Als Cornelia Bohn im Jahr 2012 ihren ersten, eigenen Whisky abfüllt, steigen ihr die Tränen in die Augen. Den hatte sie gemacht, mit ihren eigenen Händen. Preussischer Whisky, mit Noten von Karamell, Trockenfrüchten und Schokolade, gebrannt in einem umgebauten Pferdestall in der Uckermark. „Das war der schönste Moment in meiner Unternehmensgeschichte“, sagt Bohn heute und lächelt. „Whisky ist das vielleicht komplexeste Getränk der Welt. Und dann zu sagen: „Der ist meiner. Den hab ich jetzt im Glas. Das war phänomenal!“
Erfolg besteht aus drei Buchstaben: T-U-N
Doch wie kommt eine in der DDR aufgewachsene Pharma-Ingenieurin dazu, deutschen Whisky nicht nur zu brennen – sondern auch noch erfolgreich zu vertreiben? Es ist eine lange Geschichte, von Sehnsucht, von Mut, von Pioniergeist. Bohn fasst das kurzerhand so zusammen: „Erfolg besteht aus drei Buchstaben: T-U-N. Man muss es einfach machen. Ins kalte Wasser springen. Wenn man drin ist, ist es nicht mehr schlimm.“
Liebe auf den ersten Schluck
Whisky gibt es für Cornelia Bohn in der DDR damals nicht. Die Liebe entsteht durch Zufall, auf einer Reise mit ihrem damaligen Mann durch Bulgarien. „Da haben wir jemand kennengelernt, der hat uns zu sich nach Hause eingeladen. Und für die Männer gab es dann Whisky. Ich als Frau wurde mit Wasser im Nebenzimmer abgespeist.“ Die Männer waren irgendwann unterwegs. Die Flasche stand unbewacht auf dem Tisch, und Bohn war neugierig. „Das Bild, das ich von Whisky hatte, war sehr amerikanisch geprägt. So ein bernsteinfarbener Trunk, den der Held im Film bestellt, wenn er – natürlich ein Mann – die Welt gerettet hat. Der geht dann in so eine Bar, links und rechts je eine schöne Frau, und trinkt dann Whisky.“ Als Bohn in Bulgarien von der einsamen, herrenlosen Flasche kostet, ist sie Feuer und Flamme: „Das war ganz weich, aber auch scharf, mit Vanille, sehr komplex und widersprüchlich.“
Whisky vom Begrüßungsgeld
Das nächste Mal, als sie Whisky trinkt, studiert sie in Berlin und bestellt ihn in einer Bar. Was der Barkeeper dann kredenzt, weiß sie nicht mehr genau. Nur noch, dass sie entrüstet war: Das schmeckte nicht wie damals, das war doch kein Whisky! Geduldig habe ihr der Barkeeper dann die verschiedenen Varianten und Herstellungsverfahren erklärt – und sie damit neugierig gemacht. Die Liebe zum Whisky wächst so weiter. Die Zeit vergeht, die Wende kommt, es gibt Begrüßungsgeld, und Bohn kauft sich davon im Westen erstmal eine Flasche Whisky, die sie gemeinsam mit ihrem Vater verköstigt. Es bleibt nicht bei der einen, und plötzlich ist da der Wunsch, das mal selbst zu machen. „Aber nicht nur verkaufen. Sondern wirklich handwerklich selbst herstellen, so wie ich ihn haben will!“
Kredit nur durch Vollzeitjob
Ihr Ziel verfolgt sie Schritt für Schritt, alleine, hartnäckig. Sie wird erstmal Pharma-Ingenieurin, arbeitet in der Apotheke. Auch, um überhaupt an den Kredit für Grundstück und Brennanlage zu kommen. Denn die eine Bank, die sich da überhaupt ran traut, besteht auf der Sicherheit eines festen Angestelltenverhältnisses. In der Apotheke mischt sie Zutaten zusammen, für Medizin, destilliert Kräuterauszüge. Aber der Whisky ist da schon längst mit dabei, begleitet sie zuerst als Traum, dann als Gedanke, dann als Ziel – und wird schließlich Realität. Lange hält sie die Idee geheim: sie als Whiskybrennerin. Vor den Kollegen, den Freunden: „Das können die besten Freunde sein, aber dann hat jeder eine Meinung dazu. Die stimmt aber meistens nicht. Und wichtig ist ja, was man selbst fühlt!“ Sogar die eigene Familie erfährt erst zwei Jahre nach dem 2006 gefassten Entschluss von Bohns brennendem Interesse. Nämlich als auf dem Baustellenschild auf ihrem Grundstück ausgewiesen wird, dass aus diesem alten Pferdestall in der Uckermark nördlich von Berlin eine Destillerie wird. „Dann erst hab ich’s ihnen gesagt“, erzählt Bohn.
