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US-Regierung: Haben keine Chance mehr, Assad in Syrien zu stürzen

Lesezeit: 4 min
05.04.2017 02:21
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US-Regierung: Haben keine Chance mehr, Assad in Syrien zu stürzen

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Am Dienstag sollen bei einem Giftgas-Angriff in Syrien zahlreiche Menschen, darunter viele Kinder getötet worden sein. Es gibt keine unabhängig überprüfbaren Belege über den Hergang, die Auswirkungen und den Urheber des Vorfalls, der sich in Chan Scheichun bei Idlib zugetragen haben soll. Im Internet wurden zahlreiche Fotos und Videos verbreitet, über den Kontext kann allerdings keine Aussage gemacht werden.

Die dpa verbreitete einige Bilder von einer „Qasioun News Agency“. Auf deren Website findet man allerdings unter der Rubrik „About us“ eine leere Seite. Die „Agentur“ behauptet, dass auch einer ihrer „Korrespondenten“ verletzt worden sei und gibt ohne Angabe von Quellen an, dass „Sokoy 21 Kampfjets“ die Angriffe geflogen hätten. An anderer Stelle schreibt die Agentur, dass „Sukhoy 22 Kampfjets“ verantwortlich gewesen sein sollen.

Ungeachtet der völlig ungeklärten Nachrichtenlage haben innerhalb kürzester Zeit Vertreter der westlichen Militär-Allianz den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad für den Angriff verantwortlich gemacht. Eine sachliche Überprüfung der Ereignisse durch die Regierungen kann in der Kürze der Zeit nicht stattgefunden haben.

Der französische Präsident Francois Hollande beschuldigte syrische Regierungstruppen, verantwortlich zu sein und warf Assads Verbündeten vor, ihn zu decken. „Offenkundig gibt es eine Hauptverantwortung des Regimes, denn es hat die Hauptverantwortung für den Schutz seines Volkes“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Falls Assad hinter dem Angriff stecke, sei er für ein Kriegsverbrechen verantwortlich, sagte der britische Außenminister Boris Johnson. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte „den offensichtlichen C-Waffenangriff“. „Solche Kriegsverbrechen müssen bestraft werden“, zitierte Regierungssprecher Steffen Seibert die Kanzlerin auf Twitter. „Wir setzen darauf, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eindeutig Stellung bezieht, sollte sich der Verdacht bewahrheiten“, sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel.

Großbritannien und Frankreich wollen am Mittwoch eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats abhalten.

Unabhängige Stellen haben keine konkreten Aussagen zu dem Vorfall getätigt: Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) zeigte sich „ernsthaft besorgt“. Experten der OPCW sammelten und analysierten Informationen von allen Seiten, teilte die Organisation in Den Haag mit. Über die Aussage des UN-Botschafters in Syrien gibt es widersprüchliche Angaben: Der britische UN-Botschafter Matthew Rycroft sagte auf Twitter, der UN-Botschafter für Syrien hätte gesagt, „der Angriff ist aus der Luft gekommen“, wodurch der IS oder al-Kaida als Täter ausscheiden. Die staatliche Nachrichtenagentur TASS dagegen berichtet, der Gesandte der Vereinten Nationen Syrien hätte Journalisten in Genf gesagt, dass die „Organisation keine detaillierten Informationen über diesen Vorfall“ habe.

Bemerkenswert ist die Stellungnahme des Sprechers von US-Präsident Donald Trump, Sean Spicer. Spicer sagte:

„Der heutige chemische Angriff in Syrien gegen unschuldige Menschen, einschließlich Frauen und Kinder, ist verwerflich und kann von der zivilisierten Welt nicht ignoriert werden. Diese abscheulichen Handlungen des Bashar al-Assad-Regimes sind eine Folge der Schwäche und Unentschlossenheit der vergangenen Regierung. Präsident Obama sagte im Jahr 2012, dass er eine ,rote Linie‘ gegen die Verwendung von chemischen Waffen ziehe. Dann tat er nichts. Die Vereinigten Staaten stehen an der Seite mit unseren Verbündeten auf der ganzen Welt, um diese inakzeptable Handlung zu verurteilen.“

Spicer wurde schließlich von Journalisten gefragt, ob die US-Regierung nun ihre Haltung zu Assad ändern müsse. Vor einigen Tagen hatten sowohl die US-Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, als auch US-Außenminister Rex Tillerson gesagt, dass es nicht länger ein Kriegsziel der US-Regierung sei, den Sturz des syrischen Präsidenten herbeizuführen.

