Wirtschaft

Ehemaliger Adidas-Chef rechnet mit Deutschland ab: "Seit 2003 keinen wirtschaftlichen Plan mehr"

Der ehemalige Adidas-Vorsitzende Kasper Rørsted äußert sich kritisch über Deutschland und seine Wirtschaftspolitik. Verantwortlich für die Misere macht er fehlende Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung sowie eine mangelnde Integrationspolitik. An Ex-Kanzlerin Merkel lässt der Däne kaum ein gutes Haar, genauso wenig wie an der Ampel- und EU-Politik.
19.02.2025 16:00
Lesezeit: 6 min
Ehemaliger Adidas-Chef rechnet mit Deutschland ab: "Seit 2003 keinen wirtschaftlichen Plan mehr"
Kasper Rorsted war von 2016-2022 Vorstandsvorsitzender der Adidas AG. (Foto: dpa) Foto: Daniel Karmann

In den vergangenen 15 Jahren bekleidete Kasper Rørsted Spitzenpositionen in einigen der größten Unternehmen Deutschlands. Seit seinem Ausscheiden als Adidas-CEO Ende 2022 ist es ruhiger um den Topmanager geworden. Mit Aufsichtsratsmandaten unter anderem bei Siemens und Maersk gehört es nun zu seinen Aufgaben, die weltwirtschaftliche Lage zu analysieren und seine Erkenntnisse in die Entscheidungen einiger der größten Unternehmen Europas einfließen zu lassen. „Jetzt kann ich meine Meinung frei äußern“, sagt der 62-jährige Wirtschaftsmanager, der in München lebt.

Und was wäre naheliegender, als ihn kurz vor der Bundestagswahl zur aktuellen Situation in Deutschland zu befragen – dem Land, in dem Kasper Rørsted mehr als die Hälfte seines Lebens verbracht hat und indem er immer noch lebt?

Deutsche Wirtschaft befindet sich in der schlechtesten Lage der letzten 30 Jahre

„Die deutsche Wirtschaft befindet sich nun im dritten Jahr in Folge in einer technischen Rezession. Das ist die schlechteste Lage der letzten 30 Jahre. Die letzte wirkliche wirtschaftliche Strategie für Deutschland war Gerhard Schröders ‚Agenda 2010‘ aus dem Jahr 2003“, erklärt Rørsted und kommt schnell zu seiner Erklärung, warum das deutsche Wirtschaftswunder in ein wirtschaftliches Albtraum-Szenario umgeschlagen ist: „Deutschland hatte eine grundsolide Wirtschaft – ohne in Technologie und Infrastruktur zu investieren.“

Ehemaliger Adidas-Chef: Merkel hinterließ ein reformbedürftiges Deutschland

Dass Deutschland sich in einer Polykrise befindet, mit Herausforderungen, soweit das Auge reicht, ist keine exklusive Meinung von Kasper Rørsted.

Über Jahrzehnte hinweg basierte das deutsche Wirtschaftswachstum auf drei stabilen Säulen: billige Energie aus Russland, ein lukrativer Absatzmarkt in China und ein sicherheitspolitischer Schutzschirm der USA. Doch innerhalb weniger Jahre sind alle drei Säulen zusammengebrochen – und Deutschland steht ratlos da.

Deutschland beendete das Jahr 2024 mit Nullwachstum, und die OECD prognostiziert, dass es 2025 die niedrigste Wachstumsrate unter den 20 größten Volkswirtschaften (G20) haben wird. Die Uneinigkeit über den Weg aus der Krise führte zum Bruch der Ampelkoalition aus Grünen, FDP und SPD.

Erhöhte Sozialausgaben, kaum Investitionen in Infrastruktur und fatale Energiepolitik - Rørsteds Urteil über Merkel fällt vernichtend aus

Hinter den nüchternen Fakten zeichnet sich auch eine Kritik an einer früheren Kanzlerin Angela Merkel ab. Von 2005 bis 2021 brachte Angela Merkel mit ihren farbenfrohen Blazern etwas Abwechslung ins Kanzleramt. Doch wirtschaftlich hinterließ sie laut Kasper Rørsted ein Deutschland, das grau, unflexibel und dringend reformbedürftig sei.

