Politik

Bundesbank kapituliert als Anwalt der deutschen Sparer

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat seinen Kurs geändert und unterstützt Mario Draghi jetzt offenbar entschieden. Es ist denkbar, dass der weiche Kurs Taktik ist, um sich als Draghi-Nachfolger zu positionieren. Im Ergebnis verlieren die deutschen Sparer mit dem Schwenk die Bundesbank als ihren Anwalt.
10.05.2016 00:49
Lesezeit: 3 min

Balazs Koranyi und Paul Taylor von der Nachrichtenagentur Reuters haben eine interessante Analyse geschrieben. Daraus geht hervor, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann auf Schmusekurs mit Mario Draghi eingeschwenkt ist. Ob Weidmann seine Positionen sanfter formuliert, weil er hofft, Draghi als EZB-Chef zu beerben, geht aus der Analyse nicht hervor. Sie zeigt jedoch ganz klar: Die Bundesbank hat als Anwalt der Sparer in Deutschland kapituliert.

Mitten im Sturm heftiger Angriffe deutscher Politiker gegen seine Geldpolitik hat EZB-Präsident Mario Draghi einen unerwarteten Verbündeten gefunden: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Sonst ein Kritiker vieler Beschlüsse im EZB-Rat, hat er sich demonstrativ hinter Draghi gestellt. Einen grundsätzlichen Wandel der Bundesbank bedeute Weidmanns Fürsprache dennoch nicht, sagen hochrangige Notenbanker und Personen aus dem Umfeld des EZB-Rats zur Nachrichtenagentur Reuters. Manche Insider stellen allerdings eine Änderung im Tonfall bei Weidmann fest. Womöglich versuche der Bundesbank-Chef, mehr Einfluss vor den nächsten großen EZB-Entscheidungen zu gewinnen.

Weidmann hatte unlängst die Unabhängigkeit der Notenbank verteidigt und die ultra-lockere Haltung in der Geldpolitik in Schutz genommen. Attacken deutscher Politiker aus den Reihen der Union gegen die EZB und ihren Präsidenten hatten zuvor deutlich an Schärfe zugenommen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte der EZB-Niedrigzinspolitik sogar eine Mitschuld für das Erstarken euroskeptischer Kräfte gegeben. Und aus der CSU waren laute Rufe ertönt, der nächste EZB-Präsident müsse ein Deutscher sein.

Weidmann zeige einige Anzeichen, zur Mehrheitsansicht zurückzukehren, und fange an, die EZB gegen politische Angriffe aus Deutschland zu verteidigen, so einer der Insider. Durch seine Opposition gegen viele geldpolitische Initiativen der EZB habe er aber solchen Angriffen den Boden bereitet. Das Verhältnis zwischen der EZB-Führung und deutschen Ratsmitgliedern war in den vergangenen Jahren nie frei von Spannungen. Weidmanns Amtsvorgänger Axel Weber und der damalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark waren 2011 aus Protest über die lockere Geldpolitik von Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet sogar zurückgetreten. Und auch Weidmann sah sich mit seinen Positionen seit Amtsantritt im Mai 2011 bei wichtigen Entscheidungen häufig in der Minderheit im EZB-Rat.

Ganz erfolglos blieb Weidmanns Kritik allerdings nicht. So wurden beim Design des von ihm abgelehnten billionenschweren Anleihen-Kaufprogramms Haftungsrisiken nur zu einem geringen Teil vergemeinschaftet. Und auch der jüngste EZB-Beschluss, den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen, enthält einige Vorstellungen der Bundesbank. Er bleibt beispielsweise gesetzliches Zahlungsmittel.

Ungewöhnlich finden manche Beobachter, dass sich in den jüngsten Reden und Interviews von Weidmann viele zustimmende Passagen zur Niedrigzinspolitik der EZB finden. So bezeichnete er die expansive Geldpolitik vor dem Hintergrund des sehr geringen Preisdrucks im Währungsraum als „angemessen“. Und auch von Handlungsbedarf für die EZB ist nun die Rede - trotz Bekräftigung seiner Kritik an den Staatsanleihen-Käufen. Die Debatte in Deutschland sei zudem viel zu einseitig: Bürger seien nicht nur Sparer, sondern auch Arbeitnehmer, Steuerzahler und Schuldner und würden als solche auch von den niedrigen Zinsen profitieren.

