Politik

Geopolitische Spannungen kosten Russland Spitzen-Platz bei Investoren

Russland fällt es wegen der geopolitischen Spannungen mit den USA und der EU schwer, Direkt-Investitionen ins Land zu holen. Interessant: Die Investoren stehen bereit, wieder in Russland zu investieren, sollte sich die Lage entspannen. Bei China herrschen dagegen grundsätzliche Zweifel. Europa profitiert von der globalen Unsicherheit. Doch auch hier haben einige Länder Probleme.
05.05.2016 01:24
Lesezeit: 5 min
Geopolitische Spannungen kosten Russland Spitzen-Platz bei Investoren
Martin Sonnenschein, Zentraleuropa-Chef A.T. Kearney. (Foto: © Jan Voth) Foto: Jan Voth

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Deutschland, Spanien, Australien, die Schweiz und Singapur sind die Aufsteiger des FDI Confidence Index 2016, den A.T. Kearney ermittelt. Was haben diese Länder gemeinsam, das sie für Investoren attraktiv macht?

Martin Sonnenschein: Es wäre unseriös, eine gemeinsame Begründung für die fünf erfolgreichsten Aufsteiger zu nennen – zu komplex und vielschichtig sind die Anreize und Motivlagen. Wenn wir aber das Gesamtbild der Aufsteiger betrachten, zu denen auch Indien, Kanada, Deutschland und Japan gehören, sehen wir durchaus übergreifende Trends.

Erstens eine klare Zuwendung zu entwickelten Volkswirtschaften bei gleichzeitiger Abkehr von den Schwellenländern. Die große Mehrheit der Aufsteiger sind entwickelte Volkswirtschaften und diese dominieren zum zweiten Mal in Folge die Top 25 Ziele für ausländische Direktinvestitionen.

Zweitens sind alle Länder, die nach oben geklettert sind, mit Ausnahme von Kanada entweder Teil von Europa oder des asiatisch-pazifischen Raums. Europa ist mit insgesamt 13 Vertretern unter den Top 25 eindeutig die bevorzugte Investitionsregion. Der asiatisch-pazifische Raum hat sich als neue Drehscheibe für die globale Wirtschaft etabliert. Das spiegelt sich auch in den dort geplanten und getätigten Investitionsleistungen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Europa fallen vor allem Schweden, Italien und Österreich zurück – warum?

Martin Sonnenschein: Für Italien dürfen wir davon ausgehen, dass seine Attraktivität besonders unter den schlechten Wirtschaftsaussichten leidet, die die Investoren dem südeuropäischen Land geben: Nur 23 Prozent der für den FDI Confidence Index 2016 konsultierten Top-Manager prognostizieren für die nächsten drei Jahren einen Aufschwung der italienischen Ökonomie, 20 Prozent äußern sich explizit pessimistischer als im Jahr zuvor.

Für Schweden und Österreich liegen die Gründe anders: Hier sind die Prognosen zwar positiver, doch ist zu vermuten, dass länderspezifische Investitionsbedingungen wie undurchsichtige Regularien und hohe Arbeitskosten den Abstieg bedingen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Schwellenländer verlieren deutlich an Attraktivität. Ist das ein vorübergehendes Phänomen, oder kann sich daraus ein Trend entwickeln?

Martin Sonnenschein: Die Schwellenländer haben innerhalb der vergangenen Jahre einen wirklich dramatischen Absturz erlebt: 2007 haben sie rund 70 Prozent der Top 25 Investitionsziele abgedeckt und 2013 noch immerhin die Hälfte. Heute sind dagegen 80 Prozent der begehrtesten Investitionsziele entwickelte Volkswirtschaften. Und die wenigen noch im FDI Confidence Index gelisteten Schwellenländer sind mit Ausnahme von Indien 2016 rasant abgestiegen: Brasilien von Rang 6 auf 12 und Mexiko von 9 auf 18.

