Erst am Sonntagabend kritisierte Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) öffentlich bei der ARD-Sendung „Caren Miosga“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wieder, für dessen zögerliche und ablehnende Haltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine. Er hingegen sprach sich als Grüner erneut für eine schnelle Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Kiew aus, während der Kanzler weiter blockt.
Taurus-Lieferung: Bundeskanzler Scholz lehnt weitreichende Marschflugkörper ab
Seitdem die USA Kiew den Einsatz von ATACMS-Raketen gegen russische Ziele gestattet haben, geht die Diskussion in Deutschland um eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine weiter. Und der Druck von außen erhöht sich: Während der designierte US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, ein zeitnahes Ende des Ukrainekrieges anzustreben, setzt man in der EU weiter auf die Lieferung der deutschen Marschflugkörper an die Ukraine. Gerade hat EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola Deutschland, unter Berufung auf die Position der Mehrheit der EU-Abgeordneten, dazu aufgefordert, die Taurus-Lieferung freizugeben - und der Führung in Kiew endlich Marschflugkörper zu schicken.
Innenpolitisch wird die Taurus-Frage nach dem Ampel-Aus jetzt zum Wahlkampfthema der Parteien – bis zu den Neuwahlen im Februar. Wie die Altparteien SPD, Grüne, FDP und die Union versuchen von der Taurus-Debatte zu profitieren und eigene Interesse verfolgen. Oder kommt noch vor den Neuwahlen eine Kursänderung?
Taurus: FDP will sofort liefern
Die FDP will jetzt nach dem Ampel-Aus im Bundestag einen eigenen Antrag für die Taurus-Lieferung stellen. Das kündigte FDP-Parlamentarier Marcus Faber, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, an. Dass der scheidende US-Präsident Joe Biden der Ukraine erlaubt hat, tief im russischen Staatsgebiet liegende Ziele mit Kurzstreckenraketen anzugreifen, sehen die Liberalen als potenziellen Aufhänger. Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ erklärte FDP-Fraktionschef Christian Dürr, er könne sich „durchaus vorstellen, wenn ich mir die Aussagen von Union und Grünen anschaue, dass so ein Antrag Erfolg haben könnte“.
Um eine Mehrheit für einen entsprechenden Beschluss herzustellen, bräuchte die FDP nicht nur die Stimmen der Union, sondern auch der Grünen. Doch die regieren mit der SPD in einer Minderheitenregierung. Das nimmt den Grünen den Spielraum bei Ihrem Voting für Taurus-Lieferungen an die Ukraine. Dies bestätigte auch deren Sprecherin Irene Mihalic. Sie erklärte gegenüber dem „Tagesspiegel“, dass sich das Abstimmungsverhalten der Fraktion daran ausrichten werde, dass man „nach wie vor mit der SPD in einer Regierung“ sei. Als neuer Kanzler würde Habeck die Waffe allerdings sofort liefern.
Habeck ist für die Taurus-Lieferung – aber erst nach der Wahl
Die Union hatte bereits im Februar einen entsprechenden Antrag eingebracht. Damals scheiterte dieser jedoch im Bundestag, weil der Kanzler vor allem FDP und Grüne zur Koalitionsdisziplin ermahnte. Mit Erfolg: Die Zahl der Abweichler ließ sich an den Fingern einer Hand abzählen, der Vorstoß der Union scheiterte.
Der Union scheint ihre Pro-Position zur militärischen Unterstützung der Ukraine in den jüngsten Umfragen nicht zu schaden. Zwar sind die persönlichen Beliebtheitswerte von Kanzlerkandidat Friedrich Merz weiter durchwachsen – und Bundeskanzler Olaf Scholz gewinnt ihm gegenüber in Umfragen an Terrain. Mit im Schnitt 33,3 Prozent liegen CDU und CSU in den jüngsten Umfragen jedoch immer noch vorn.
Union möchte eigenen Antrag unter Kanzler Merz
Diesmal wird sich die Union überraschenderweise nicht dem FDP-Antrag zur Taurus-Lieferung anschließen. Fraktionsvize Johann David Wadephul warf der FDP vor, in der Zeit der noch aufrechten Ampelkoalition diese über die europäischen Werte und die Interessen der Ukraine gestellt zu haben.
Nachdem Robert Habeck einer neuen parlamentarischen Initiative zum jetzigen Zeitpunkt eine Absage erteilt habe, befürchtet man in der Union einen kontraproduktiven Effekt: „Ein weiterer Antrag, der keine Mehrheit bekommt und für den sich Scholz sowieso nicht interessiert, wäre nur ein PR-Erfolg für Putin.“
Die einzige Garantie dafür, dass die Ukraine die Kurzstreckenwaffen bekäme, biete ein Bundeskanzler Friedrich Merz. Demgegenüber solle dem „Geisterfahrer Scholz“ dessen „politische Fahrerlaubnis so schnell wie möglich entzogen“ werden.