„Statistisch gesehen gab es unter Angela Merkel einen enormen Anstieg der Sozialausgaben, während gleichzeitig kaum in grundlegende Strukturen investiert wurde – sei es in Schulen, Straßen oder die Digitalisierung. In Kombination mit einer fatalen Energiepolitik und einer unüberlegten Flüchtlingspolitik hat das Deutschland in eine äußerst schlechte Lage gebracht“, sagt Kasper Rørsted.

Deutschland hinkt in Sachen Digitalisierung weit hinterher

„Das Land ist analog", sagt der Ex-Topmanager. "Das bedeutet, dass es in Deutschland Dinge gibt, die man nicht tun kann, die aber in anderen Ländern selbstverständlich sind. Ich selbst erhalte jede Woche 30 physische Briefe."

Für Rørsted symbolisiert nichts treffender die digitale Rückwärtsgewandtheit Deutschlands und seiner ehemaligen Eliten als ein Merkel-Zitat aus dem Jahr 2013, in dem die damalige Kanzlerin das Internet als „Neuland“ bezeichnete. Heute haben nur 10 Prozent der deutschen Haushalte Zugang zu schnellem Glasfaser-Internet. Im OECD-Durchschnitt sind es 33 Prozent. Rørsted Heimatland Dänemark etwa liegt mit 90 Prozent an der Spitze.

Nachzulesen ist dieser Befund auch beim Wirtschaftsjournalisten Wolfgang Münchau, der in seinem aktuellen Buch Kaput die schlechte Netzabdeckung als einer der Gründe nennt, warum die deutsche Automobilindustrie im Wettlauf um wettbewerbsfähige Elektroautos weit zurückgefallen ist. Es sei schwierig gewesen, die Software der Fahrzeuge auf deutschen Straßen zu testen, weil die Mobilfunkverbindung oft fehle. Münchau nennt auch ein Beispiel eines Start-ups mit 16 Mitarbeitern, das seinen Betrieb nicht aufnehmen konnte, weil es – trotz Standort in der Hauptstadt Berlin – keinen Zugang zu einer Internetverbindung bekam.

"Was muss strategisch getan werden, damit die Deutschen wieder zu dem zurückkehren, worin sie gut sind?"

„Ich lebe in Bayern. Wenn ich in Richtung Süden in die Berge fahre, kann ich nicht telefonieren – und Bayern ist eine der reichsten Regionen Deutschlands. Deutschland liegt fünf bis zehn Jahre hinter Dänemark zurück. Aber das sind Dinge, die man hier und jetzt ändern kann“, sagt Kasper Rørsted zu Veranschaulichung des Problems.

„Große deutsche Unternehmen wie BMW oder Siemens, in deren Aufsichtsrat ich sitze, sind vollständig digitalisiert. Aber man muss auch die nächste Generation mitnehmen und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Man muss bereit sein, sich zu fragen: Was muss strategisch getan werden, damit die Deutschen wieder zu dem zurückkehren, worin sie gut sind?“, stellt Rørsted die aus seiner Sicht entscheidende Frage.

"Deutschland hat seit 2003 keinen wirtschaftlichen Plan mehr"

Gab es während der Ampel-Regierungszeit in Deutschland nicht große wirtschaftliche Investitionen, die von einer strategischen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik zeugten? Etwa nach den Lieferkettenproblemen während der Corona-Krise, die die deutsche Automobilindustrie an der Beschaffung von Mikrochips hinderte, hat die deutsche Regierung Investitionen in Höhe von fast 13 Milliarden Euro beschlossen, um eine lokale Produktion aufzubauen.