Noch im Dezember hatte Weidmann unter Hinweis auf die starke Bedeutung des Energiepreisrutsches weitere Lockerungsschritte der EZB für unnötig gehalten. Doch die Inflationsrate im Währungsraum ist mittlerweile erneut ins Minus abgerutscht – inzwischen rechnet die EZB für 2016 nur noch mit einer Mini-Teuerung von 0,1 Prozent. „Viele der im Oktober und Dezember dargelegten Risiken sind eingetroffen und Weidmann hat erkannt, dass die EZB nicht falsch darin lag, dass sie handelte“, sagt ein EZB-Ratsmitglied. Natürlich werde er niemals sagen, dass die Euro-Notenbank völlig richtig gelegen habe. Aber er habe angesichts der raschen Eintrübung des Ausblicks akzeptiert, dass die Position der Bundesbank, nichts zu machen, unhaltbar geworden sei.

Fallende Preise gelten als gefährlich, weil Verbraucher sich dann in der Erwartung zurückhalten, Produkte bald noch billiger zu bekommen. Firmen verdienen dann weniger, schieben Investitionen auf und entlassen Mitarbeiter. Eine Abwärtsspirale kommt in Gang, die nur schwer zu stoppen ist. Deshalb strebt die EZB knapp zwei Prozent Inflation an – denn das schafft einen ausreichenden Sicherheitsabstand.

Laut einer mit den Überlegungen von Weidmann vertrauten Person wurde für den Bundesbank-Präsidenten mit den jüngsten Attacken auf Draghi und die EZB schlichtweg eine rote Linie überschritten. Deshalb sei sein klarer Hinweis auf die Unabhängigkeit der Notenbank nötig gewesen. Trotz der Wahrnehmung eines insgesamt milderen Tonfalls habe sich aber an seinen zentralen Argumenten gegen das Anleihen-Kaufprogramm und an seiner Betonung der Gefahren einer langanhaltenden ultra-lockeren Geldpolitik nichts geändert. Die Änderung im Tonfall sei zu begrüßen – das ändere aber die deutsche Linie nicht, so ein weiteres EZB-Ratsmitglied.

Die Bundesbank warnt seit längerem vor Risiken und Nebenwirkungen wie etwa Übertreibungen an den Finanzmärkten. Zudem könnten sich Länder zu sehr an die niedrigen Zinsen gewöhnen. Und je mehr Staatsanleihen gekauft werden, um so größer wird laut Bundesbank die Gefahr, dass die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung überschritten wird.

Insidern zufolge könnte die Änderung im Tonfall von Weidmann aber auch auf mögliche Koalitionsbildungen und Bündnisse vor wichtigen Entscheidungen hindeuten. So läuft das inzwischen auf 1,74 Billionen Euro angelegte Anleihen-Kaufprogramm bereits seit März 2015 und soll noch bis Ende März 2017 fortgesetzt werden. Irgendwann davor muss der EZB-Rat sich unweigerlich mit der Frage befassen, ob noch einmal nachgelegt oder ob ein Ausstieg vorbereitet werden muss. Und dann sind im obersten Entscheidungsgremium wieder Mehrheiten gefragt.

*** Bestellen Sie den täglichen Newsletter der Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Die wichtigsten aktuellen News und die exklusiven Stories bereits am frühen Morgen. Verschaffen Sie sich einen Informations-Vorsprung. Anmeldung zum Gratis-Newsletter hier. ***

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Warum sprechen diese Woche alle über Trumps „Big Beautiful Bill“?
01.07.2025

Es ist Trumps größtes Prestigeprojekt. Doch welche Vor- und Nachteile hat das Gesetzespaket, das am Freitag unterschriftsreif auf dem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kernenergie-Aktien explodieren um 542 Prozent: Anleger warnen vor Blasenbildung
01.07.2025

Kernenergie-Aktien feiern ein spektakuläres Comeback – befeuert durch den steigenden Strombedarf für Rechenzentren. Die Branche erlebt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Svenska Digitaltolk: Dolmetscher-Gigant kauft KI-Unternehmen – Millionenumsatz prognostiziert
01.07.2025

Schwedens Dolmetscher-Gigant will Europas Übersetzungsmarkt aufrollen – mit KI, Millionenplänen und dem Griff nach Deutschland. Doch...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...