Politik

Vor der Bundestagswahl und nach dem „D-Day“-Papier: Wie geht es weiter für die FDP? Vier Experten und ihre Einschätzung

„Alles lässt sich ändern“ lautet das Motto der neuen FDP-Wahlkampagne. Ob und wie Christian Lindner mit seiner Partei Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen kann – und welche strategischen Kurskorrekturen dafür notwendig sind, haben vier Expertinnen und Experten analysiert.
24.12.2024 07:53
Aktualisiert: 24.12.2024 11:03
Lesezeit: 5 min
Vor der Bundestagswahl und nach dem „D-Day“-Papier: Wie geht es weiter für die FDP? Vier Experten und ihre Einschätzung
Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, gibt nach der Entlassung des Bundesfinanzministers Lindner durch den Bundeskanzler ein Pressestatement. (Foto: dpa) Foto: Christoph Soeder

Die FDP will sich vor den anstehenden Bundestagswahlen als Partei des Wandels präsentieren. Dazu hat Parteichef Christian Lindner am 15. Dezember in Berlin gemeinsam mit dem designierten Generalsekretär Marco Buschmann die zentralen Botschaften der Kampagne vorgestellt.

Unter dem Motto „Alles lässt sich ändern“ wollen die Liberalen ein Signal für einen Neustart und setzen und sich klar von etablierten Konstellationen abgrenzen: „Ohne Freie Demokraten gibt es keine echte Chance auf Veränderung“, erklärte Lindner. Ob er dabei das Land oder die Liberalen selbst meinte, ließ er offen.

Vier Expertinnen und Experten haben die aktuellen Herausforderungen der FDP nach „D-Day“ -Affäre und Ampel-Aus analysiert und sind der Frage nachgegangen, ob die Partei eine glaubwürdige Perspektive für die Zukunft entwickeln kann – und wenn ja, welche?

Politologin Ursula Hoffmann-Lange: „Im Vergleich zu 1982 hat die FDP heute ihre Regierungsperspektive mit der Union verloren“

„Damals wie heute diente ein solches Dokument als Scheidungspapier“, so die Politikwissenschaftlerin Ursula Hoffmann-Lange, die im Umgang mit dem „D-Day“-Papier Parallelen zur Auflösung der sozialliberalen Koalition 1982 zieht. Unter der Führung von Hans-Dietrich Genscher legte Otto Graf Lambsdorff damals ein Memorandum vor, das die wirtschaftspolitische Ausrichtung der SPD unter Helmut Schmidt scharf kritisierte.

Dieses Papier bildete die Grundlage für den Bruch der sozialliberalen Koalition, da sich die FDP in Richtung Union positionierte. Ein konstruktives Misstrauensvotum ermöglichte schließlich Helmut Kohls Wahl zum Bundeskanzler und eine neue Regierungspartnerschaft zwischen der FDP und der CDU/CSU. „Der entscheidende Unterschied ist, dass die FDP damals eine strategische Absicherung durch die Union hatte. Heute fehlt der Partei diese Perspektive vollkommen“, so Hoffmann-Lange.

Hinzukomme das für die Wähler vor allem wichtig sei, welche politischen Chancen sie für die Regierungsbeteiligung der von ihnen bevorzugten Partei sehen. „Hier liegt auch der Hauptunterschied zwischen 1982 und heute“, so die Politologin. „Die programmatischen Schnittmengen der FDP mit anderen Parteien sind ausgesprochen klein.“

Die FDP agiere in der aktuellen politischen Landschaft isoliert, so Hoffmann-Lange. „Die Liberalen haben sich wirtschaftspolitisch stark auf ihre Kernklientel konzentriert, aber vernachlässigen zunehmend gesellschaftspolitische Fragen. Gerade diese Themen sind jedoch entscheidend, um in der breiten Wählerschaft Unterstützung zu finden.“ Dieser einseitige Fokus erschwere es der Partei, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und sich wieder als relevante Kraft im politischen Spektrum zu positionieren.

