Politik

Kiew reagiert auf Probleme an der Front im Osten der Ukraine

Die Ukraine steht an der Front schwer unter Druck. Nach mehreren Fehlschlägen muss nun ein hochrangiger General laut Medien abdanken. Auch im Hinterland gibt es wieder Einschläge.
14.12.2024 10:42
Lesezeit: 3 min

Der Kommandeur der ukrainischen Heeresgruppe Donezk, Olexander Luzenko, ist nach mehreren empfindlichen Niederlagen Kiews übereinstimmenden Medienberichten zufolge abgelöst worden. Ersetzt werde er durch Olexander Tarnawskyj, berichtete das Internetportal "Ukrajinska Prawda§ unter Berufung auf eine Quelle bei den Streitkräften. Offiziell wurde die Neubesetzung bislang nicht vermeldet. Die Krise der ukrainischen Truppen im Osten des Landes hat sich in den vergangenen Wochen verschärft.

Luzenko war für den Frontabschnitt um die strategisch wichtigen Städte Pokrowsk und Kurachowe verantwortlich. Kurachowe ist bereits teilweise von den russischen Truppen erobert worden und steht unmittelbar vor dem Fall. Die ukrainische Armee hat die Stadt aber bereits jetzt länger gehalten als viele Experten dies zuvor prognostiziert haben. Es droht einigen Einheiten allerdings nun die Einkesselung.

Militärbeobachter werfen Armeeführung Fehler bei Verteidigung vor

Scharfe Kritik erntete die militärische Führung zudem für die mangelhafte Verteidigung bei Pokrowsk. Dort erlaubte sie russischen Truppen südlich der Stadt einen Durchbruch durch eigentlich gut ausgebaute und günstig gelegene Verteidigungslinien. Dadurch droht nun nicht nur die Umfassung von Pokrowsk, sondern auch ein weiterer Vormarsch russischer Truppen in Richtung des Gebietes Dnipropetrowsk.

Tarnawskyj ist einer der bekanntesten Generäle in der Ukraine. Er leitete 2022 die erfolgreichen Gegenangriffe der Ukraine im Süden des Landes, die zur Rückeroberung von Cherson führten. Allerdings scheiterte er im Sommer 2023 mit seinem Versuch, auch im benachbarten Saporischschja einen Durchbruch zu erzwingen und später bei der Verteidigung der Festung Awdijiwka im Gebiet Donezk.

Schwere Kämpfe halten an

Der Generalstab in Kiew hat in seinem Lagebericht am späten Abend weiter schwere Kämpfe vor allem im Gebiet Donezk festgehalten. Insgesamt sei es entlang der Front zu 190 Zusammenstößen im Tagesverlauf gekommen, heißt es. Schwerpunkt war demnach der Abschnitt vor Pokrowsk, wo die russischen Truppen 56 Vorstöße unternommen haben.

Ebenfalls schwer umkämpft ist der Abschnitt zwischen den Gebieten Donezk und Saporischschja im Süden der Ukraine, wo es 34 russische Angriffsversuche gab. Bei Kurachowe hingegen ist das Tempo der Attacken etwas abgeflaut, dort haben ukrainischer Zählung nach die russischen Truppen 26 Mal angegriffen. Unabhängig lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Gegenseitiger Beschuss mit Drohnen

Auch das Hinterland der Ukraine geriet in der Nacht einmal mehr ins Visier der russischen Streitkräfte. Drohnenangriffe wurden in einer Reihe von Regionen gemeldet, darunter im Schwarzmeergebiet Odessa.

Auf der Gegenseite attackierten die Ukrainer Medienberichten zufolge ein Tanklager im westrussischen Gebiet Orjol. In sozialen Netzwerken kursierende Videos zeigen Explosionen und Feuer. Der Gouverneur der Region, Andrej Klytschkow, schrieb später bei Telegram, dass es einen Brennstoffbrand infolge eines Drohnenangriffs gegeben habe. Teile von abgeschossenen Drohnen hätten die Verglasung mehrerer Privathäuser beschädigt.

Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf das Verteidigungsministerium des Landes, dass in der Nacht 37 ukrainische Drohnen über den Regionen Kuban, Kursk, Brjansk und Orjol sowie dem Asowschen Meer zerstört worden seien.

Selenskyj fordert Aktionen gegen Putin nach Raketenangriff

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederum hat nach dem schweren kombinierten Raketen- und Drohnenangriff Russlands in der Vornacht gegen sein Land vom Westen Maßnahmen gefordert. Es seien Schritte nötig, die Kremlchef Wladimir Putin zeigten: "Sein Terror wird nicht funktionieren", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. Putin setze auf Krieg, um sich an der Macht zu halten. Die westlichen Partner der Ukraine sollten sich daher weniger um Stabilität in Moskau kümmern, als um ihre und die globale Sicherheit. Dabei dankte er den USA für ein weiteres Hilfspaket über 500 Millionen Dollar.

