Politik

EU-Gipfel beschließt: Türkei soll Flüchtlings-Krise lösen

Lesezeit: 3 min
19.02.2016 13:22
Der EU-Gipfel hat zur Flüchtlingskrise keine einzige Entscheidung hervorgebracht. Allerdings wurde beschlossen, dass es noch vor den Landtagswahlen in Deutschland einen neuen Gipfel gibt: diesmal mit der Türkei, der die EU die Lösung des Flüchtlingsproblems überträgt. Angela Merkel äußerte sich „sehr zufrieden“ über die Diskussion.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die EU hat beim Gipfel die Flüchtlingsfrage faktisch ergebnislos vertagt. Statt dessen einigte man sich darauf, dass die Türkei für die EU lesen soll.

Die amtlichen Mitteilungen des Gipfels laut dpa zeigen nach einer Analyse ihrer Bedeutungen im Kontext, dass die EU einerseits nichts erreicht hat, die Verantwortung nun einem Dritten aufbürden will, dessen Entscheidungen sie nicht steuern kann; und dass den Deutschen vor den Landtagswahlen nun einige andere Geschichten erzählt werden sollen - in der Hoffnung, dass die Leute nicht zu viele dumme Fragen stellen.

Mitteilung:

In der Flüchtlingskrise plant die EU Anfang März einen neuen Sondergipfel mit der Türkei. «Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative gibt zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei», sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker beim EU-Gipfel in Brüssel.

Bedeutung:

Die gute und weise Zusammenarbeit mit der Türkei hat im November so ausgesehen, dass der türkische Präsident Erdogan die EU-Verhandler wie Schuljungen vorgeführt hat und vor glatten Erpressungen nicht zurückgeschreckt ist.

Mitteilung:

Für die innenpolitisch bedrängte Kanzlerin Angela Merkel hat das Türkei-Spitzentreffen eine wichtige Bedeutung, denn am 13. März stehen Landtagswahlen in Baden-Württemburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an. Die CDU-Chefin sieht die Türkei als einen entscheidenden Partner zum Bewältigen der Flüchtlingskrise.

Bedeutung:

Das stimmt: Merkel will vor der Landtagswahl eine Einigung verkünden und setzt wagt dabei erstmals den ultimativen populistischen Doppelsalto - einen, der links und rechts zufriedenstellt: Die Rechten sollen beruhigt werden, indem man ihnen sagen: Der harte Hund von Ankara hält uns das Problem vom Hals. Die Linken Claquere sollen sagen: Der gute Mensch von Ankara kümmert sich um die Flüchtlinge.

Mitteilung:

Merkel sah sich beim Gipfel in ihren Bemühungen um eine Lösung der Krise bestätigt. «Ich bin sehr zufrieden mit der Diskussion.» Alle Staats- und Regierungschefs hätten den Ende November gefassten EU-Türkei-Aktionsplan nicht nur bekräftigt, sondern auch zur Priorität beim Umsetzen der gemeinsamen Ziele erklärt. Das seien der bessere Schutz der EU-Außengrenzen, die Bekämpfung der illegalen Migration und dadurch die Reduzierung der Flüchtlingszahlen.

Bedeutung:

Die von der dpa gelieferte Zusammenfassung von Merkel ist bemerkenswert: Die Verteilung der Flüchtlinge in der EU ist als Ziel auch offiziell aufgegeben. Sie kommt nicht einmal mehr als Fernziel vor. Diese Botschaft Merkels sollten vor allem ihre Parteifreunde aus CDU und SPD lesen: Sie haben in den vergangenen Monaten wie ein Mantra den Leute erklärt, dass es das Wichtigste sei, dass die Flüchtlinge in Europa verteilt werden. Das ist jetzt nicht mehr das Wichtigste. Merkels Team wird nun eine Antwort finden müssen, was es für Deutschland bedeutet, wenn die Flüchtlinge nicht mehr verteilt werden, Deutschland aber als einziges Land seine Grenzen offen hält.

Mitteilung:

Der Aktionsplan sieht unter anderem vor, dass die EU drei Milliarden Euro zur besseren Versorgung syrischer Kriegsflüchtlinge in der Türkei zur Verfügung stellt.

Die EU gibt mit der Entscheidung zu einem neuen Gipfel laut Diplomaten auch ein deutliches Signal, dass sie trotz des eskalierenden Kurdenkonflikts in der Türkei an der Zusammenarbeit festhält.

