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Es brodelt in Italien: „Renzi ist eine Marionette der EU!“

Lesezeit: 4 min
11.06.2014 01:47
Die Italiener nehmen ihrem Premier Matteo Renzi übel, dass er sich allzu gefügig an die EU wirft: Das Land erlebe einen beispiellosen Ausverkauf. Lohndumping, Verlagerung der Arbeitsplätze, hohe Arbeitslosigkeit - so haben sich die Italiener den Euro nicht vorgestellt. Noch kann Beppe Grillo von dieser Stimmung nicht profitieren. Doch es braut sich etwas zusammen im Süden Europas.

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Das Resultat der EU-Wahlen in Italien ist klar: Rückenwind für Ministerpräsident Matteo Renzi und nur 22 Mandate für die so genannten „antieuropäischen und populistischen“ Parteien Movimento 5 Stelle (17 Mandate) und Lega Nord (5 Mandate). Doch der Schein trügt, in den Blogs äußern sich viele Italiener gegen die EU. Sie machen den nordeuropäischen Staaten den Vorwurf, sich an der Schuldenlast der Südeuropäer zu bereichern. Im Blog trend-online.com wird sogar spekuliert, dass die reichen, nordeuropäischen Länder gar nicht an einer kompletten Schuldentilgung interessiert seien. „Die Bezahlung von 85 Milliarden Euro Zinsen im Jahr (mit wachsender Tendenz) ist ein super Geschäft für alle, die Geld haben zum Investieren, viel Geld. Italien ist für diese Leute daher ein perfektes Geschäft“ heißt es. Gewettert wird vor allem gegen die „Verdeutschung“ der Europäischen Union.

Deutschland habe aus der Einführung des Euros nur Profit gemacht, da damals die Mark sehr stark gewesen sei und der Wechselkurs zum Euro fast eins zu zwei gestanden habe. Das Geld sei direkt in den Aufbau der eigenen Wirtschaft gegangen. Das Resultat: Ein starkes Deutschland, das Europa regiert und die Regeln zu seinen Gunsten diktiert. Ein User ruft sogar auf, keine deutschen Produkte mehr zu kaufen. „Wir unterstützen diese Verdeutschung, da wir weiterhin deutsche Produkte kaufen und den Export Deutschlands damit auch weiter ankurbeln und was macht Deutschland mit seinem Geld? Sie kaufen Staatsanleihen der südlichen, ärmeren Nationen. Länder, deren Wirtschaft nicht floriert und die Schulden machen müssen!“ Die Krise Südeuropas werde damit nie gelöst werden, die Wirtschaft nie auf einen grünen Zweig kommen. Daher werden die Forderungen immer stärker, aus der EU auszutreten, denn viele Italiener fragen sich: „Was nützt uns die EU? Was nützt uns der Euro?“

Ganz soweit geht Grillos Partei M5S nicht, obwohl auch für die Bewegung klar ist: die EU kann so wie sie jetzt ist, nicht funktionieren, da ein Interessenkonflikt zwischen dem reicheren Norden und dem ärmeren Süden besteht. Daher fordert M5S in seinem Programm für die Europawahl u.a. die Einführung einer Art von Parallelwährung: Einen Euro für den Norden Europas, einen Euro für Griechenland, Italien, Frankreich Spanien und Portugal. Ein Schritt in die richtige Richtung? Laut den EU-Wahlresultaten nicht, denn Renzis Partei hat mehr Stimmen bekommen als Grillo.

Doch im Fokus der Kritik der Blogs steht  vor allem Renzi. Ein Widerspruch? Die User der Blogs bezeichnen ihn als Marionette der starken EU-Länder. „Die EU sagt, Italien müsse noch in diesem Jahr neun Milliarden Euro aufbringen, um seine enormen Schuldenlast weiter zu tilgen, und Renzi springt ohne dabei an unsere Interessen zu denken!“, klagt ein Blogger. Um die Staatsschuld weiter zu reduzieren, führe die Regierung Renzis das Privatisierungsprogramm Lettas weiter und verkaufe gut gehende Unternehmen, Landstriche, Hotels, Museen – allerdings nicht nur an italienische Investoren. „Die Resultate der Europäischen Union?“ fragt ein anderer Blogger. „Der Ausverkauf der italienischen Industrie und weitere Steuern für Unternehmen und Konsumenten. Die Konsequenz? Italienische Unternehmen wandern ab in Billiglohnländer und noch mehr Italiener verlieren ihre Arbeit.“ Das Problem sei, dass die italienischen Politiker nur fähig seien, ihre eigenen Landsleute aunzunutzen und nicht daran denken, Italiens Interessen in der EU durchzuboxen, so der allgemeine Konsens unter den zahlreichen Bloggern.