Die Gründe: In krisenhaften und unsicheren Zeiten wenden sich Investoren sicheren und transparenten Märkten zu. Gleichzeitig hat das Wachstum in den Schwellenländern deutlich nachgelassen. Die zukünftige Entwicklung ist davon abhängig, ob die Schwellenländer es schaffen, ihre Wirtschaft wieder anzukurbeln und Vertrauen zu schaffen. Ich erwarte keine kurzfristige Umkehr.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Russland scheint gar nicht unter den Top 25 auf – ist das Land vom Investment-Radar verschwunden, und warum?

Martin Sonnenschein: Bis einschließlich 2013 war Russland über zehn Jahre hinweg im FDI Confidence Index vertreten. Zeitgleich zu dem Ausbruch der Ukraine-Krise und den wachsenden geopolitischen Konflikten mit den USA und der EU verschwand es 2014 aus der Top 25 Liste.

Die damals ausdrücklich zu Russland befragten Investoren begründeten die sinkende Attraktivität Russlands mehrheitlich mit den geopolitischen Spannungen und gaben an, bei Beilegung des Konflikts sofort wieder reinvestieren zu wollen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Europa hat die Flüchtlingskrise das Potenzial, die Stabilität zu beeinträchtigen. Kann das eine Rolle spielen?

Martin Sonnenschein: Von der Flüchtlingskrise gehen zweifelsohne Stabilitätsrisiken aus, die sich mittel- bis langfristig auch auf die Attraktivität der EU für ausländische Investoren auswirken könnten. Sie bringt aber auch reale Chancen, zum Beispiel, die Folgen des demographischen Wandels auszugleichen und Nachfrage zu schaffen. Der Pro-Kopf Wohlstand der Bevölkerung wird aber wohl nicht dadurch steigen. Europa muss zusammenhalten und wir müssen die Flüchtlinge in unsere Gesellschaft und unseren Arbeitsmarkt integrieren.

Noch lässt sich aus dem FDI Confidence Index nicht schließen, dass die Flüchtlingswelle Investoren abschrecke. Sie vertrauen auf den Zusammenhalt und Stabilität der EU. Das sollte auch uns zuversichtlich stimmen, die Herausforderung konstruktiv anzugehen, anstatt uns in kulturellen Identitätsdebatten, Verteilungsfragen und ideologischen Grabenkämpfen zu verausgaben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Viele Staaten – wie jetzt Österreich oder vielleicht schon bald Frankreich – sehen einen teilweise massiven Aufstieg von rechten Parteien. Kann das einen Einfluss auf das Investitionsverhalten haben?

Martin Sonnenschein: Das ist nicht ausgeschlossen, wenngleich die Ergebnisse keine direkten Verknüpfungen zwischen jüngsten Wahlergebnissen und Investitionsvorhaben erlauben, so dass ich zum Beispiel für die Interpretation des österreichischen Rückfalls sehr vorsichtig wäre.

Mit Blick auf die bevorstehenden US-Wahlen haben die befragten Unternehmer aber bereits angekündigt, im Falle einer populistischen Präsidentschaft ihre Investitionen spürbar zurück zu fahren – unabhängig davon, ob sie von rechts oder links außen kommt: Dreizehn Prozent der Firmen würden nicht mehr in die USA investieren, während acht Prozent ihre Investitionen reduzieren würden. Populismus schreckt Investoren ab.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Spanien dagegen ist eine pointiert linke Partei auf dem Vormarsch – und es gibt seit Monaten überhaupt keine Regierung mehr. Das scheint die Investoren nicht sonderlich zu beeindrucken?

Martin Sonnenschein: Wahrscheinlich haben die Investoren zum Zeitpunkt der Befragung im Januar 2016 kurz nach den Wahlen einfach nicht mit einem solch dramatischen Machtvakuum gerechnet. Damals dachte man noch, dass eine baldige Regierungsbildung zwar schwierig, aber nicht gänzlich unnötig sei.