AfD, BSW und Linke lehnen Taurus-Lieferung ab
Erwartungsgemäß bleiben die drei Oppositionsparteien bei Ihrer Ablehnung. Deren Einsatz würde, so erklärte AfD-Fraktionssprecher Matthias Moosdorf, einen direkten Kriegseintritt Deutschland voraussetzen und wäre grundgesetzwidrig. Innerhalb der AfD-Fraktion wurden zuletzt Stimmen lauter, bei der Vertrauensfrage im Bundestag Kanzler Scholz das Vertrauen auszusprechen. Dieser sei das „geringere Übel“ gegenüber dem Konfrontationspolitiker Merz.
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht wertete die Idee der FDP sogar als Aufforderung an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der Atommacht Russland praktisch den Krieg zu erklären. „Ihr ist offenbar ein großer Krieg in Europa lieber als ein würdevoller Abschied aus dem Bundestag.“
Auch die Linkspartei lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine weiter ab, laut Abgeordneter Sören Pellmann: „Zudem mobilisieren wir in den nächsten Monaten gegen die geplante Stationierung der US-Mittelstreckenraketen in Deutschland, was auch ein Akt der Drohung gegenüber Russland ist.“
Ist die Taurus-Entscheidung wahlentscheidend?
Je nachdem, ob es der FDP wieder gelingt, in den Bundestag einzuziehen: Union und Grüne hätten nach wie vor eine gemeinsame parlamentarische Mehrheit – selbst für den Fall eines Wiedereinzugs der Linken über drei Direktmandate.
Insgesamt verlieren Parteien, die bisher nicht für Taurus-Lieferungen offen waren, gegenüber den Befürwortern an Terrain. Union und Grüne (11,6 Prozent) legen gemeinsam um 0,5 Prozentpunkte zu, die FDP büßt 0,3 ein und läge bei 4,2 Prozent.
Demgegenüber legt die AfD 0,1 Prozentpunkte zu und liegt bei 18,3 Prozent. Die SPD (15,1 Prozent; minus 0,5) und vor allem das BSW (6,0; minus 0,6) bauen jedoch deutlich ab und die Linke stagniert bei 3,2 Prozent.
Kommt die Taurus-Wende?
Trotz der aktuellen Lage und Dringlichkeit für eine Entscheidung, scheint sich keine Mehrheit für den FDP-Vorstoß abzuzeichnen, als Taurus-Koalition noch vor der Wahl vollendete Tatsachen zu schaffen. Die „Berliner Zeitung“ hat sich mit einer Anfrage an alle Fraktionen und Gruppen im Bundestag gewandt – und ist zu der Einschätzung gelangt, dass die FDP mit Ihrem Antrag wahrscheinlich sogar allein bleiben würde. Zumal Bundeskanzler Scholz an seiner Position festhält, dass eine Taurus-Lieferung eine Eskalationsstufe bedeute, die Deutschland selbst zur Kriegspartei machen könne. Sein Ziel bleibt es als „Friedenskanzler“ in die nächste Regierung gewählt zu werden.
Taurus-Marschflugkörper: Reichweite und Preis
Der fünf Meter lange Marschflugkörper eignet sich zur Zerstörung feindlicher Anlagen wie Bunker, Munitionsdepots oder Gefechtsstände. Er wird von Kampfflugzeugen aus gestartet und kann mit seinem Jetantrieb über 500 Kilometer weit fliegen. Taurus kann dabei feindliches Radar mit hoher Geschwindigkeit in weniger als 50 Meter Höhe unterfliegen. Bis heute wird diskutiert inwieweit diese Waffen von der Ukraine für Gegenangriffe auf Russland benutzt werden.
Das Besondere an Taurus: Die Marschflugkörper können in ein Gebäude eindringen, also ein Wand durchschlagen, und dann im Inneren explodieren. Außerdem ist Taurus eine sogenannte modulare Waffe, sie kann also mit unterschiedlichen Gefechtsköpfen ausgerüstet werden und unterschiedliche Ziele angreifen. Das hat seinen Preis: Taurus-Marschflugkörper kosten pro Stück etwa eine Million Euro. Die Einsatzfähigkeit der Taurus-Flugkörper würde aktuell bis zu 6 Monate dauern.
Im Moment ist geplant, sogenannte „Mini-Taurus“ an die Ukraine zu liefern, die das deutsche Software-Unternehmen Helsing herstellt. Für die KI-gesteuerten Angriffsdrohnen gibt es einen Vertrag über 4.000 sogenannte Strike-Drohnen. Die Drohnen haben eine bis zu viermal höhere Reichweite als herkömmliche Kamikaze-Drohnen der ukrainischen Armee.