Russland hatte in der Nacht zum Freitag einen der massivsten Angriffe aus der Luft auf die Ukraine geführt. Nach Selenskyjs Angaben hat das russische Militär dabei etwa 200 Drohnen und 94 Raketen eingesetzt. "Sie haben extra auf Frostwetter gewartet, um die Lage für die Menschen zu verschlimmern", sagte Selenskyj und warf der russischen Führung "zynischen Terror" gegen die Zivilbevölkerung vor.

Der ukrainische Präsident bestätigte zudem eine geplante Reise nach Brüssel in der kommenden Woche. Dort wollen die Staats- und Regierungschefs der europäischen Nato-Staaten mit Selenskyj über die weitere Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine und mögliche Sicherheitsgarantien für den Fall eines Waffenstillstandes reden.

Experte: Bis zu 150.000 Soldaten für Friedenssicherung nötig

Ein möglicher Frieden in der Ukraine kann nach Ansicht des österreichischen Militärexperten Oberst Markus Reisner indes nur mit einer robusten Friedenstruppe gesichert werden. Da eine reine Beobachtermission seiner Ansicht nach nicht ausreichen werde, müssten Soldaten zur Friedenssicherung auch bewaffnet sein, sagte Reisner. "Aus meiner Sicht wären mindestens 100.000 bis 150.000 Soldatinnen und Soldaten für eine erfolgreiche Friedenssicherung in der Ukraine nötig."

Aktuell wird in verschiedenen internationalen Gremien über eine mögliche Friedensmission diskutiert, die der designierte US-Präsident Donald Trump ins Spiel gebracht hatte. Laut Reisner können die Europäer alleine eine entmilitarisierte Zone in der Ukraine nicht sichern.

Russland schaltet Messenger Viber ab

Die russischen Behörden blockierten unterdessen den Messenger-Dienst Viber. Der Zugang sei wegen verschiedener Gesetzesverstöße des Betreibers gesperrt worden, teilte die russische Telekom-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor mit. So sei der Messenger unter anderem für terroristische und extremistische Ziele, für den Drogenverkauf und die Verbreitung von Falschinformationen genutzt worden, heißt es. Die Staatsanwaltschaft habe wegen der Verbreitung von «Informationen zur Destabilisierung der politisch-gesellschaftlichen Ordnung in Russland» ermittelt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Schluss mit Shein und Temu? Europa zieht die Notbremse gegen Billigimporte aus China
17.11.2025

Die EU will die Billigimporte aus China schneller als geplant stoppen. Eine neue Zwei-Euro-Abgabe soll schon 2026 kommen. Plattformen wie...

DWN
Politik
Politik Teilzeit steuerfrei aufstocken? Teilzeitaufstockungsprämie ab 2026 für mehr Arbeitsstunden geplant
17.11.2025

Neben der Aktivrente und Überstundenzuschläge plant die Bundesregierung den Arbeitsmarkt ab 2026 auch für Teilzeitkräfte attraktiver zu...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Buffett kauft Google, Bitcoin stürzt ab - beginnt jetzt der große Marktumbruch?
17.11.2025

Die Märkte taumeln und die Nvidia-Aktie wird in wenigen Tagen zum Brennpunkt der globalen Finanzwelt. Kleinanleger überraschen die Wall...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs aktuell: Absturz unter 93.500 Dollar verunsichert Anleger – geht der Krypto-Crash weiter?
17.11.2025

Der Bitcoin erlebt turbulente Tage: Kursabstürze, Liquiditätsstress und widersprüchliche Analystenstimmen prägen die Lage. Während...

DWN
Panorama
Panorama Globale Anti-Tabak-Strategien unter Druck: WHO-Konferenz warnt vor Rückschritten
17.11.2025

Eine weltweite Initiative zur Eindämmung von Tabak- und Nikotinprodukten steht vor Herausforderungen: Trotz internationaler Abkommen setzt...

DWN
Finanzen
Finanzen Wachstum unter EU-Durchschnitt: Deutsche Wirtschaft 2026 mit vorsichtiger Erholung
17.11.2025

Die deutsche Wirtschaft startet 2026 voraussichtlich wieder durch, bleibt aber hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Laut der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Reiche besucht Golfstaaten: Investitionen, Erdgas und Partnerschaften im Fokus
17.11.2025

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche reist mit einer Wirtschaftsdelegation in die Golfregion, um die bilaterale Zusammenarbeit zu...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Vize warnt: KI-Hype könnte Börsenkorrektur auslösen
17.11.2025

EZB-Vizepräsident Luis de Guindos schlägt Alarm: Der aktuelle Boom rund um Künstliche Intelligenz und hoch bewertete US-Tech-Aktien...