Unternehmensporträt

Maschinenbauer Voith: Vom Kuka-Exit zum Treiber grüner Technologien

Der Kuka-Verkauf im Jahr 2016 war für Voith der Wendepunkt. Heute ist der Maschinenbauer mit Wasserkraft, Papiermaschinen und Antriebstechnologien erfolgreich – und unter dem neuen CEO Dirk Hoke auch mit KI.
24.10.2025 16:45
Lesezeit: 6 min
Maschinenbauer Voith: Vom Kuka-Exit zum Treiber grüner Technologien
Seit dem Verkauf von Kuka 2016 setzt Voith auf Nachhaltigkeit (Foto: Voith zeigt eine Automatische Kupplung des CargoFlex21_KOL_02).

Voith: Der Kuka-Verkauf ging auf

Als der Maschinenbauer Voith im Juli 2016 seine Beteiligung am deutschen Roboterbauer Kuka für 1,2 Milliarden Euro an den chinesischen Midea-Konzern verkaufte, schlugen die Wellen im politischen Berlin hoch. Sigmar Gabriel (SPD), damals Wirtschaftsminister im Kabinett von Angela Merkel (CDU), warnte gar vor einem Ausverkauf deutscher Schlüsseltechnologien.

Tatsächlich fiel der Deal in eine Phase, in der chinesische Firmen reihenweise deutsche Industrieunternehmen übernahmen. So hatte der chinesische Staatskonzern ChemChina beispielsweise kurz zuvor den Münchner Maschinenbauer KraussMaffei für 925 Millionen Euro gekauft. Bereits im Jahr 2012 war der chinesische Großkonzern Weichai Power beim Staplerbauer Kion eingestiegen und hielt zunächst 25 Prozent der Anteile. Später baute Weichai seine Beteiligung auf 45 Prozent aus und ist mittlerweile größter Kion-Aktionär.

Voith wiederum nutzte den Kuka-Ausstieg, um Kapital für die eigenen Kerngeschäfte freizusetzen. Mit den erlösten 1,2 Milliarden Euro beteiligte sich Voith an Elin Motoren, einem österreichischen Hersteller für Windgeneratoren, baute seine Wasserkraftaktivitäten aus und übernahm in Indien kleinere Engineering- und Servicefirmen, um das Geschäft in Wasserkraft und Papiermaschinen vor Ort zu stärken. Verantwortlich für den Kurs war zunächst Finanzchef Toralf Haag, der 2018 an die Spitze des Konzerns rückte.

Unter Haags Führung wurden Nachhaltigkeit und die Energiewende zum zentralen Bestandteil der Konzernstrategie. Investitionen wurden konsequent auf Geschäftsfelder ausgerichtet, von denen man sich erhoffte, dass sie vom globalen Umbau der Energieversorgung profitieren würden.

Zwölf Turbinen für die Niagarafälle

Die Wurzeln von Voith reichen zurück ins Jahr 1822, als Johann Matthäus Voith in Heidenheim am Rand der schwäbischen Alb eine Werkstatt für Metallbearbeitung eröffnete, in der zunächst Mühlsteine repariert und Maschinenbauteile gefertigt wurden.

1859 entwickelte Voith die erste Holzschleifmaschine, die Holzfasern industriell für die Papierproduktion aufbereitete. In den folgenden Jahrzehnten übertrug das Unternehmen sein Wissen über Strömungstechnik und Maschinenbau zunehmend auf die Wasserkraft. Bereits 1870 installierte Voith in Heidenheim eine der ersten Wasserturbinen Europas.

Diese Erfahrung führte 1903 zum internationalen Durchbruch: Zwölf Francis-Turbinen von Voith wurden an das Edward-Dean-Adams-Kraftwerk an den Niagarafällen im US-Bundesstaat New York geliefert.

Die zwölf Aggregate erbrachten insgesamt rund 44 Megawatt Leistung und gehörten damals zu den leistungsfähigsten Turbinen für Wasserkraftanlagen weltweit. Sie wurden in Heidenheim gefertigt und schließlich per Bahn und Schiff an die rund 8.000 Kilometer entfernten Niagarafälle transportiert. Für den kleinen Betrieb war dies der erste Großauftrag außerhalb Europas und der Auftakt zur weltweiten Expansion.

