EU-Wettbewerbskommissar Michel Barnier sucht gerne große Lösungen. Allerdinge enden seine Vorschläge meist in faulen Kompromissen, weil er zu vielen Interessen nachgeben muss. Bei den Wirtschaftsprüfern wartet man seit Jahren auf eine Entflechtung des Oligopols der Big Four: Diese haben Barnier jedoch durch ihre zermürbende Lobby-Arbeit von seinen ursprünglichen Plänen abgebracht.
In ähnlicher Weise befindet sich Barnier auch in der Frage der europäischen Bankenaufsicht schon wieder auf dem Rückzug. Was als bissiger Tiger gegen die Exzesse bei den Banken geplant war, wird immer mehr zum europäischen Bettvorleger. Barnier sagte am Donnerstag in Berlin: "Selbstverständlich werde ich einen Kompromiss mit Berlin und anderen europäischen Hauptstädten erarbeiten." In Deutschland laufen vor allem die Sparkassen Sturm gegen die Bankenaufsicht (hier). Grundsätzlich hält er zwar an seinen Plänen fest, alle rund 6000 Banken im Währungsraum der Kontrolle der Europäischen Zentralbank (EZB) zu unterstellen. Das tägliche Aufsichtsgeschäft sollten aber weiter die nationalen Behörden erledigen.
Dies bedeutet jedoch in der Praxis das vollständige Chaos: Denn de facto würden sich dann zwei um die Hoheit ringende Aufsichtsbehörden gegenüberstehen. Keine wäre wirklich zuständig, anhaltende Kompetenz-Streitigkeiten wären unausweichlich. Die Bürokratie würde im Regulierungsbereich überborden - und könnte zugleich wenig bewirken (mehr zu den Ausbauplänen bei der EZB - hier).
Barnier sagte einem Reuters-Bericht zufolge vor Gesprächen im Bundeskanzleramt und mit Unions-Abgeordneten, eine integrierte Bankenaufsicht in Europa sei eine Voraussetzung für mehr Finanzstabilität und auch eine notwendige Bedingung dafür, dass der Euro-Rettungsschirm ESM, wie von den EU-Staats- und Regierungschefs im Juni vereinbart, wackelige Banken künftig direkt rekapitalisieren könne. Zugleich betonte Barnier, dass ihm nicht der Aufbau einer neuen Super-Behörde bei der EZB vorschwebe. "Die Aufsicht wird funktional durch die nationalen Behörden durchgeführt", sagte er: "Die (deutsche Bankenaufsicht) BaFin wird ihre Rolle behalten."
Allerdings werde es unter Ägide der EZB eine Art Leitfaden für alle nationalen Bankenaufsichten geben. Die Grundlage für einen Kompromiss werde eine weitreichende Dezentralisierung der Aufsicht sein, zeigte sich Barnier gewiss.
Der Kompromiss dürfte jedoch in der Praxis dazu führen, dass die Banken erst recht machen können, was sie wollen. Denn einen "Leitfaden" hat bei den Banken noch niemand ernstgegommen - schon weil er nur Empfehlungscharakter hat und daher keine rechtlich bindende Wirkung. Wie hartnäckig die Banken-Lobbyisten gegen Vereinbarungen ankämpfen können, zeigt der Streit um Basel III: Es ist damit zu rechnen, dass die strengeren Eigenkapitalregeln für Banken auf die lange Bank geschoben werden - obwohl sie verbindlich beschlossen worden waren (mehr hier).
Zwei Aufsichtsbehörden, wie von Barnier nun vorgeschlagen, werden wirkungslos bleiben. Beobachter in Brüssel glauben, dass die EU nun um jeden Preis einen Kompromiss präsentieren will, um den Start des ESM zu ermöglichen. Dieser ist von Angela Merkel an eine wie immer geartete Neuregelung der Bankenaufsicht gekoppelt.