Hoffmann-Lange: Die Liberalen müssen gesellschaftliche Themen stärker bedienen

Nach ihrer Einschätzung drohe der FDP der Verlust ihrer angestammten Wählerschaft. Hoffmann-Lange: „Die Partei hat zwei zentrale Gruppen: selbstständige Unternehmer und hochqualifizierte Angestellte.“

Während erstere weiterhin von der wirtschaftsliberalen Ausrichtung profitierten, fühlten sich die gehobenen Angestellten, insbesondere aus dem öffentlichen Dienst, zunehmend entfremdet. „Insbesondere diese zweite Wählergruppe wurde in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt, obwohl sie zahlenmäßig bedeutender ist.“ Diese Entwicklung könnte gravierende Folgen haben, da diese Gruppe vermehrt zur Union als einzig verbliebener Volkspartei oder grünen und sozialliberalen Alternativen abwandere. Ohne eine gezielte Ansprache dieser Wählerschicht werde es für die Partei schwierig, ihre Basis zu stabilisieren.

Um dies zu verhindern erachtet Hoffmann-Lange eine strategische Neuausrichtung der Partei als essenziell: „Die FDP muss nicht nur ihre wirtschaftsliberale Kernbotschaft stärken, sondern auch gesellschaftspolitische Themen wie Digitalisierung, Bildung und Migration stärker in den Fokus rücken.“ Gezielte Kommunikationskampagnen, die sowohl traditionelle als auch jüngere Wählergruppen adressieren, könnten der FDP helfen, ihre Basis zu stärken. „Ein modernes, breit aufgestelltes Profil ist entscheidend, um Vertrauen zurückzugewinnen“, so die Politikwissenschaftlerin.

Parteienforscher Aiko Wagner: „Die FDP kämpft mit strategischen und kommunikativen Defiziten“

Ein weiteres Defizit beobachtet der Berliner Parteienforscher Aiko Wagner, der die „D-Day“-Affäre als Ausdruck tiefergehender struktureller Probleme innerhalb der FDP sieht. Besonders die Nutzung historisch unpassender Begriffe wie „D-Day“ stehe symptomatisch für die mangelnde kommunikative Feinfühligkeit der Partei.

„Die Verwendung eines Begriffs, der eng mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus verbunden ist, zeigt, wie wenig professionell und reflektiert intern gearbeitet wurde“, kritisiert er. Dieser Mangel an strategischer Kommunikation könnte laut Wagner gerade für eine Partei, die sich nah an der Fünf-Prozent-Hürde bewegt, schwerwiegende Folgen haben. „Wenn die FDP es nicht schafft, bis zum Termin der Neuwahlen ein kohärentes und glaubwürdiges Bild abzugeben, wird sie weiter an Zustimmung verlieren.“

Wagner: Lindner ist Schwachstelle und Stabilitätsfaktor zugleich

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers ist die starke Fokussierung auf Christian Lindner sowohl Stärke als auch Achillesferse der Partei. „Lindner ist zweifellos das Gesicht der FDP und hat sich bei den Themen Finanzen und Haushalt einen festen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung gesichert“, erklärt Wagner. Gleichzeitig berge die zentrale Rolle Lindners auch Risiken: „Eine Partei, die sich derart stark auf eine Einzelperson stützt, wird in Krisensituationen besonders verwundbar.“

Sollte die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, könnte dies nicht nur Lindners politische Karriere beenden, sondern auch die gesamte strategische Ausrichtung der Partei infrage stellen. Wagner sieht hier deshalb dringenden Handlungsbedarf: „Die FDP muss sich breiter aufstellen, um langfristig stabil und erfolgreich zu bleiben.“

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: „Die politische Mitte wird zunehmend verlassen“

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung sieht in der der „D-Day“-Affäre keinen unmittelbaren Folgen für die FDP im Hinblick auf die bevorstehenden Neuwahlen, „da zwischen der Affäre und der Bundestagswahl nicht nur viele Wochen, sondern vor allem auch eine Weihnachtspause liegen.“

Allerdings hält es die Politikwissenschaftlerin für möglich, dass sich das allgemeine Misstrauen gegenüber der Politik durch die Affäre weiter verstärken könnte: „Das Verhalten der FDP und ihrer Parteizentrale sind in der Wahrnehmung vieler Menschen einer von vielen Belegen dafür, dass ‚der‘ Politik nicht zu trauen ist und man von ‚denen da oben‘ ohnehin nur angelogen werde.“

