch aus China und den USA. Vorrat haben sie nach eigenen Angaben noch für rund zehn Jahre - wenn das Geschäft so weiterläuft. Derzeit sei es leicht rückläufig.

Mauerelemente und ihre Geschichte

Allein auf dem Hof in Reinickendorf ragen noch mehrere Mauerelemente in den Himmel. Der offizielle Name der Stützwandelemente der Grenzmauer 75 lautet UL12.41. Ein Stück wiegt 2,6 Tonnen, ist 3,20 Meter hoch, 1,20 Meter breit und - wegen des Fußes - 2,1 Meter tief. Was macht den Reiz des steinernen Souvenirs aus?

Cornelia Thiele, die Kuratorin für die Sammlung und das Archiv der Stiftung Berliner Mauer ist, erinnert an den historischen Moment: Direkt nach dem Mauerfall sei es für viele der sogenannten Mauerspechte ein Akt der Selbstermächtigung gewesen, erstmals an die Grenze heranzukommen und Teil des Abrisses zu werden, sagt sie. Für andere seien die Gesteinsbrocken eine Siegertrophäe gewesen, die zeige, dass man etwas überwunden habe.

"Und ich glaube, auch der Souvenirgedanke hat vom ersten Moment an eine Rolle gespielt: Ich bin hier; hier passiert was Großes", so Thiele. Vor dem Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie waren schnell fliegende Händler unterwegs, die Mauerstücke an Touristen verkauften. Aber auch Unternehmen hätten schnell Interesse am Kauf von Mauer-Teilen gezeigt, sagt Thiele. Nationale und internationale Unternehmen wandten sich an die DDR-Botschaften und das Außenhandelsministerium und boten hohe Summen. Die DDR-Regierung wusste ebenfalls um den Wert der Mauerteile und stieg schließlich in das Geschäft ein. Sie gründete die Limex-Agentur, die Auktionen durchführte - eine davon erfolgreich in Monaco.

Aber in den Wirren der Wendezeit samt Währungsreform und Deutscher Einheit kam das DDR-Geschäft mit der Mauer nicht so richtig in Fahrt, wie Thiele sagt. Ab Sommer 1990 wurde die Mauer dann abgerissen und vielfach als Baumaterial verwendet.

Nachhaltigkeit und Bedeutung der Mauer

Aber warum kaufen viele Touristen noch heute, 35 Jahre später, Einzelteile der Mauer in Plexiglas oder in einer Schneekugel geklebt? Ein Mauerstein im Plexiglasbogen der Größe L kostet auf der Homepage von Berlin Souvenirs 17,90 Euro - inklusive Echtheitszertifikat. "Bestellen Sie jetzt ein Stück Geschichte!" heißt es. Alexandra Hildebrandt leitet das Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin - ein Ort über die Flucht aus der DDR und den friedvollen Kampf für die Menschenrechte genau dort, wo früher Grenzsoldaten standen.

Sie verweist vor allem auf den Wandel, den die Bedeutung der Mauer erfahren habe: "So lange sie stand, war sie ein Symbol der Teilung", sagt Hildebrandt. Heute sei sie ein Symbol der Freiheit. Auch Cornelia Thiele betont, dass die Grenze mittlerweile ein positives Symbol sei, ein Symbol der Überwindung. Ohnehin gewinne die Mauer an Bedeutung. Angesichts des neuen Kalten Kriegs und des Heißen Kriegs zwischen Russland und der Ukraine gerate die Mauer wieder in den Fokus. Für die Souvenir-Verkäufer ist das eine gute Nachricht. Nachschub dürfte es noch lange geben. Unheimlich viele Mauerteile seien in privatem Besitz, nach und nach kämen immer mehr von ihnen auf den Markt, sagt Thiele.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Mulfin Trade hat seine Schutzsysteme für mehr Sicherheit aktualisiert

Der Schutz persönlicher Daten ist einer der Schlüsselfaktoren, die das Vertrauen der Kunden in einen Service beeinflussen. Mulfin Trade...

DWN
Politik
Politik Der Weltraum als nächstes Schlachtfeld – Europas Sicherheit steht auf dem Spiel
07.06.2025

Der Orbit wird zur neuen Frontlinie geopolitischer Machtspiele. Wie private Satelliten, militärische Strategien und neue Allianzen die...

DWN
Technologie
Technologie Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech
06.06.2025

Während Europa an bahnbrechenden Technologien tüftelt, fließt das große Geld aus den USA. Wenn Europa jetzt nicht handelt, gehört die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Verteidigung der Zukunft: Hensoldt rüstet Europa mit Hightech auf
06.06.2025

Kaum ein Rüstungsunternehmen in Europa hat sich in den vergangenen Jahren so grundlegend gewandelt wie Hensoldt. Aus einer ehemaligen...

DWN
Politik
Politik Trump gegen Europa: Ein ideologischer Feldzug beginnt
06.06.2025

Donald Trump hat Europa zum ideologischen Feind erklärt – und arbeitet systematisch daran, den Kontinent nach seinen Vorstellungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die wertvollsten Marken der Welt: Top 5 fest in US-Hand
06.06.2025

Während die Weltwirtschaft stagniert, explodieren die Markenwerte amerikanischer Konzerne. Apple regiert unangefochten – China und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Star-Investorin: „Wir erleben eine neue Generation von KI-Gründern“
06.06.2025

US-Chaos, Trump und Kapitalflucht: Europas KI-Talente kehren dem Silicon Valley den Rücken – und bauen die Tech-Giganten der Zukunft vor...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Konjunkturprognose unter Druck: Wie der Zollstreit Deutschlands Exporte trifft
06.06.2025

Zölle, Exporteinbrüche und schwache Industrieproduktion setzen Deutschlands Wirtschaft zu. Die aktuelle Konjunkturprognose gibt wenig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Internationale Handelskonflikte: So schützen sich exportorientierte KMU
06.06.2025

Ob Strafzölle, Exportverbote oder politische Sanktionen – internationale Handelskonflikte bedrohen zunehmend die Geschäftsmodelle...