Vom schwäbischen Whisky-Meister lernen
2008 geht es also los. Das Brennen lernt sie in Schwaben, zum einen an der Uni Hohenheim bei Stuttgart, zum anderen bei der Teck-Brennerei, die schwäbischen Whisky herstellt. „Der alte Brennmeister Christian Gruel hat so sehr geschwäbelt, dass ich ihn nicht verstand. Da musste der 21-jährige Enkel Immanuel übersetzen“, erinnert sich Bohn. Ihr erstes eigenes Destillat, gebrannt nahe Schwedt an der Oder, packt sie dann in fünf Fässer aus amerikanischer Weißeiche. Dann überzeugt sie noch charmant den Zoll davon, dass sie die Alkoholsteuer von 13,03 Cent auf den Liter puren Alkohol erst nach Fertigstellung zahlen muss. „Sonst wäre das ganz schön teuer geworden. Denn während des Reifevorgangs im Fass verdunsten um die 25 Prozent des Whiskys." Das ist der so genannte Angels‘ Share – der Anteil der Engel, die sich was vom Whisky nehmen.
Die altsächsischen Askanier als Inspiration
Drei Jahre und ein Tag muss der Getreidebrand im Fass verbringen, um sich dann nach EU-Recht Whisky nennen zu dürfen. Bohns erste Abfüllung erfolgt am 11.12.2009 – fertig ist er dann am 12.12.2012. „Für mich war dieses runde Datum ein gutes Omen“, erinnert sich Bohn. Es war viel zu tun. „Ich arbeitete damals sicherlich mehr als 80 Stunden in der Woche. Und dazu hatte ich noch Familie. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich das damals geschafft hatte.“ Bohn hat dieses Feuer in sich, diesen Pioniergeist. Sie liebt es, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ein Name muss auch noch her. Ursprünglich sollte er „Askanien. Preussischer Whisky“ heißen, nach dem altsächsischen Geschlecht der Askanier. Aber der Name war schon von einer Berliner Uhrenmarke belegt. So wurde daraus einfach „Preussischer Whisky“.
Deutscher Whisky war in Deutschland verpönt
Deutschen Whisky traut man damals in Deutschland wenig zu. Mittlerweile ist das anders, auch japanische Whiskys genießen international einen guten Ruf. Wenn das Getränk aber national nicht gut vermarktet werden konnte, muss also ein internationaler Ansatz her. „Ich dachte mir, ich zäume das Pferd von hinten auf!“, sagt Bohn. Nicht ganz einfach. „Deutschland steht im Ausland ja vor allem für Bier und Dirndl und Oktoberfest“, sagte Bohn. Das will sie ändern. Und nicht in der Apotheke „versumpfen“.
Es folgt mehr kaltes Wasser, in Form einer Whisky-Messe in New York, dem „Whiskyfest“. Bohn, die in der Schule Russisch gelernt hat und wenig Englisch spricht, muss nun ein alkoholisches Getränk in das diesbezüglich nach wie vor eher puritanische Amerika bringen und dort so inszenieren, dass ihr Whisky neben den ganz großen Labels auf der Messe irgendwie Aufsehen erregt. Sie lernt bei der Außenhandelskammer Menschen kennen, die ihr helfen. Die sich um Einfuhrerlaubnis und Versicherung kümmern und sogar bei der Messe mit am Stand stehen.
