Noch gibt es in Deutschland über 3 Millionen mittelständische Unternehmen. Sie waren und sind eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Oft über Generationen hinweg in Familienhand verbinden sie Bodenständigkeit mit überraschender Innovationskraft und Exportstärke. Zugleich sind diese Unternehmen meist fest in ihrer Heimatregion verwurzelt. Doch nicht nur Bürokratie und Energiekosten bedrohen immer mehr ihre Existenz: Die Eigentümer erreichen das Rentenalter, aber es gibt keine geeigneten Nachfolger für eine Geschäftsübergabe.
Creditreform: 40 Prozent der Firmen reif für Übergabe
Knapp 40 Prozent der mittelständischen Betriebe in Deutschland stehen laut einer Analyse der Wirtschaftsauskunftei Creditreform vor einer Betriebsübergabe. Das heißt: Mindestens ein Inhaber ist älter als 60 Jahre, sodass in den kommenden Jahren eine Übergabe erforderlich wird.
Die Nachfolgesuche sei häufig schwierig, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Mittelständische Betriebe seien stark durch ihre Inhaber geprägt, die enge Bindung mache die Übergabe zu einem komplexen Vorhaben. „Oft beschäftigten sich Firmen zu spät mit der Planung. Viele finden keinen geeigneten Nachfolger“, so der Experte. Die Folge: Unternehmer arbeiten häufig weiter und gehen erst im hohen Alter in den Ruhestand.
Dienstleistungsbranche besonders betroffen
Creditreform bezieht sich in der Studie nur auf Betriebe, die älter als zehn Jahre sind, 5 bis 500 Beschäftigte und eine für den Mittelstand typische Rechtsform wie GmbH haben. Berücksichtigt wurden Firmen, bei denen natürliche Personen als Gesellschafter einen Anteil von mindestens 50 Prozent halten. Hantzsch zufolge sind 145.000 der gut 373.400 Unternehmen reif für die Übergabe.
Besonders groß ist die Dringlichkeit demnach in der Dienstleistungsbranche. Hier sind mit rund 53.000 die meisten Unternehmen betroffen. Auch im Handel (37.000) und im verarbeitenden Gewerbe (27.500) steht in vielen Betrieben in den nächsten Jahren ein Wechsel in der Geschäftsführung an.
Hantzsch sieht weitere Gründe für die Nachfolgelücke – wie Fachkräftemangel, die demografische Entwicklung und eine veränderte Arbeitsmentalität. „Für viele, insbesondere junge Menschen, scheint die Verantwortung für ein Unternehmen und die Mitarbeiter in diesen Zeiten zu hoch zu sein.“ Immer mehr zögerten, das steigende unternehmerische Risiko einzugehen.
Im schlimmsten Fall verschwinden Betriebe vom Markt
Hantzsch warnt vor Konsequenzen. „Im schlimmsten Fall werden diese Betriebe dann einfach stillgelegt und verschwinden vom Markt.“ Laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammern in NRW erwartet jedes zehnte Unternehmen keine Nachfolge zu finden und bereitet sich auf eine Stilllegung vor.
In einigen Bundesländern gibt es Initiativen für die Nachfolgesuche. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium schaltete kürzlich ein Portal frei, um über vorhandene Unterstützungsangebote zu informieren.
An einigen deutschen Universitäten und Hochschulen gibt es auch Studiengänge zum Thema Unternehmensgründung und -nachfolge, zum Beispiel in Berlin, Deggendorf, Münster, München und Sankt Augustin.
Zukunft des Mittelstands: Wann wird die Politik aktiv?
Der deutsche Mittelstand steht ohne geeignete Nachfolger an einem Scheideweg. Das unternehmerische Risiko scheint den Nachwuchs abzuschrecken. Um so wichtiger das die Politik endlich geeignete Maßnahmen ergreift: Verlässliche Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie, wettbewerbsfähige Steuern und eine stabile Energieversorgung sind die Schlüssel, die das Überleben und die Attraktivität des Mittelstands sichern können.
Bleibt die Politik weiter tatenlos, könnten viele dieser Unternehmen für immer von der Bildfläche verschwinden. Die Konsequenzen wären dramatisch: Nicht nur tausende Arbeitsplätze würden verloren gehen, sondern auch das wertvolle Wissen und die Innovationskraft ganzer Generationen. Ein Kollaps wäre nicht nur ein ökonomischer Verlust, sondern ein Riss im sozialen Gefüge des Landes. Die Zukunft des Mittelstands entscheidet auch über die Zukunft Deutschlands.