Bedeutung:

Es ist immer noch unklar, woher das Geld kommt. Ein echtes Ergebnis wäre gewesen, dass die EU mitteilt, wie der Verteilungsschlüssel ist, wie der Einsatz der Steuergelder in der Türkei kontrolliert wird und dass es über die vereinbarten Gelder hinaus keine Zahlungen an Ankara geben wird. Die Ankündigung in Richtung Kurden heißt: Was den Bürgerkrieg in der Türkei und den Krieg in Syrien anlangt, warten wir auf weitere Order aus Washington.

Mitteilung:

Ein am Rande des Gipfels geplantes Sondertreffen einiger Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu musste wegen des jüngsten Anschlages in Ankara abgesagt werden. Mit Davutoglu sollte eigentlich über bessere Kontrollen an der Grenze zum EU-Land Griechenland geführt werden.

Bedeutung:

Bis heute sind die Hintergründe der Explosion im Herzen der türkischen Armeeführung völlig unbekannt.

Mitteilung:

In der Gipfelrunde wurde laut Diplomaten die Forderung laut, dass Wien bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte März eine angekündigte Flüchtlings-Obergrenze erst einmal nicht in die Tat umsetzt. Bundeskanzler Werner Faymann sagte allerdings nach den Beratungen, seine Regierung werde daran festhalten. «Da gibt es nichts zu verschieben, nichts zu ändern.» Sein Land habe bereits im Vorjahr deutlich mehr Asylanträge gehabt als beispielsweise Italien und Frankreich. Juncker ging nicht explizit auf Österreich ein, sagte aber, «nationale Solos» seien nicht empfehlenswert.

Bedeutung:

Österreich hat grünes Licht für sein Konzept. Es sieht alles danach aus, dass Österreich hier die Arbeit für Deutschland übernimmt. Gut möglich, dass dies in Abstimmung mit Merkel geschieht: Vor wichtigen Landtagswahlen in Österreich hatte Deutschland im Herbst alle aus Österreich einreisenden Personen übernommen. Nun, vor wichtigen Landtagswahlen in Deutschland, revanchiert sich Faymann und verschiebt die deutsche Außengrenze auf den Brenner.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Panorama
Panorama Schätzung: Zahl der Verkehrstoten 2024 nahezu unverändert
14.12.2024

Statistiker schätzen, dass die Zahl der Verkehrstoten nahezu unverändert bleibt. Das bedeutet: Noch immer sterben im Schnitt acht...

DWN
Technologie
Technologie DMA-Experiment: Google testet neue Suchergebnisse für Hotelsuche
14.12.2024

Google passt seine Suchergebnisse weiter an das EU-Digitalgesetz DMA an. In einem neuen Test entfernt das Unternehmen Hotelangebote aus den...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview mit Thomas Bachheimer: BRICS-Staaten im Aufwind – Westen in der Krise?
14.12.2024

Der BRICS-Gipfel im russischen Kasan hat gezeigt: Die BRICS-Staaten entwickeln sich nicht nur zu einem wirtschaftlichen, sondern auch zu...

DWN
Politik
Politik Asylpolitik: Mehrheit der Bundesbürger gegen bisherige Flüchtlingspolitik in Deutschland - Bringt Assads Sturz einen Wendepunkt?
13.12.2024

Der Zusammenbruch des Assad-Regimes macht den Umgang mit syrischen Flüchtlingen zum entscheidenden Wahlkampfthema: Wer darf bleiben, wer...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kurzarbeit im Fokus: Heil will Bezugsdauer verdoppeln
13.12.2024

Die Bezugsdauer für Kurzarbeitergeld soll von 12 auf 24 Monate verlängert werden. Warum diese Maßnahme wichtig ist und welche Folgen sie...

DWN
Immobilien
Immobilien Wahrzeichen statt Bauruine: Hamburger Unternehmer soll Elbtower fertigstellen
13.12.2024

In Hamburg sollte das dritthöchste Gebäude Deutschlands entstehen. Doch im Oktober 2023 stoppten die Arbeiten. Nun soll voraussichtlich...

DWN
Panorama
Panorama Digitalpakt 2.0: Bund und Länder verkünden Einigung
13.12.2024

Ein Durchbruch in letzter Minute: Bund und Länder einigen sich auf die Fortsetzung des Digitalpakts 2.0. Milliarden fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Umsatzeinbruch der deutschen Industrie: Hunderttausende Jobs werden abgebaut - Steht Deutschland vor einer Deindustrialisierung?
13.12.2024

Die deutsche Konjunkturschwäche hat verheerende Folgen: Deutschlands Industrieunternehmen haben binnen eines Jahres rund 50.000 Stellen...