Maschinenbauer Voith: Von der Alb-Werkstatt zum Global Player

Heute ist Voith ein global agierender Konzern mit rund 22.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 5,2 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2023/24. Der Stammsitz des Unternehmens, das mittlerweile in 60 Ländern vertreten ist, befindet sich nach wie vor in Heidenheim. „Wir haben das Potenzial von Voith noch nicht ansatzweise gehoben“, sagte Dirk Hoke, seit April 2025 neuer CEO, im Gespräch mit der Heidenheimer Zeitung. Hoke unterstrich darin zugleich, dass Voith auf eine „beeindruckende Basis an Know-how und Projekterfahrung“ zurückgreifen könne, die es nun in die nächste Wachstumsphase zu überführen gelte.

Das Geschäft stützt sich heute auf drei Sparten: Voith Hydro (Wasserkraftanlagen) erwirtschaftete 2023/24 rund 1,3 Milliarden Euro, Voith Paper (Maschinen für die Papierproduktion) 2,1 Milliarden Euro und Voith Turbo (Antriebstechnik für Industrie und Verkehr) 1,7 Milliarden Euro. Rund ein Viertel der weltweiten Stromerzeugung aus Wasserkraft läuft über Turbinen von Voith.

In der Papierindustrie gilt der Konzern ebenfalls als Technologieführer, ein erheblicher Teil der globalen Papierproduktion wird auf Anlagen aus Heidenheim gefahren. Und auch bei Antriebstechnologien ist Voith weltweit führend: Getriebe und Kupplungen aus Heidenheim sind in Triebwagen von Siemens oder Stadler verbaut, kommen in Stadtbussen von Herstellern wie MAN und Mercedes-Benz zum Einsatz und finden sich in schweren Nutzfahrzeugen wieder.

Katerstimmung nach dem China-Boom

Voith bewegt sich seit Jahren in einer engen Umsatzspanne zwischen fünf und fünfeinhalb Milliarden Euro. Zwar sind die Auftragsbücher im Zuge der Energiewende voll, doch im direkten Branchenumfeld zeigt sich, dass Wettbewerber schneller wachsen.

Der österreichische Anlagenbauer Andritz ist in ähnlichen Feldern wie Voith aktiv, etwa in der Wasserkraft und bei Energieanlagen. 2023 erzielte Andritz einen Rekordumsatz von 8,66 Milliarden Euro, was einem Plus von fast 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr entsprach. Ende 2023 lag der Auftragsbestand bei knapp 9,9 Milliarden Euro. Im Jahr 2024 fiel der Umsatz zwar leicht auf 8,3 Milliarden Euro, doch das Servicegeschäft legte weiter zu und machte inzwischen mehr als 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Dazu zählen Wartung, Ersatzteile und Modernisierungen bestehender Anlagen, die eine verlässlichere Ertragsbasis bieten als das volatile Neumaschinengeschäft.

Der Vergleich mit Andritz verdeutlicht die Herausforderung. Das Unternehmen hat sein Wachstum durch einen klaren Marktfokus und eine konsequente Stärkung des Servicegeschäfts beschleunigt. Voith hingegen befindet sich mitten in einer Transformation. Die Papiersparte musste den Rückgang im Geschäft mit Druck- und Zeitungspapier erst durch Investitionen in Verpackung und Hygiene kompensieren. In der Wasserkraft belasten langwierige Genehmigungsprozesse den europäischen Markt. In der Turbo-Sparte dauert die Abkehr vom Verbrennungsmotor hin zu alternativen Antrieben länger als geplant.

Dirk Hoke erklärte in der Heidenheimer Zeitung im April 2025, Voith müsse vorhandene Technologien stärker in profitable Geschäftsfelder überführen. Er kündigte an, eine Strategie vorzulegen, die den Konzern langfristig wieder auf einen verlässlichen Wachstumspfad bringt.

Wasserkraft, Wind, Papier: Voith setzt auf grüne Technologien

Voith hat sich in den vergangenen Jahren konsequent auf grüne Technologien ausgerichtet. 2020 übernahm der Konzern die österreichische Tochter Elin Motors vollständig, inklusive eines Fertigungs-Joint-Ventures in Indien zur Stärkung des Windgeschäfts. Ein Jahr später folgte der Erwerb des Siemens-Anteils am Gemeinschaftsunternehmen Voith Hydro, womit die Wasserkraftsparte komplett unter eigener Kontrolle stand.