Preussische Husarenuniformen auf der New Yorker Messe
Damit es was Besonderes wird und zur Marke passt, gibt Bohn preussische Husarenuniformen in Auftrag, in Grau. Passend dazu Behälter in grauem Filz für die Flaschen, eine Hintergrundwand, grau, darauf ein Pferd. Per Hologramm-Technik ragt aus dem Pferd eine Flasche Whisky, mit ein paar Tropfen drumherum. Sogar eine alte Pickelhaube tut sie auf, dazu noch Reiterstiefel – und hat durchschlagenden Erfolg auf der Messe. Beseelt kehrt sie nach Deutschland zurück. In den USA wird ihr Whisky gekauft. Aber noch ist es nicht geschafft.
Bio-Zutaten aus Deutschland
Bohn bleibt weiter in der Apotheke tätig – in einem Vollzeitjob. „Das war so viel Arbeit. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, was ich damals geleistet habe. Aber ich fand das nicht schlimm. Für mich war das Aufbruchsstimmung!“ Mann und Kind sind „pflegeleicht“, für sie ist es OK, wenn sie viel Zeit in der Destille verbringt. 2013 stellt Bohn die Produktion dann auf „organic“ um – seitdem verwendet sie nur noch Zutaten in Bioqualität. Und Whiskyhefe, die nicht genmanipuliert wurde. Jedes Etikett ist handgeschrieben, jede Flasche ein Unikat, single batch, in Fassstärke von 52 bis 60 Prozent Alkohol, ungefiltert. Die Zutaten stammen aus Deutschland: Gerstenmalz, über Buchenholz geräuchert. Wasser aus der Uckermark. Die Kunden stammen zur Hälfte aus Deutschland, zur anderen Hälfte aus der ganzen Welt. In der Brennerei selbst hat sie keinen Verkauf, selbst wenn das bessere Margen brächte als nur über den Handel. Aber Führungen, Verkostungen und Verkauf vor Ort würden wieder Zeit und Geld kosten. Bohn will sich auf Whisky und Familie konzentrieren. Und auf den Vertrieb.
Erste Frau mit eigener Whisky-Destille
„Ich war viel unterwegs, habe sehr viele Termine mit der Presse und auf Messen mitgenommen. Das war auch ganz schön viel – vielleicht zu viel“, erinnert sich Bohn. Mittlerweile tritt sie weniger aufs Gaspedal. Die am häufigsten gestellte Frage seitens der Presse damals lautete übrigens: Wie kommt man ausgerechnet als Frau darauf, Whisky zu machen? Ist doch egal, ob Männlein oder Weiblein, findet Bohn -die Frage ist doch, was man gerne macht! Nach wie vor gilt sie als erste Frau der Welt mit eigener Whisky-Brennerei, die sie aufgebaut hat und betreibt – auch wenn es wohl schon mal eine Schottin gab, die diesbezüglich fast Anspruch auf den Titel hätte, erzählt Bohn von eigenen Nachforschungen. Das Whiskyschmuggler-Pärchen Helen Cumming und John Cumming gründeten 1824 in Moray die Destille Cardhu – welche dann von der Schwiegertochter Elisabeth übernommen wurde, die sie weiterführte. Aber Bohn hat selbst von Anfang an alles allein gemacht – damit ist sie die erste Frau, die das tut.
Rammstein-Designer wird mit Whisky entlohnt
Sie hat ein Händchen für gute Wegbegleiter. Das hilft. Beispielsweise findet sie ihren Grafikdesigner über das Cover einer Enigma-CD ihres Mannes. Das gefällt ihr so gut, dass sie den Designer, der das Artwork gestaltet hat, einfach anruft und fragt, ob er für sie tätig werden wolle. Der Designer stellt sich als Koryphäe Dirk Rudolph heraus, der unter anderem Bands wie Rammstein in Szene setzt. Die beiden werden sich einig. Die Bezahlung erfolgt auch in Form von Whisky.
