Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird mit dem geplanten Gesetz das Asylrecht in Österreich ausgehebelt?
Christoph Pinter: Es wird zumindest an einem Grundpfeiler des Asylrechts gerüttelt. Wir haben die Sorge, dass es – mit dem Gesetz im jetzigen Entwurf – bei einem ausgerufenen Notstand nicht mehr möglich ist, Asyl in Österreich zu beantragen. Nach den bestehenden Regelungen muss einem aber der Zugang ins Hoheitsgebiet, in dem der Asylantrag gestellt wird, ermöglicht werden. Das wäre dann hier nicht mehr der Fall.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie werden die Nachbarländer darauf reagieren, dass Österreich möglicherweise Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückweist?
Christoph Pinter: Es gibt noch keinen endgültigen Gesetzestext, aktuell finden ständig Verhandlungen darüber statt. In der jetzigen Version steht: Wenn der betreffende Nachbarstaat sich weigert, Flüchtlinge aus Österreich zurückzunehmen, muss das Asylverfahren doch in Österreich stattfinden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Regierung argumentiert, dass die Flüchtlinge die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit gefährden könnten – daher müsse in einem solchen Fall der Notstand ausgerufen werden. Gibt es nicht doch andere Möglichkeiten als es das neue Gesetz vorsieht?
Christoph Pinter: Wenn die Auffassung besteht, dass ein besonderer Druck auf dem österreichischen System herrscht, wäre es meiner Meinung nach etwa zu überlegen, ob die Verteilung von Asylsuchenden nicht auch aus Österreich in andere EU-Staaten möglich ist. In Griechenland oder Italien wird auch so verfahren. Fraglich ist schon, ob so eine Maßnahme, wie jetzt geplant, wirklich notwendig ist, da sie die Grundpfeiler des Asylrechts berühren. Zudem sind gemeinsame Lösungen immer einem nationalen Alleingang vorzuziehen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Könnten die anderen Staaten bei einem Alleingang von Österreich nicht ähnlich vorgehen?
Christoph Pinter: Die geplante Aussetzung von Teilen des EU-Asylrechts würde zu einer weiteren Entsolidarisierung innerhalb der EU beitragen. Außerdem steht sie völlig konträr sowohl zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem als auch zur Genfer Flüchtlingskonvention, die beide auf einer Teilung der Verantwortung im Flüchtlingsschutz beruhen. Die UNHCR fürchtet durch die geplante Novelle zudem eine Kettenreaktion in weiteren Staaten, wodurch es für Flüchtlinge in Europa immer schwieriger werden könnte, Schutz vor Verfolgung und Krieg zu finden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sieht das Gesetz Ausnahmen für besonders schutzbedürftige Personen wie Schwangere, Minderjährige oder Kranke vor?
Christoph Pinter: In dem aktuellen Entwurf nicht. Das ist natürlich im Fall von unbegleiteten Minderjährigen besonders problematisch, weil das Kinderwohl aus der UN-Kinderrechtskonvention vorrangig ist und unabhängig vom Asylrecht besteht.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie bewerten Sie das Vorhaben, dass nach dem jetzigen Gesetzesentwurf an der Grenze keine Asylrechts-Experten, sondern die Polizei die Schnellverfahren durchführen soll?
Christoph Pinter: Asylverfahren sollten auf jeden Fall von Experten durchgeführt werden. Das ist Standard in der EU und steht auch so in den Richtlinien. Das ganze Thema ist juristisch so hochkomplex, dass da wirklich nur ausgewiesene Fachleute entscheiden sollten. Im jetzigen Entwurf soll die Polizei diese Aufgabe übernehmen. Ich habe gehört, dass es Pläne geben soll, dass die Polizei von Juristen unterstützt werden soll. Ob dies allerdings telefonisch oder vor Ort an der Grenze passieren soll, ist völlig unklar. Ebenso, ob es überhaupt diese Pläne gibt. Daher ist es wichtig, dass dieser Punkt im Gesetzesentwurf noch einmal verbessert wird.
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Christoph Pinter ist Leiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR in Österreich.
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