Deutschland

Widerstand der Bürger gegen das „kranke System“ von ARD und ZDF wächst

Lesezeit: 5 min
22.11.2012 00:28
Die ab kommendem Jahr geltende Mediensteuer für die öffentlich-rechtlichen Sender garantiert diesen eine opulente Finanzierung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Der Medienkritiker Hans-Peter Siebenhaar schlägt einen ganz anderen Rundfunk vor. Mit weniger Geld kann mehr Qualität produziert werden. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten bringen im folgenden einen Auszug aus Siebenhaars neuem Buch "Die Nimmersatten".
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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verliert durch mangelnde Programmqualität, immer neue Skandale, wiederholte Vetternwirtschaft und seine politischen Verquickungen zunehmend an Rückhalt in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die Entfremdung zwischen Anstalten und Publikum wird sich durch die für alle obligatorische Haushaltsgebühr ab dem 1. Januar 2013 noch verstärken – und zwar unabhängig davon, ob und wie groß die Mehreinnahmen durch das neue Gebührenmodell ausfallen werden. Mit der Einführung der Haushaltsabgabe alias ARD/ZDF-Mediensteuer soll dieses kranke System bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag opulent finanziert werden. Der Widerstand der Bürger wächst. Sie wenden sich in ihrer Ohnmacht an die Gerich- te, auch wenn der Ausgang der Verfassungsklagen gegen die neue Rundfunkfinanzierung völlig unklar ist.

Mittlerweile haben sich weite Teile der Bevölkerung, insbesondere die junge Generation, vom öffentlich-rechtlichen System als Zuschauer verabschiedet. Die Vergreisung des Publikums ist für die schwerfälligen Anstalten eine der größten Bedrohungen. Der typische Zuschauer des Bayerischen Fernsehens ist 64 Jahre alt. Damit rangiert die Münchener Anstalt im Vergleich der Dritten Programme in der ARD sogar noch im Mittelfeld! Das Problem der Vergreisung wurde von den Chefetagen zwar erkannt, nur Lösungen gibt es keine. Die Nimmersatten glauben mit immer neuen Kanälen wie beispielsweise dem geforderten Jugendkanal das Problem lösen zu können. Doch da täuschen sie sich.

Um den sinkenden Rückhalt in der Gesellschaft aufzuhalten, braucht das schwer kranke System dringend sehr weitgehende Reformen. Deren Ziel muss sein: besseres Fernsehen für weniger Geld. Dabei kann es nicht nur um kosmetische Veränderungen gehen wie beispielsweise die Einstellung von Digitalkanälen, Kür- zungen von ein paar Stellen oder die Zusammenlegung von Rundfunkorchestern. Vielmehr sind radikale Veränderungen nach dem Motto »weniger ist mehr« notwendig.

Durch das Internet mit seiner unübersehbaren Zahl von audiovisuellen Angeboten und durch die noch immer wachsende Zahl von Fernsehkanälen in Deutschland gibt es schon eine mediale Überversorgung. Insgesamt betreiben ARD und ZDF schon jetzt 22 Fernsehsender auf Kosten des Gebührenzahlers.

Um das teuerste öffentlich-rechtliche Rundfunksystem der Welt wieder auf ein Normalmaß zurückzuführen, brauchen wir in Zukunft weniger statt mehr Kanäle. Tabus darf es bei diesem Umbau nicht geben. Warum nicht das Erste und das Zweite zu einem gemeinsamen Hauptprogramm unter Führung des ZDF verschmelzen und die regionalen Dritten zum Zweiten ausbauen? Alle Reformbestrebungen müssen einen sinnvollen und relevanten Beitrag leisten, Milliarden von Euro einzusparen, um die höchste Rundfunkgebühr in der deutschen Geschichte von derzeit stolzen 215,76 Euro im Jahr nachhaltig zu senken.

Reichen derartige Reformen aus, um das System von ARD und ZDF zu modernisieren? Der Umbau muss noch viel weiter gehen. Die teure GEZ gehört endlich abgeschafft! Finanzämter oder auch private Dienstleister können den Gebühreneinzug kostengünstiger übernehmen. Die GEZ ist nämlich ein teurer Betrieb. Sie kostet jeden Gebührenzahler jährlich fast vier Euro!

Zu einer Reform gehört auch, die 14 Landesmedienanstalten künftig nicht mehr über die GEZ-Gebühr zu finanzieren. Derzeit zahlt jeder Bürger ebenfalls jährlich über vier Euro, um die Medienkontrolleure für den privaten Rundfunk zu finanzieren. Eine Absurdität. Denn die Kontrolle von Konzernen wie RTL, ProSieben Sat.1, Disney oder Viacom gehört zu den genuin staatlichen Aufgaben. Schließlich zahlen wir auch keine monatliche Genussgebühr, damit Behörden unsere Nahrungsmittel auf gesundheitliche Unbedenklichkeit prüfen.

Vor allem müssen sich ARD und ZDF von ihren kommerziellen Töchtern trennen. Produktionskonzerne wie Studio Hamburg und Bavaria Film waren in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts notwendig, um den Programmnachschub zu sichern. Heute gibt es keinen Grund mehr, warum sie noch im Besitz des Gebührenfernsehens bleiben sollten. Ein Verkauf der beiden Atelierbetriebe mit ihren Dutzenden von Tochterfirmen wäre auch für den Wettbewerb im deutschen Produktionsmarkt eine gute Nachricht. Freie Produzenten klagen seit vielen Jahren hinter vorgehaltener Hand über die unfaire Konkurrenz der ARD-Tochter. Sie glauben, dass bei der Vergabe von Aufträgen den eigenen Produktionstöchtern oft der Vorzug gegeben wird.

