Zwischen der EU-Kommission und Deutschland ist ein offener Konflikt entbrannt: Die FAZ meldet, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe Pläne vorbereitet, die Kommission zu entmachten. Sie ist nach Schäubles Auffassung keine politische Behörde. Die Beamten seien den Politikern untergeordnet und hätten in politischen Fragen kein Verhandlungsmandat.
In der Sache hat Schäuble recht: Auch wenn bei den Bürgern der Anschein erweckt wurde, Jean-Claude Juncker sei als „Spitzenkandidat“ der Europäischen Konservativen quasi als Sieger der EU-Wahlen eine Art demokratisch legitimierter Präsident: Rechtlich wird der Präsident der EU-Kommission von Rat der Staats- und Regierungschefs ernannt und muss dann vom EU-Parlament bestätigt werden. In der Ausübung ihrer Aufgaben hat die EU-Kommission gemäß der Europäischen Verträge eindeutig die Aufgabe einer Art Verwaltung und kein politisches Mandat.
Schäuble ist über den Helmut Kohl-Freund Juncker besonders verärgert, weil dieses sich im Konflikt um Griechenland eindeutig auf die Seite von Syriza-Premier Alexis Tsipras gestellt hatte. Juncker interpretiert seine politische Tätigkeit als Ableitung des Auftrags, die Kommission müsse die Europäische Union voranbringen. Im Fall von Syriza hat Schäuble hier keinerlei Verständnis: Er war während der gesamten Verhandlungsphase zu keinem Zeitpunkt bereit, mit seinem griechischen Pendant Yanis Varoufakis ernsthaft zu verhandeln.
Varoufakis hatte in einer Telefonkonferenz mit Investoren in London gesagt, Schäuble glaube nicht, dass der Euro in der Form funktioniere, wie er sich heute darstellt. Schäuble habe ihm gesagt, die Euro-Zone in ihrer derzeitigen Form sein nicht nachhaltig. Um Transfers in der Euro-Zone zu ermöglichen, müsse die Zone in sehr disziplinierter Weise geführt werden. Varoufakis sagte wörtlich: „Schäuble hat mir gesagt, dass ein Grexit ihn mit genug Verhandlungsmacht, Macht zu Terrorisieren („terrorizing power) ausstatten würde, um seinen Plan den Franzosen aufzuzwingen.“
Diese Aussage ist Schäuble mit Sicherheit zugetragen worden (hier das gesamte Varoufakis-Gespräch, Passage ab Minute 13:00). Schäuble hält es für unerhört, dass sein Parteifreund Juncker sich für eine Regierung stark macht, die ihn, Schäuble, direkt des „Terrorismus“ bezichtigt.
Daher hat sich Schäuble offenbar mit den Niederländern abgesprochen und will die EU-Kommission zurückschneiden. Die FAZ schreibt, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem wolle die Neuordnung zum Kern-Programm der niederländischen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2016 machen.
Schäuble schlägt vor, dass wichtige Aufgaben, die jetzt die EU-Kommission wahrnimmt, an unabhängige Behörden abgeben solle, wie etwa an ein europäisches Kartellamt oder eine europäische Binnenmarktbehörde.
Juncker hat bei seinem Versuch der Politisierung der Kommission schlechte Karten: Sein Investitionsfonds ist nichts anderes als eine Umschichtung von Finanzmitteln aus anderen EU-Töpfen. Sein Plan einer Flüchtlingsquote ist kläglich gescheitert. Die EU-Staaten sind froh, dass sie als Sündenbock für ihre eigene Abschottung gegenüber den Flüchtlingen die EU vorschieben können. So sagte der mächtige österreichische Landeshauptmann Erwin Pröll am Dienstag im ORF, dass die unhaltbaren Zustände im Flüchtlingslager Traiskirchen das Ergebnis einer unfähigen EU-Politik seien. In Traiskirchen werden derzeit über 4.000 Flüchtlinge in einem Lager zusammengepfercht, das eigentlich nur für 1.800 Flüchtlinge zugelassen ist. Der Vorwurf gegen Juncker ist zwar ungerecht – denn gerade Juncker hatte mit dem Quoten-Vorschlag versucht, Ländern wie Österreich Entlastung zu verschaffen.
Doch in einem Klima, in dem die EU von den nationalen Regierungen zum Feindbild aufgebaut wird, spielt Differenzierung keine Rolle mehr. Schäubles Vorschlag könnte daher auf breite Zustimmung bei all jenen Regierungen in der EU stoßen, denen die Kommission seit langem ein Dorn im Auge ist.
Schäuble wirft der Kommission laut FAZ vor, „sich immer mehr als Europa-Regierung in Szene zu setzen“. Schäuble ist nicht prinzipiell gegen eine europäische Regierung: Doch er will sie nur mit Staaten teilen, die sich an die Regeln der fiskalischen Disziplin halten, die in Deutschland offiziell hochgehalten werden. Dass genau Deutschland das erste Land war, das unter Rot-Grün wegen der Landtagswahlen in NRW als erstes Land die Maastricht-Kriterien über Bord geworfen hat, ist in der aktuell aufgeheizten Diskussion längst vergessen.
Frankreich will schon bald Vorschläge für eine neue, integrierte Euro-Zone vorlegen. Italien unterstützt Frankreich dabei. Die Osteuropäer und die Balten stehen eher auf der Seite Deutschland. Die Konflikt, der das klare Potenzial einer Spaltung der EU in sich birgt, steuert auf seinen nächsten Höhepunkt zu.