Auch in der Papiermaschinen-Sparte geht Voith neue Wege. In Heidenheim wird an einem Verfahren gearbeitet, das bis zu 95 Prozent weniger Wasser und 40 Prozent weniger Energie benötigt. „Es ist Zeit für etwas radikal Neues“, erklärte Michael Weiß, Technologiechef der Papiersparte, in der Wirtschaftswoche im November 2023.

Im Mai 2024 übergab die damalige Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner (Grüne), gemeinsam mit Voith-Chef Toralf Haag den Förderbescheid über 14,5 Millionen Euro für das Projekt. Partner ist der schwedische Hygienepapier-Weltmarktführer Essity, der Marken wie Zewa und Tempo produziert. Im Paper Technology Center in Heidenheim läuft bereits eine Versuchsanlage, bis Ende 2026 soll eine Pilotanlage entstehen, die auch mit recycelten Rohstoffen arbeitet.

Erst seit April 2025 setzt Dirk Hoke als neuer CEO eigene Akzente. In der Heidenheimer Zeitung erklärte er, Voith müsse vorhandene Technologien stärker in profitable Geschäftsfelder überführen. Er kündigte an, eine Strategie vorzulegen, die den Konzern langfristig wieder auf einen verlässlichen Wachstumspfad bringt. Für ihn ist Nachhaltigkeit kein Imageprojekt, sondern die Voraussetzung für künftiges profitables Wachstum.

Hoke, Überzeugungstäter für Technologie mit gesellschaftlichem Nutzen

Noch vor wenigen Jahren profitierte Voith stark vom China-Boom. Zwischen 2010 und 2011 setzte der Konzern dort rund eine Milliarde Euro um – ein Fünftel des Gesamtgeschäfts.Doch diese Zeiten sind längst Wirtschaftsgeschichte. Seit 2023 spricht Voith offen von De-Risking: Die Abhängigkeit vom chinesischen Markt soll durch Expansion in Indien und Südostasien verringert werden.

Toralf Haag stand in dieser Zeit für Konsolidierung. Er kam 2016 als Finanzchef nach Heidenheim, übernahm 2018 den Vorsitz und stellte nach dem Kuka-Verkauf die Bilanz neu auf. Schuldenabbau und ein klarer Fokus auf Nachhaltigkeit prägten seine Amtszeit, ehe er im Sommer 2024 an die Spitze des Kupferkonzerns Aurubis wechselte.

Im April 2025 begann mit Dirk Hoke eine neue Ära. Hoke, Jahrgang 1969, studierte Maschinenbau an der TU Braunschweig. Nach Stationen bei Siemens, wo er das Geschäft mit großen Antrieben verantwortete, bei Airbus, wo er die Luft- und Raumfahrtsparte Airbus Defence and Space leitete, und als CEO des mittlerweile insolventen Start-ups Volocopter, das mit der Entwicklung von Flugtaxis bekannt wurde, übernahm er die Führung von Voith. In der Heidenheimer Zeitung beschrieb sich der Vater von fünf Kindern, der verheiratet ist, selbst als „Überzeugungstäter für Technologie mit gesellschaftlichem Nutzen“.

Dass Hokes Kurs aufzugehen scheint, zeigt das Beispiel Siemens: Der Konzern baut mit dem „Industrial Copilot“ derzeit eine europäische Plattform für Künstliche Intelligenz (KI) im Maschinen- und Anlagenbau auf. In einer am 23. September 2025 geschlossenen Datenallianz erklärten Siemens und namhafte deutsche Maschinenbauer wie Grob, Trumpf, Chiron und Heller gemeinsam mit dem Maschine-Tool-Labor (WZL) der RWTH Aachen und der Voith-Gruppe, künftig Daten auszutauschen, um industrielle KI-Anwendungen voranzubringen.

Für Hoke ist das die Chance, nach Jahren der Konsolidierung Voith wieder in der ersten Reihe technologischer Innovationen „Made in Germany“ mitzuspielen.

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