Diese Entwicklung führe laut Münch zu einem weiteren Sinken des Ansehens von Politikern und des Vertrauens in die politische Klasse insgesamt. „Diese Wahrnehmung wird von den tatsächlich unseriösen politischen Kräften in unserem Land, nämlich der AfD und durchaus auch dem BSW, zusätzlich geschürt werden.“

Die FDP hat ihre Attraktivität für die Jugend verloren

Darüber hinaus sieht die Politikwissenschaftlerin die „D-Day“-Affäre als erschwerenden Faktor für die Erholung der FDP während ihrer kurzen Oppositionsphase nach dem Ausstieg aus der Ampelregierung: „Dass dies gelingt, ist wegen des ‚D-Day‘-Papiers etwas unwahrscheinlicher geworden“, glaubt Ursula Münch. „Die Debatten über dieses kommunikative und stilistische Fehlverhalten verhindern zumindest vorübergehend, dass über die inhaltlichen Positionen der FDP debattiert wird.“ Dies erschwere es der FDP, ihre Kernwähler zurückzugewinnen und neue Wähler anzusprechen, insbesondere jüngere Wähler, die sich von der Partei mehr Innovation und Modernisierung versprochen hatten.

Münch beobachtet zudem, dass die FDP durch die einseitige Fokussierung auf Steuervermeidung und Schuldenbremseneinhaltung ihre Attraktivität für Wechselwähler und insbesondere für die Jugend verloren habe: „Gerade weil er [Lindner] die FDP recht eindimensional auf die Aspekte Steuererhöhungsvermeidung und Schuldenbremseneinhaltung verkürzt, wird es der FDP mit Lindner anders als bei der letzten Bundestagswahl kaum gelingen, Wechselwähler und vor allem auch die Jüngeren anzusprechen.“

Politikwissenschaftler Jan Treibel: Die FDP steht für das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung

„Die Ausgangsposition der FDP für diesen Bundestagswahlkampf hätte besser sein können“, konstatiert der Politikwissenschaftler Jan Treibel. Das „D-Day“-Papier habe die Glaubwürdigkeit der Partei massiv beschädigt und damit die Grundlage für einen erfolgreichen Wahlkampf erschwert.

Insbesondere Christian Lindner stehe als Spitzenkandidat unter besonderem Druck: „Seine Position ist zentral, aber auch angreifbar. Es ist schwierig, als Person für Wandel zu stehen, wenn gleichzeitig die politische Vergangenheit der Partei mit der eigenen Person verbunden wird.“

Trotz dieser Herausforderungen sieht Treibel eine klare Strategie der FDP: „Die Partei will nach außen den Eindruck erwecken, dass sie geschlossen hinter Lindner steht und dass ein Wiedereinzug in den Bundestag gesichert ist.“ Diese Geschlossenheit sei entscheidend, um Wähler zu mobilisieren und Zweifel an der Partei zu minimieren.

Zudem betont Treibel, dass die Liberalen eine zentrale Rolle für die Demokratie in Deutschland einnehmen: „Die FDP steht für das Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung.“ Diese Funktion sei entscheidend, um populistischen Strömungen hierzulande entgegenzuwirken.

Treibel: Es geht um die langfristige Relevanz der Partei

Auch nach seiner Einschätzung befindet sich die FDP aktuell in einer schwierigen Lage. „Es geht nicht nur um den Einzug in den Bundestag, sondern auch um die langfristige Relevanz der Partei im deutschen Parteiensystem.“ Dabei spiele seiner Ansicht nach die strategische Kommunikation eine Schlüsselrolle. „Die FDP muss es schaffen, sich als stabilisierende Kraft darzustellen, ohne dabei ihre Glaubwürdigkeit weiter zu untergraben.“

Eine Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen der Partei wie wirtschaftsliberale Positionen und die Förderung technologischer Innovationen könne dazu beitragen, die öffentliche Wahrnehmung wieder zu verbessern, so Jan Treibel. „Die Partei muss ihren Wählern signalisieren, dass jede Stimme zählt und die FDP weiterhin eine unverzichtbare Rolle in der politischen Landschaft spielt.“

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