Hinzu kommt, dass die Aktivitäten mancher kommerzieller Tochter nur noch schwer oder gar nicht mit den Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu vereinbaren sind. Es kann nicht im Sinne des Gebührenzahler sein, dass sich das ZDF an einem schnulzigen Bezahlsender in Polen beteiligt, die ARD-Tochter Bavaria an einem börsennotierten Mediendienstleister oder der WDR an einer belgischen Telematikfirma. Das mögen aus Sicht der Anstalten zweit- oder drittrangige Beteiligungen sein. Doch sie zeigen mustergültig, welcher Schlendrian im Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingezogen ist.

In der deutschen Politik gibt es keine Pläne, diese Auswüchse zu verhindern und für einen fairen Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medienunternehmen zu sorgen. Die textlastige Tagesschau-App unterscheidet sich kaum von den Apps privater Zeitungen und Zeitschriften. Eigentlich verbietet der Rundfunkstaatsvertrag den Anstalten presseähnliche Internetangebote ohne Bezug zu Rundfunksendungen. Doch das ist nur Theorie. Die Aufsichtsgremien, die im sogenannten Dreistufentest digitale Angebote wie die Tagesschau-App prüfen, sind eine Farce. Bislang haben sie noch nie den Missbrauch durch die Anstalten gestoppt.

Es ist an der Zeit, dass sich die EU-Kommission den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland umfassend vorknöpft. Anlässe gibt es mehr als genug. Doch in der Vergangenheit hat sich Brüssel nicht gerade als Hüter des fairen Wettbewerbs im deutschen Medienmarkt profiliert. Ein Beihilfeverfahren zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von ARD und ZDF wurde im April 2007 mit einem faulen Kompromiss eingestellt. Damals ging es um die heute noch immer zentrale Frage, ob die Anstalten nicht längst ihren Grundversorgungsauftrag verlassen haben und sich über die GEZ-Gebühren Wettbewerbs- vorteile im Internet und anderswo verschafft haben.

ARD und ZDF brauchen nicht nur einen strukturellen, sondern auch einen inhaltlichen Neuanfang. Sie dürfen nicht die Zuschauerquote wie ein Heiligtum bei der Fronleichnamsprozession vor sich hertragen. Sonst bleiben sie eine zweitklassige Kopie der Originale im Privatfernsehen. Oft ist das anspruchslose Unterhaltungsprogramm mit albernen Shows, müden Schnulzen und austauschbaren Talkshows eine Art Publikumsmissachtung.

Die Zuschauer sind nicht so niveaulos, wie sich das die Programmmacher von ARD und ZDF vorstellen. Sie würden ein anspruchsvolleres Programm viel heftiger begrüßen, als in den An- stalten noch immer geglaubt wird. In einer Wissensgesellschaft wie der deutschen erwarten die Abonnenten des öffentlich-rechtlichen Bezahlfernsehens inhaltliche Exzellenz und keine beliebige Berieselung.

Der Gebührenrundfunk wird dann seine gesellschaftliche Anerkennung zurückgewinnen, wenn er sich wieder an den Leitlinien von Qualität und journalistischer Recherche orientiert. Nur so bleibt er relevant und bedeutend. Kurzum, die Öffentlich- Rechtlichen müssen einen Strategie- und Imagewandel vollziehen: qualitativ erstklassig, technisch innovativ und dennoch massentauglich. In den 80er-Jahren war Audi eine biedere Marke mit langweiligem Image. Heute hat der Autohersteller den Wandel zu einem angesehenen, hochqualitativen Innovationsführer geschafft. Eine Kehrtwende ist möglich.

Es gehört zu den weit verbreiteten Irrtümern in den Führungsetagen von ARD und ZDF zu glauben, dass sich die Relevanz der Sender ausschließlich über einen möglichst hohen Marktanteil definiert. Die Wichtigkeit eines Medium leitet sich vielmehr von der Qualität seiner Inhalte und damit seines Publikums ab.

Ein anspruchsvolles Programm als konsequenter Kontrast zu den Privaten ist die Voraussetzung für das notwendige Ziel: ein öffentlich-rechtliches Bezahlfernsehen auf freiwilliger Grundlage. Ähnlich wie in der katholischen oder evangelischen Kirche wird es dem Zuschauer dann überlassen sein, zu entscheiden, ob er Teil des Systems bleiben möchte. Machen sich ARD, ZDF und Deutschlandradio mit ihren medialen Qualitätsangeboten im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet unersetzlich, wird dies eine Option sein können. Einmaligkeit statt Beliebigkeit muss daher ihre inhaltliche Devise sein. Zu dieser Einmaligkeit muss auch ein kompletter Verzicht auf Werbung gehören. Ohne Reklame im Vorabend sind die Sender frei, anspruchsvolle Unterhaltung frei Haus zu liefern, anstatt RTL, ProSieben und RTL II hinterherzuhecheln.

Damit sich ARD und ZDF modernisieren können, brauchen sie darüber hinaus eine Art Magna Charta, die von allen gesellschaftlichen Kräften getragen wird. Wichtigster Punkt einer der- artigen Rundfunkverfassung ist die Entpolitisierung der Anstalten. Die Parteien müssen rundfunkpolitisch enteignet werden. Nicht den Politikern, sondern den Bürger gehören ARD, ZDF und Deutschlandradio.

„Die Nimmersatten“ ist im Eichborn-Verlag erschienen und kann hier bestellt werden.

Ein ausführliches Interview mit dem Autor - hier.


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