Welche Art von Marketing schlussendlich zum Erfolg führe, wisse man nie so ganz, sagt Bohn. „Auf einer Messe beispielsweise kann es auch mal so sein, dass drei Tage tote Hose ist, und eine Visitenkarte dann alles verändert.“ So geschehen auf der Slow Food in Stuttgart. Auf diese Weise lernt Bohn ihren bislang größten Kunden kennen Und so langsam läuft der Laden richtig gut.
Eine folgenschwere Entscheidung: Expandieren oder klein bleiben?
2015 kündigt sie endlich den Job in der Apotheke und widmet sich dann ganz dem Brennen und ihrer Liebe zum Whisky. Der Erfolg gab ihr Recht. Die Banken, die zu Beginn zögerlich waren, drängen nun auf Expansion. Jeder rät ihr, das Unternehmen zu vergrößern. Während zu Anfang noch ihr Mann die Säcke mit Malz schleppte, sollen das nun Angestellte tun, auch das Brennen übernehmen, Bohn vom Schreibtisch alles managen. Und das, sagt sie, wollte sie nun wirklich nicht. „Mir geht es doch genau um das handwerklich tätig sein. Riechen, schmecken, etwas Eigenen schaffen!“ Brennen ist das, was sie schon immer hatte machen wollte. Bürokratie und Organisation mit all den Kontrollen vom Zoll, der Arbeitshygiene, dem Arbeitsschutz, der Biokontrollstelle und dem Bauamt, das ist nur ein notwendiges Übel. Bohn trifft also eine folgenschwere Entscheidung: Sie bleibt ein kleiner Betrieb. Und freut sich dann in der Corona-Pandemie darüber, dass sie niemand entlassen muss. „Wir hielten die Füße still, und das hat geklappt“, sagt sie. Aber dafür gibt es nun neue Probleme.
Der nächste Sprung ins kalte Wasser?
Jetzt geht es der Wirtschaft schlecht. „Die Kaufkraft ist runter gegangen, alles ist teurer geworden“, sagt Bohn. Die Fässer, die früher 400 bis 500 Euro kosteten, gibt es heute nicht mehr für unter 1.000 Euro. Die Flaschen für den Whisky, die Kosten für die gasbetriebene Destille – all das macht ihren Whisky immer teurer. Aber irgendwann reicht es mit den Preiserhöhungen, findet Bohn. „Ich habe die Produktion schon sehr heruntergefahren. Und ich will auch nicht immer weiter auf den Preis aufschlagen, ich bin eh schon die teuerste Anbieterin am deutschen Markt.“ Sie verzichtet da lieber auf Gewinn, bietet keinen 3-Jährigen mehr an, nur noch 5-Jährigen und 12-Jährigen. Sie habe jetzt mehr Freizeit, sagt Bohn, die 2025 ihren 60. Geburtstag feiert. „Es ist, wie es ist. Ich kann und will hier nicht als David gegen Goliath kämpfen. Aber ich kann nachvollziehen, dass einige unter diesen Bedingungen aufhören.“ Für sie ist das anders. Denn nun juckt es sie langsam wieder in den Fingern, etwas Neues auszuprobieren. Mal wieder ins kalte Wasser zu springen.
Ständiger Stillstand ist der Tod
„Ich finde das gar nicht so schlimm, wenn es mal nicht rund läuft. Es verändert sich doch eh alles. Und ständiger Stillstand ist der Tod.“ Zugegeben, nur „sehr ungerne“ würde Bohn ihre Zelte in der Uckermark abbrechen. „Das ist ein schöner Ort, der hat eine Seele!“ Aber sie würde, wenn es weiter geht, ihre Destille einpacken und weiterziehen, sagt sie. Wohin, das will sie noch nicht verraten. Aber es könnte schon sein, dass sie den Standort verlagert und vielleicht auch mal etwas anderes brennt. „Ich mag das, diese Herausforderungen. Das kurbelt die Fantasie an. Denn man muss auch mal raus aus dem alten Trott – und der Zufall schreibt die besten Geschichten!“ So langsam kommt sie also wieder – Cornelia Bohns Lust auf kaltes Wasser. Und das Kribbeln der Vorfreude auf ein neues Abenteuer mit unbekanntem Ausgang.