Politik

Merz und Macron: Freundschaft unter Spannung

Die Achse Berlin–Paris wankt: Trotz aller Bekenntnisse zu Einigkeit stehen sich Deutschland und Frankreich bei Rüstung und Handel unversöhnlich gegenüber. Wird der „Neuanfang für Europa“ zur Illusion?
24.07.2025 10:46
Aktualisiert: 24.07.2025 10:46
Lesezeit: 2 min

Trotz demonstrativ guter persönlicher Beziehungen zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz steht die angekündigte Wiederbelebung der deutsch-französischen Partnerschaft auf wackeligen Beinen. Denn in den zentralen Bereichen Verteidigung und Handel sind die Differenzen tiefgreifend.

Bereits im Mai, kurz nach seiner Amtseinführung, reiste Merz nach Paris, wo er einen „Neuanfang für Europa“ ausrief, wie Politico berichtet. Beide Seiten betonten damals ihre Bereitschaft zu engerer Kooperation, besonders im wirtschaftlichen Bereich. Auch beim umstrittenen Thema Kernenergie gab es Bewegung: Deutschland stellte in Aussicht, seine ablehnende Haltung gegenüber der Einstufung von Atomstrom als nachhaltige Energieform zu überdenken.

Rüstungsfragen blockieren die Einigkeit

Doch gerade in sicherheitspolitischen Fragen nehmen die Spannungen zu. Deutschland plädiert – mit Rückendeckung aus Washington – dafür, amerikanische Waffenlieferungen an die Ukraine stärker zu koordinieren. Frankreich hingegen hält an seinem Kurs fest, auf europäische Rüstungsproduktion zu setzen und sich weniger abhängig von den USA zu machen. Auch das gemeinsame Projekt eines europäischen Kampfjets, der als Gegengewicht zur F-35 dienen sollte, liegt derzeit auf Eis. Paris bemüht sich zwar um Deeskalation, doch ein klarer gemeinsamer Kurs ist nicht erkennbar.

Streitpunkt Handel: US-Zölle und Agrarschutz

Noch ausgeprägter sind die Differenzen in der Handelspolitik. Merz setzt sich für ein zügiges Freihandelsabkommen mit den USA ein, um die noch aus der Trump-Zeit stammenden Strafzölle abzubauen, die insbesondere der deutschen Exportindustrie geschadet haben. Frankreich hingegen pocht auf strengere Auflagen und zeigt sich zurückhaltender. Macron lehnt zudem das EU-Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Mercosur-Bund ab – vor allem aus Rücksicht auf französische Landwirte, die sich vor billigen Fleischimporten fürchten.

Bedeutung für Berlin und Brüssel

Für Deutschland steht viel auf dem Spiel: Ohne Fortschritte bei der Handelsöffnung gegenüber den USA bleiben zentrale Industriezweige wie Maschinenbau und Automobil unter Druck. Gleichzeitig ist Deutschland bei militärischen Großprojekten wie dem Kampfjet auf die Kooperation mit Paris angewiesen. Die strategische Balance zwischen industriepolitischem Eigeninteresse und europäischer Einigung wird so zum Drahtseilakt für Berlin.

Viele deutsche Beobachter fordern deshalb einen realpolitischen Kompromiss: Berlin soll Paris bei Verteidigungsfragen entgegenkommen, während Frankreich seine protektionistische Linie in der Handelspolitik überdenken müsse. Doch die politische Lage ist angespannt: Der wachsende Einfluss rechter Kräfte in beiden Ländern und innenpolitischer Druck könnten den ohnehin schmalen Korridor für Einigungen bald schließen.

Die traditionell starke deutsch-französische Partnerschaft – einst als Motor der europäischen Integration gepriesen – droht an gegensätzlichen Interessen und politischen Realitäten zu scheitern.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
avtor1
Marius Vaitiekūnas

Zum Autor:

Marius Vaitiekūnas ist ein ausgewiesener Experte für Geopolitik und internationale Wirtschaftsverflechtungen. Geboren 1985 in Kaunas, Litauen, schreibt er als freier Autor regelmäßig für verschiedene europäische Medien über die geopolitischen Auswirkungen internationaler Konflikte, wirtschaftlicher Machtverschiebungen und sicherheitspolitischer Entwicklungen. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die globale Energiepolitik und die sicherheitspolitischen Dynamiken im osteuropäischen Raum.

DWN
Technologie
Technologie Lidl krempelt den Einkauf um: Warum die Scan-and-Go-Technologie den Handel umdreht
13.12.2025

Litauens Handelsketten treiben den digitalen Umbruch voran. Das Selbstscansystem Scan & Go kommt nun in die Lidl Filialen. Bisher wurde...

DWN
Politik
Politik Billigfluglinien bereiten sich bereits auf Flüge in die Ukraine vor
13.12.2025

Wizz Air, Ryanair und EasyJet bringen sich in Stellung. Europas Billigfluglinien planen bereits ihre Rückkehr in die Ukraine und rechnen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europa-Krise vertieft sich: JPMorgan warnt vor dramatischen Folgen für Amerika
13.12.2025

Die Warnungen von JPMorgan Chef Jamie Dimon treffen Europa in einer Phase wachsender politischer Unsicherheit. Seine Kritik an der...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Textilrecycling: Wie eine schwedische Gründerin die Branche unter Druck setzt
12.12.2025

Ein junges schwedisches Unternehmen behauptet, die nachhaltigste Lösung für das Textilrecycling gefunden zu haben. Die Methode nutzt CO2,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Shein, Temu & Co. betroffen: EU erhöht Kosten für Billigpakete aus Drittstaaten
12.12.2025

Um die Flut günstiger Online-Pakete aus Ländern wie China einzudämmen, beschließt die EU eine neue Importabgabe. Ab Juli 2026 sollen...

DWN
Politik
Politik Regierung reagiert auf Cyberangriffe: Russlands Botschafter einbestellt
12.12.2025

Nach einer Reihe hybrider Angriffe, darunter Falschnachrichten, manipulierte Videos und eine Hacker-Attacke, hat die Bundesregierung...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Flix bestellt 65 neue Fernzüge: Ausbau ab 2028 geplant
12.12.2025

Flix will das Fernverkehrsangebot deutlich ausbauen: Das Unternehmen hat beim spanischen Hersteller Talgo bis zu 65 neue Züge geordert....

DWN
Politik
Politik Regierung startet Onlineportal für Bürgerfeedback
12.12.2025

Die Bundesregierung will Bürger und Unternehmen stärker in die Verwaltungsarbeit einbeziehen. Über das neue Portal „Einfach machen“...