Spanien hat zur Überraschung vieler einen großen Sprung vom 17. auf den 13. Platz hingelegt. Dieser rasante Aufstieg ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass sich die spanische Wirtschaft erholt hat und weiteres Wachstum (laut Internationalem Währungsfonds 2,6 Prozent für 2016) in Aussicht stellt. Gleichzeitig lockt das Land mit fallenden Arbeitskosten und einer weiten regulatorischen Öffnung für ausländische Investoren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Großbritannien hat ebenfalls verloren – welche Fundamentaldaten spielen da eine Rolle? Nur die Brexit-Unsicherheit kann es ja nicht sein, weil UK auch schon vor der EU-Mitgliedschaft ein wichtigstes Zielland für FDI gewesen ist.

Martin Sonnenschein: Ich würde den Abstieg Großbritannien nicht überinterpretieren. Immerhin hält Großbritannien sich nunmehr im dritten Jahr unter den Top 5 der attraktivsten Zielländer für ausländische Direktinvestitionen. Und Großbritannien ist aus Sicht der Investoren das Land mit den viertbesten Prognosen für konjunkturellen Aufschwung.

Die Tatsache, dass die Investoren angeben, im Falle eines EU-Austritts ihre Investitionen zurück zu fahren, lässt aus meiner Sicht eindeutig darauf schließen, dass sie vor allem durch einen drohenden Brexit verunsichert sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: China und die USA führen das Ranking weiter an. Dennoch haben beide Länder spezifische Probleme. Ist das Vertrauen der Investoren in diese Länder unter der Oberfläche angekratzt?

Martin Sonnenschein: Wie stark das Vertrauen der Investoren noch ist, können wir daran ablesen, welche Prognosen sie den Ländern für die nächsten Jahre geben. Für die USA sehen die Befragten einen optimistischen Konjunkturausblick: 42 Prozent rechnen innerhalb der nächsten drei Jahre mit einer besseren Entwicklung als im vergangenen Jahr, nur 14 Prozent sind pessimistischer. Damit führen die USA im internationalen Vergleich das Ranking der optimistischen Konjunkturprognosen.

China steht dagegen an letzter Stelle und hat durch die künstliche Stabilisierung seiner Währung und den höchst ambitionierten Wachstumszielen viel Vertrauen eingebüßt: Während 32 Prozent die weitere Entwicklung pessimistischer sehen, sind nur 28 Prozent optimistisch. Dem „Reich der Mitte“ scheinen die Investoren also nur noch unter Vorbehalt zu vertrauen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Rolle wird TTIP für die EU-Staaten spielen? Die LSE ist ja für UK zum Ergebnis gekommen, dass TTIP für FDI in UK unerheblich ist.

Martin Sonnenschein: Wir haben in diesem Jahr keine Umfragewerte zu den Auswirkungen von TTIP erhoben und können daher auch keine validen Einschätzungen abgeben. Ganz sicher haben internationale Handelsabkommen Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit. Wenn TTIP überhaupt kommt, ist es das Ergebnis von Verhandlungen, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen. Ich gehe deshalb nicht davon aus, dass die Direktinvestitionen für die EU darunter leiden werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wird Osteuropa eingeschätzt? Gibt es hier Zahlen dazu? Welches Land ist besonders attraktiv, insbesondere unter den EU-Staaten?

Martin Sonnenschein: Die Attraktivität osteuropäischer Staaten hat merklich abgenommen. 2015 waren Polen und Türkei noch unter den Top 25, doch dieses Jahr hat es kein einziges osteuropäisches Land geschafft. Wir sehen das als Folge einer allgemeinen Hinwendung zu entwickelteren Volkswirtschaften und stabilen Regionen, die sich auch innerhalb von Europa bemerkbar macht.

Zu der Attraktivität von Ländern außerhalb der Top 25 können wir keine validen Aussagen machen.

Dr. Martin Sonnenschein ist Zentraleuropa-Chef bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney.

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