Politik

Bundeswehr: Wie freiwillig ist der neue Wehrdienst wirklich?

Das neue Wehrdienstgesetz von Verteidigungsminister Pistorius (SPD) setzt offiziell auf Freiwilligkeit. Doch in den Details steckt viel Verbindliches. Von verpflichtenden Fragebögen bis zur Musterung aller 18-jährigen Männer ab 2027 werden Instrumente reaktiviert, die an die alte Wehrpflicht erinnern.
28.09.2025 14:38
Lesezeit: 3 min
Bundeswehr: Wie freiwillig ist der neue Wehrdienst wirklich?
Feldjacken hängen am Stand der Bundeswehr. Die deutsche Armee wirbt auf der Computerspiele Messe Gamescom um Nachwuchs (Foto: dpa). Foto: Oliver Berg

Am 27. August hat das Kabinett nach teils zähem Ringen das neue Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beschlossen. Offiziell setzt es auf Freiwilligkeit, tatsächlich verankert es aber bereits verbindliche Elemente. Fragebögen für alle 18-Jährigen und eine verpflichtende Musterung ab 2027 reaktivieren Mechanismen, die stark an eine Rückkehr der Wehrpflicht erinnern.

Pistorius: “Das Interesse an der Bundeswehr ist hoch”

Rund 2.200 Euro brutto im Monat, kostenlose Fahrten im Nah- und Fernverkehr, Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Versorgung sowie zusätzliche Qualifikationsmodule sollen den Dienst attraktiv machen. Schon jetzt verzeichne die Bundeswehr die höchsten Bewerber- und Einstellungszahlen im freiwilligen Wehrdienst und für Zeit- und Berufssoldaten, “das Interesse an der Bundeswehr ist hoch”, so der Minister.

Entsprechend ambitioniert sind die Zahlen seines Hauses. Von derzeit rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten soll die Truppe bis 2030 auf mindestens 260.000 anwachsen. Parallel dazu will Pistorius milliardenschwere Rüstungsdeals abschließen und die Zahl der einsatzbereiten Reservisten bis Ende des Jahrzehnts auf 200.000 erhöhen. Grundlage dafür sind rund 110.000 zusätzliche Wehrdienstleistende, die in den kommenden Jahren ausgebildet und in die Reserve überführt werden sollen.

„Der Wehrdienst dient klassischerweise dazu, junge Männer auszubilden, um sie dann in Ausbildung oder Beruf zurückzulassen und im Ernstfall als Reservisten zur Verfügung zu haben“, sagte Pistorius kürzlich im Deutschlandfunk (DLF). Angesichts des Risikos verfehlt­er Rekrutierungsziele schließt Pistorius daher eine Rückkehr zu verpflichtenden Elementen nicht aus. Sollte die Zahl der Freiwilligen nicht ausreichen, werde man eine „Teilwiedereinführung der Wehrpflicht herbeiführen“.

Wehrdienstpflicht durch die Hintertür?

Genau das kritisieren Opposition und Verteidigungsexperten und warnen vor halbgaren Lösungen. Verteidigungspolitiker wie Thomas Erndl (CSU) verlangen verbindliche Regelungen, während André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV), auf strukturelle Defizite hinweist. Die Personalentwicklung stagniere, die Ausbildungskapazitäten seien begrenzt, der Entwurf greife daher zu kurz, so Wüstner gegenüber dpa.

Dass sein Kurs nicht überall auf Zuspruch stößt, weiß Pistorius: ‚Natürlich gibt es darüber Diskussionen. Die Einführung eines anderen Wehrdienstes mit verpflichtenden Elementen gefällt nicht jedem.“ Auch dafür müsse man Verständnis haben.

Ab 1. Januar 2026 erhalten alle 18-Jährigen einen Fragebogen. Männer sind verpflichtet, ihn auszufüllen, Frauen können freiwillig antworten. Ab Mitte 2027 folgt die verpflichtende Musterung sämtlicher Männer. Das Verteidigungsministerium spricht von einem „Lagebild“ zur gesundheitlichen Eignung.

