Politik

Querdenker Michael Ballweg: Nach neun Monaten in U-Haft - Gericht will Verfahren einstellen

Sensation im Prozess gegen Querdenken-Gründer Michael Ballweg, der in der Pandemie Tausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen mobilisierte, vor dem Landgericht Stuttgart: Nach einem Drittel der mehr als 70 angesetzten Verhandlungstage hat das Landgericht Stuttgart vorgeschlagen, das Verfahren gegen den Stuttgarter Unternehmer wegen Geringfügigkeit einzustellen.
22.03.2025 08:42
Aktualisiert: 22.03.2025 09:32
Lesezeit: 3 min
Querdenker Michael Ballweg: Nach neun Monaten in U-Haft - Gericht will Verfahren einstellen
Querdenken-Gründer Michael Ballweg saß 280 Tage in Untersuchungshaft in der JVA Stuttgart-Stammheim. (Foto: dpa) Foto: Marijan Murat

Plötzliche Wende im Verfahren gegen „Querdenken“-Initiator Michael Ballweg: Die Strafkammer schlägt eine Einstellung des Betrugsprozesses vor. Man wolle anregen, das Verfahren gegen den Angeklagten wegen Geringfügigkeit einzustellen, teilte die Vorsitzende Richterin in Stuttgart nach einem vorherigen Gespräch mit den Prozessbeteiligten mit.

Gericht will Verfahren einstellen: kein hinreichender Tatverdacht

Ballweg muss sich wegen versuchten Betrugs verantworten, auch Steuern soll er laut Anklage hinterzogen haben. Allerdings ist die Kammer derzeit der Auffassung, dass man dem 50-jährigen Unternehmer keinen Vorsatz nachweisen könne.

In einer Mitteilung des Gerichts heißt es ausdrücklich, „dass weder hinsichtlich des Tatvorwurfs des versuchten Betruges in 9.450 Fällen noch hinsichtlich des Großteils der angeklagten versuchten Steuerhinterziehung bzw. vollendeten Steuerhinterziehung die Tatvorwürfe nachweisbar seien.“

Die Staatsanwaltschaft lehnt den Vorschlag des Gerichts jedoch ab. Eine Verurteilung sei weiterhin wahrscheinlich, sagten die Ankläger am 27. Verhandlungstag. Die Sach- und Rechtslage sei nicht anders zu bewerten als zur Eröffnung des Verfahrens, betonte eine Sprecherin der Anklagebehörde. Noch seien mehr als 20 Verhandlungstage terminiert, auch die Beweisaufnahme sei noch lange nicht abgeschlossen.

Damit wird der Prozess fortgesetzt. Am Montagnachmittag beantragte die Staatsanwaltschaft einen Befangenheitsantrag gegen die Berufsrichter in dem Verfahren.

Nur ein kleiner Restbetrag bleibt

Ballweg soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft durch öffentliche Aufrufe mehr als eine Million Euro von tausenden Menschen für die Organisation eingeworben, die Spender aber über die Verwendung von Geldern getäuscht haben. Die Ankläger werfen ihm vor, 575.929,84 Euro für private Zwecke verwendet zu haben. Dokumentiert sind belegbare Ausgaben für die „Querdenken“-Bewegung in Höhe von 843.111,68 Euro.

Ballweg ist nicht wegen Betrugs, sondern nur wegen versuchten Betrugs angeklagt, weil einigen Spendern wohl gleichgültig war, was mit dem Geld passiert, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

Nach Auffassung des Gerichts lässt sich nach der bisherigen Beweisaufnahme Ballweg der Vorwurf des versuchten Betrugs voraussichtlich nicht nachweisen. Bei rund 380.000 Euro sei etwa schlicht nicht nachweisbar, was mit dem Geld passiert sei, sagte ein Gerichtssprecher. Von den Vorwürfen der Steuerhinterziehung bliebe womöglich nur ein kleiner Restbetrag übrig, der im Bereich zwischen ein paar Euro und rund 2.000 Euro liege. Bei beiden Delikten sehe das Gericht es als Problem an, den Vorsatz nachzuweisen. Nach Auffassung der Kammer gebe es auch wenig Aussicht, dass sich das noch erhärten lasse.

Gerichtssprecher betont aufwendiges Verfahren

Mit Blick auf die Vorwürfe der versuchten und vollendeten Steuerhinterziehung hätten Ballwegs Steuerunterlagen bei seinem langjährigen Steuerberater vorgelegen, so das Gericht. Da Ballweg seinen Steuerberater nicht von der Schweigepflicht entbunden habe, könne auch nicht aufgeklärt werden, warum der Berater diese Unterlagen nicht beim Finanzamt eingereicht habe. Ballweg habe zu dem Zeitpunkt in Untersuchungshaft gesessen, was die Kommunikation weiter eingeschränkt habe, so ein Sprecher.

Es gehe beim Vorschlag der Einstellung auch um Verfahrensökonomie, sagte der Gerichtssprecher. Der Prozess sei mit viel Aufwand verbunden. Aus Sicht des Gerichts steht der Aufwand nicht im Verhältnis zum zu erwartenden Urteilsspruch.

Ballwegs Anwalt spricht von Riesenerfolg

Das Gericht habe der Staatsanwaltschaft mit seinem Vorschlag den Boden unter den Füßen weggezogen, sagte einer von Ballwegs Rechtsanwälten. Aus Sicht der Verteidigung ist das ein Riesenerfolg. Hätte die Staatsanwaltschaft der Einstellung zugestimmt, hätten alle Verfahrensbeteiligten gesichtswahrend aus dem Verfahren ausscheiden können. „Dem Angeklagten ist großes Leid zuteilgeworden.“

Auch Ballweg selbst freute sich über den Vorschlag des Gerichts. Er stellte sich und seine Anhänger erneut als juristisch verfolgt dar. Auch in der Corona-Pandemie sei mit hohen Zahlen argumentiert und Freiheitsrechte seien eingeschränkt worden, am Ende sei davon nichts übrig geblieben.

„Querdenken“-Initiator saß neun Monate in U-Haft

Ballwegs Anwälte hatten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft immer wieder zurückgewiesen. Der Querdenken-Initiator saß wegen der Vorwürfe ab Juni 2022 bereits monatelang in Untersuchungshaft, weil die Behörden von einer Fluchtgefahr ausgingen. Immer wieder hatten seine Anhänger vor dem Gefängnis demonstriert. Im April 2023 war er aus der Haft entlassen worden.

Die „Querdenken“-Bewegung hatte sich im Zuge der Corona-Pandemie von Stuttgart aus in vielen deutschen Städten formiert. Die Anhängerinnen und Anhänger demonstrierten immer wieder öffentlich gegen die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus.

Unterstützer, Anwälte und Ballweg selbst hatten immer wieder erklärt, dass der Prozess eine politische Dimension habe und Ballweg in U-Haft de facto ein politischer Gefangener gewesen sei. Die jüngsten Entwicklungen rücken diese Debatte wieder in den Fokus. Besonders vor dem Hintergrund, dass einer der involvierten Staatsanwälte, Dr. Christian Schnabel, aktives Mitglied der Grünen ist.

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