Auch wenn Grillos Bewegung nur knapp über 21 Prozent bei den EU-Wahlen errungen haben, sind doch viele Italiener überzeugt, dass sich jetzt etwas ändern wird. Sie haben sich weder vor der Wahl durch die Untergangs-Szenarios der Medien beeinflussen lassen, die behaupteten, ohne den Euro sei Italien verloren. Noch stören sich die vielen Blogger an Grillos Absicht, sich mit dem Briten Nigel Farage zusammenzutun. „Auch hier versuchen die italienischen Medien, Einfluss zu nehmen, in dem sie behaupten, Farages UKIP-Partei sei rassistisch, rechtsradikal und antisemtitisch.“ Eine Aussage, die durch Ambrose Evans-Pritchard, entkräftet wird. Der Wirtschaftsjournalist der britischen Zeitung The Telegraph zeigt sich in einem Interview bestürzt und fragt sich, warum die Medien in Italien so etwas behaupten können. Er kenne Farage und ein Bündnis mit dem rechtsradikalen, französischen „Front Nacionale“ sei für ihn undenkbar.

Allerdings sei Farage die Antwort der Briten auf die aktuelle Politik in der EU. Und da stünde Großbritannien nicht alleine, denn auch in den anderen EU-Ländern gebe es zu Recht Signale gegen die aktuelle Politik. „Wenn fünf Jahre nach der Lehman Brothers Krise die internationale Wirtschaft sich erholt hat, aber in Ländern wie Italien die Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt und die Jugendarbeitslosigkeit auf 46 Prozent ansteigt, kann etwas nicht stimmen“, so Evans-Pritchard. „Es ist das Resultat falscher Entscheidungen innerhalb der EU!“ Der Wirtschaftsjournalist geht noch ein Schritt weiter: In den südeuropäischen Ländern könne man nicht gleichzeitig die Steuern erhöhen wenn wenig Geld zirkuliere, das sei Selbstmord! Gerade in Italien steige wegen dieser Deflation der Schuldenberg immer weiter. Um die Schulden zurückzahlen zu können, bräuchten Länder wie Spanien, Griechenland und Italien eine Inflation, die aber nicht im Sinne Deutschlands sei. Mit anderen Worten: Wir haben ein Europa mit vielen Ländern, die aber gerade in der Finanzpolitik andere und teils auch gegensätzliche Entscheidungen treffen müssten. Eine gemeinsame Finanzpolitik könne also gar nicht funktionieren.

EU oder nicht EU – die Diskussionen gehen auch nach der Wahl in Italien weiter. Nicht nur in den Medien, sondern auch in den zahlreichen Blogs, in denen Unzufriedene weiter die Europäische Union kritisieren. Während Deutschland aus der Einführung des Euros nur Profit gemacht habe, hätten die Italiener von vornherein ein schlechtes Geschäft gemacht. Die relativ schwache Lira wurde nach der Einführung des Euros noch schwächer, denn 1930 Lira wurden zu einem Euro. Während die Löhne also „halbiert“ wurden, haben die diversen Geschäfte, Restaurants und Bars ihre Preise nicht den Löhnen angeglichen. Dadurch sei die Kaufkraft der Italiener faktisch zurückgegangen, was sich natürlich auf die Wirtschaft ausgewirkt hat.

Für viele Italiener hat nach der Einführung des Euros der Alptraum also erst begonnen. Das italienische Statistikamt Eurispes ist 2010 davon ausgegangen, dass eine vierköpfige Familie schätzungsweise 30.276 Euro im Jahr braucht, um ein „spartanisches, aber würdevolles“ Leben führen zu können. Doch aus der Studie geht hervor, dass 49,1 Prozent mit weniger als 15.000 Euro im Jahr auskommen müssten. „Wenn man bedenkt, dass seither vier Jahre vergangen sind und einige Preise weiter gestiegen sind, will man gar nicht weiterdenken!“, kommentiert ein Blogger diese Studie. Es ist also nicht verwunderlich, dass für viele Italiener klar ist: Der Euro ist an allem schuld! Die Diskussionen um den Euro und die EU nehmen kein Ende. Nach den EU-Wahlen geht ein tiefer Riss durch Italien: Während die einen an den Sozialdemokraten Matteo Renzi und seine Politik glauben, sind die anderen für die Politik Grillos, welche für die stärkere Wahrnehmung der italienischen Interessen in der EU steht.

Eine nicht zu unterschätzende Minderheit allerdings vertritt radikalere Ansichten und fordert den sofortigen Austritt aus der EU und dem Euro. Passenderweise übernimmt Italien am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft.

 


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