Die Wehrpflicht wurde 2011 nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Eine Reaktivierung wäre daher jederzeit möglich. Schon im Verteidigungsfall tritt sie automatisch wieder in Kraft. Damit entsteht ein hybrides Modell. Freiwilligkeit nach außen, Pflicht im Kern.

CDU/CSU plädieren für klarere Vorgaben

Die Union verlangt verbindlichere Regeln. Nach dem Kabinettsbeschluss am 27. August begrüßte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Rückkehr „zu einer Wehrdienstarmee“. Thomas Erndl, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU, forderte jedoch in einem Gespräch mit BR24 klare Definitionen: „Es müsste geregelt sein, was passiert, wenn die Zielzahlen nicht erreicht werden, wenn sich nicht genügend Menschen melden.“

Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk lehnte Pistorius solche Verpflichtungen jedoch ab. „Wer nach Zahlen ruft, muss wissen, dass die Wehrpflicht, die 2011 nur durch ein einfaches Gesetz ausgesetzt wurde, genauso durch ein einfaches Gesetz wieder in Kraft gesetzt werden könnte. Es braucht keine zusätzlichen Automatismen.“

Reservistenverband beklagt strukturelle Defizite

Unrerdessen bleibt die Reserve ein neuralgischer Punkt. Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes (VdRBw), mahnt, dass der Aufwuchs planbar und verlässlich erfolgen müsse. „Wir brauchen mindestens 5.000 bis 6.000 zusätzliche Soldaten pro Jahr, damit die Bundeswehr auf eine verlässliche Zahl von Reservisten kommt“, sagte er gegenüber BR24.

Das neue Wehrdienstgesetz sieht zwar zunächst rund 5.000 zusätzliche Plätze im ersten Jahr vor, will die Kapazitäten danach aber schrittweise ausbauen. Über die Erfassung aller 18-Jährigen, eine verpflichtende Musterung der Männer ab 2027 und die automatische Grundbeorderung sollen Wehrdienstleistende in die Reserve überführt werden.

So soll bis Ende 2030 die Marke von 200.000 einsatzbereiten Reservisten erreicht werden.

Zielvorgaben sind das eine, die Umsetzung das andere. In der Praxis berichten Bewerbende von monatelangen Wartezeiten, bis sie überhaupt eine Rückmeldung erhalten. Das schreckt viele wieder ab.

Anträge auf Kriegsdienstverweigerung auf Höchststand

Beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA), das für die Anträge zuständig ist, stieg die Zahl der Gesuche deutlich an: Bis Ende Juni gingen 1.363 Anträge auf Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung ein, teilte eine Sprecherin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr waren es 2.241 Anträge, 2023 noch 1.079 und 2022 lediglich 951.

Wehrpflicht für Frauen: Skandinavien als Vorbild?

Die faktische Ungleichbehandlung von Männern und Frauen bleibt ein Problem. Zwar werden auch Frauen angeschrieben, doch ihre Teilnahme bleibt freiwillig. Kritiker sehen darin eine strukturelle Schieflage. Politisch stößt eine Ausweitung auf Frauen jedoch auf verfassungsrechtliche Hürden. In der Union mehren sich Stimmen, die eine Gleichstellung fordern, auch um die Zahl potenzieller Rekrutinnen zu erhöhen.

Ein Blick nach Skandinavien zeigt, dass Frauen dort nicht gesondert behandelt werden. In Norwegen gilt Wehrpflicht seit 2015 geschlechtsneutral. Männer und Frauen ab 19 Jahren müssen sich mustern lassen. Nicht jede und jeder muss tatsächlich dienen, doch der Zugang ist formal gleich. In Schweden wurde 2018 eine Pflicht eingeführt, die Männer und Frauen gleichermaßen betrifft. Und Dänemark will ab 2026 Frauen und Männer ab 18 Jahren gleichermaßen zur Wehrpflicht heranziehen. Deutschland hält damit im europäischen Vergleich an einem Sonderweg fest.

Mit Blick auf das heimische Wehrdienstgesetz bleibt daher offen, ob die Kombination aus Freiwilligkeit und verpflichtenden Elementen langfristig trägt. Pistorius stellte im DLF bereits klar: „Wenn wir merken, die Zahlen gehen zurück, dann werden wir reagieren.“

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