Ein weiteres Beispiel ist die Investition der deutschen Regierung von sechs Milliarden Kronen (rund 800 Millionen Euro) in eine Batteriefabrik für Elektroautos in Norddeutschland, um die Abhängigkeit von China zu verringern. Doch das Unternehmen, das diese Investition erhalten hat – Northvolt – befindet sich derzeit in den USA im Insolvenzverfahren.

„Das Problem ist, dass es seit 2003 keinen wirtschaftlichen Plan mehr gibt. Es ist notwendig, eine Strategie für fünf bis acht Jahre festzulegen. Und man muss akzeptieren, dass dies möglicherweise einen Rückgang des Lebensstandards in Deutschland bedeutet – das könnte unangenehm werden. Aber man kann nicht weiterhin rückwärtsgewandt Entscheidungen treffen. Gerade die Industrie braucht einen klaren Plan und Planungssicherheit, um Investitionen langfristig ausrichten zu können“, sagt Kasper Rørsted.

Niedrige Produktivität, geringes Arbeitskräfteangebot hohe Fehlzeiten und viele Krankheitstage

„Deutschland hat eine sehr niedrige Produktivität – bedingt durch die mangelnde Digitalisierung, ein geringes Arbeitskräfteangebot, hohe Fehlzeiten und viele Krankheitstage“, sagt Kasper Rørsted und kehrt zurück zu einer für ihn entscheidenden Herausforderung, die die etablierten Parteien lösen müssen, wenn sie das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen wollen:

„Seit 2015 hat Deutschland drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen, die in den letzten zehn Jahren nicht integriert wurden. Wenn das Land nicht weiter gespalten werden soll, muss dieses Problem ernst genommen werden. Hätte Deutschland die Flüchtlingspolitik von Mette Frederiksen verfolgt, glaube ich nicht, dass wir heute die AfD in dieser Stärke hätten“, sagt Kasper Rørsted.

Wenn Rørsted ein deutscher Politiker wäre und 100 Milliarden Euro zur Verfügung hätte, würde er sie in die Digitalisierung und in Schulen investieren. "Seit ich 1991 nach Deutschland gekommen bin, gab es keine Reformen im Bildungssystem. Digitalisierung ist die Grundlage für Gesellschaft und Wirtschaft. Deutschland muss ein wettbewerbsfähiges Niveau erreichen. Das Schulsystem ist die langfristige Investition, damit in 20 Jahren noch Rechnungen bezahlt werden können“, so der ehemalige Top-Manager.

Rørsted: "Die EU hat sich selbst überreguliert und dadurch dem Handel geschadet"

Rørsteds Kritik endet nicht an der deutschen Grenze. Auch über die EU hat er wenig Positives zu sagen, denn in den letzten 15 Jahren habe sie „Europa nicht geholfen“. „Es wurde eine enorme Bürokratie aufgebaut. Die EU hat sich selbst überreguliert und damit vielen Unternehmen und Ländern in Europa geschadet, anstatt den Handel zu fördern. Man kann nur hoffen, dass die EU nun den richtigen Weg einschlägt, da die wirtschaftliche Lage der Länder immer angespannter wird“, so Kasper Rørsted. Und da die EU von aggressiven Großmächten umgeben ist, die ihr nicht unbedingt wohlgesonnen sind, müssen europäische Unternehmen ihren Platz in einer neuen Weltordnung finden, meint der ehemalige Topmanager.

„In den letzten fünf Jahren hat sich die globale Gemengelage dahingehend verändert, dass Regionen nicht mehr miteinander, sondern gegeneinander konkurrieren. Ich bin nicht übermäßig deprimiert über diesen Wandel, aber man muss sich fragen, welche Chancen sich daraus für Unternehmen ergeben“, sagt Rørsted und fordert Reformen – lieber heute als morgen.

Nur Trübsal blasen will Rørsted aber deswegen nicht: „Die EU ist derzeit schlechter positioniert als seit langer Zeit. Sie muss sich selbst reformieren. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die EU mit 400 Millionen Menschen einen großen Vorteil hat – viele davon sind gut ausgebildet. Die Substanz ist also vorhanden.“

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