Politik

Chaos geht weiter: EU-Krisentreffen zu Flüchtlingen gescheitert

Lesezeit: 3 min
14.09.2015 18:14
Das Chaos in der Asylpolitik in Europa geht weiter: Die Innenminister konnten sich am Montag nicht auf ein einheitliches Vorgehen einigen, von der Verständigung auf eine verbindliche Quote ganz zu schweigen. Nun wird vermutlich um Geld geschachert, um die Osteuropäer doch noch zu bewegen, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Das EU-Sondertreffen zur Flüchtlingskrise ist am Montag gescheitert: Die Innenminister konnten keine Einigung auf verbindliche Regeln zur Verteilung von Asylsuchenden erreichen. Die Entscheidung zu dem umstrittenen Thema wird erst beim nächsten regulären Innenministertreffen am 8. Oktober fallen.

Dies ist angesichts der drängenden Probleme, denen sich vor allem Ungarn gegenübersieht, als Scheitern zu bezeichnen. Denn nun wird noch ein weiterer Monat verstreichen, ehe klar ist, wie es weitergehen soll. Es ist nicht einmal klar, ob man sich im Oktober einigen wird.

Dass das Treffen der Öffentlichkeit als Erfolg verkauft wurde, war nicht überraschend. Peter Spiegel von der FT hat die Einigung jedoch enttarnt: Die EU-Minister haben sich demnach auf etwas geeinigt, worauf sie sich bereits im Juli geeinigt haben:

Und selbst das stimmt nicht: Wie sich herausstellt, war die Zustimmung nicht einstimmig. Die EU-Innenminister haben sich nach Angaben des deutschen Ressortchefs Thomas de Maiziere nicht einstimmig auf die Verteilung von bis zu 160.000 Flüchtlingen geeinigt. Die Grundsatzeinigung sei durch qualifizierte Mehrheit erfolgt. „Einige Staaten fühlen sich offenbar einer solidarischen Verantwortung angesichts dieser großen Herausforderung noch nicht verpflichtet“, kritisiert de Maiziere.

Insofern ist das Ergebnis des Treffens sogar hinter das Treffen im Juli zurückgefallen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat jüngst einen konkreten Plan für die Verteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen vorgeschlagen. Immerhin einigten sich die EU-Innenminister am Montag auf diese Zahl. Doch eine feste Quote wollen viele nicht akzeptieren. Die Innenminister einigten sich lediglich darauf, dass insgesamt 160.000 Aylberechtigte, die sich derzeit in Ungarn, Griechenland und Italien befinden, auf andere EU-Länder verteilt werden sollen. Wer wieviele nimmt, ist aber offen. Ein verbindlicher Verteilschlüssel, wie die EU-Kommission ihn vorgeschlagen hatte, fand nach wie vor keine Mehrheit. Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen sowie die baltischen Staaten sind dagegen. „Wir denken, dass Quoten nicht die richtige Lösung sind“, sagte der slowakische Innenminister Robert Kalinak. Bundesinnenminister Thomas de Maizière war deshalb nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Dies sei „ein wichtiger Schritt, aber noch entfernt von dem, was wir erwarten an Solidarität innerhalb der Europäischen Union“, sagte der Minister.

Mittelosteuropäische sowie baltische Staaten lehnten vor den Beratungen in Brüssel erneut verbindliche Regeln ab. „Wir denken, dass Quoten nicht die richtige Lösung sind“, sagte der slowakische Innenminister Robert Kalinak. Es müsse stattdessen dafür gesorgt werden, dass die Syrien-Flüchtlinge in den Auffanglagern in der Türkei, im Libanon oder Jordanien blieben.

Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner machte unterdessen deutlich, dass sie Deutschland für mitverantwortlich am aktuellen Ausmaß der Flüchtlingskrise hält. Nachdem in internationalen Medien zu lesen gewesen sei, dass die Bundesregierung das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt habe, hätten sich „Tausende von Menschen verstärkt auf den Weg gemacht“, sagte die konservative Politikerin. Es habe „sehr viele Hoffnungen“ gegeben.

Zu den von Deutschland wiedereingeführten Grenzkontrollen sagte Mikl-Leitner: „Wir haben damit gerechnet, dass Deutschland irgendwann einmal reagieren musste. Es war allen klar, dass das so nicht weitergehen kann“.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, die Grenzkontrollen seien auch als Druckmittel gegen andere EU-Staaten wieder eingeführt worden. „Wir haben gezeigt, dass Deutschland nicht bereit ist, alleine durch eine faktische Umverteilung die Last zu tragen“, sagte der CDU-Politiker. Es gebe einen Druck der Verhältnisse, unter dem die Staaten nun über den EU-Flüchtlingsplan entscheiden müssten.

Wenn es keine Entscheidungen gebe, werde Chaos die Folge sein, warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Dann würden viele Länder wieder Grenzkontrollen einführen. „Das wird ein Domino-Effekt werden, und wir können Schengen vergessen“, warnte Asselborn.

Die schweizerische Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bemängelte, dass der Vorschlag der EU-Kommission für einen dauerhaften Verteilmechanismus „offenbar nicht einmal ein Thema“ sei. „Ich bedaure das sehr, weil es ist allen klar: Wenn wir in dieser Frage vorwärtskommen wollen, (...) dann braucht es einen festen Verteilmechanismus“.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte ein solches System in der vergangenen Woche erneut vorgeschlagen. Immer dann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen ein Land zu stark belastet, könnten Flüchtlinge nach dem festgelegten Verteilungsschlüssel in andere EU-Staaten umgesiedelt werden.

Der Vorschlag für eine Notumsiedlung sieht lediglich vor, 120.000 Flüchtlinge aus Griechenland, Italien und Ungarn auf andere EU-Länder zu verteilen. Dies soll zusätzlich zu den 40.000 Migranten erfolgen, auf deren Aufnahme sich die EU-Staaten bereits im Sommer geeinigt hatten – wobei in der Praxis die tatsächlichen Zusagen hinter dem Ziel zurückgeblieben waren. Die Minister bestätigten am Montag diese Zahl nochmals. Bis Jahresende soll es eine Einigung auf die restliche Zahl geben.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...

DWN
Panorama
Panorama Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!
21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Immobilien
Immobilien Grundsteuer 2025: Alles rund um die Neuerung
21.12.2024

Ab Januar 2025 kommt die neue Grundsteuer in Deutschland zum Einsatz. Viele Hausbesitzer und künftige Käufer sind besorgt. Und das...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.