Spicer sagte (Video am Anfang des Artikels):

„Die Aussagen von Sekretär Tillerson und Botschafter Haley haben mit den politischen Realitäten der Situation in Syrien zu tun. Ich glaube, wir hatten Chancen in der Vergangenheit, mehrere Jahre lang, einen Sturz von Assad (,regime change‘) in Erwägung zu ziehen. Doch die Landschaft ist heute grundsätzlich anders (...). Es gibt keine grundsätzliche Möglichkeit mehr zum ,regime change‘, so wie es sie in der Vergangenheit gegeben hat. Ich glaube, wir würden ziemlich dumm aussehen, wenn wir die politischen Realitäten, wie sie heute in Syrien herrschen, nicht anerkennen würden. Was wir jetzt machen müssen, ist, das syrische Volk in die Lage zu versetzen, einen anderen Weg zu finden.“

Spicer sagte, Präsident Trump werde sich mit seinen Sicherheitsberatern und Politikern aus aller Welt beraten, wie jetzt weiter vorzugehen sei. Eine Journalistenfrage, ob Russland für den Angriff verantwortlich sein könnte, lehnte Spicer ab. Es sei „ziemlich klar, wen wir glauben beschuldigen zu müssen und wie wir reagieren sollen“.

Russland hat eine Beteiligung abgelehnt. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, die russische Luftwaffe habe am Dienstag keine Angriffe auf Idlib geflogen, berichtet die TASS. Die syrische Regierung dementierte jegliche Beteiligung „kategorisch“, meldete die Nachrichtenagentur SANA. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin haben laut Reuters über den Vorfall gesprochen.

Die Berichte stützten sich auf drei Organisationen, die in Verbindung mit drei Kriegsparteien stehen und deren Aussagen daher nicht als objektiv zutreffend gewertet werden können: Über den Vorfall berichtete die sogenannte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Diese Stelle hat keine Struktur in Syrien, sondern wird von einer Person aus London betrieben. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Stelle zu ihrer Aussagen und insbesondere zu konkreten Opferzahlen gekommen ist.

Über den Vorfall berichtete weiters die von der französischen Regierung mit 3 Millionen Euro und anderen europäischen sowie der kanadischen Regierung finanzierte Organisation Union of Syrian Medical Relief Organisations (französische Kurzform UOSSM). Die Hintergründe dieser erst für den Syrien-Krieg gegründeten Organisation sind unklar. Die UOSSM soll mehrere Krankenhäuser in Syrien betreiben. Die medizinischen Konvois werden von Frankreich in die Türkei geschickt, wo die UOSSM ein teilweise mit französischen Steuergeldern erbautes Krankenhaus betreibt.

Reuters berichtete, dass die UOSSM auf die Wünsche der französischen Regierung Rücksicht nehmen müsse und dass sie „geheim tätig werden muss, um nicht zur Zielscheibe zu werden“. Die UOSSM hatte im Syrien-Krieg behauptet, dass die syrische Regierung den Hilfsorganisationen die Geräte und Medikamente stehle. Die Behauptung wurde vom Roten Kreuz und von der UN-Ernährungshilfe dementiert.

Die dritte Quelle, auf die sich die Regierungen und Nachrichtenagenturen berufen, sind die sogenannten „Weißhelme“. Diese Organisation wurde von einem früheren Offizier der britischen Armee und späteren „Sicherheitsberater“ gegründet. Die britische Regierung hat die Organisation mit 5 Millionen Pfund finanziert. Die Weißhelme erhalten laut Auswärtigem Amt aus deutschen Steuergeldern 7 Millionen Euro. Die Weißhelme erheben den Anspruch, die Aufgaben des offiziellen syrischen Zivilschutzes übernehmen zu wollen. Sie haben keine offizielle Genehmigung, in Syrien tätig zu werden.

Die demokratische Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard, eine Veteranin aus dem Irak-Krieg und vehemente Kriegsgegnerin, hatte im Januar Assad in Syrien getroffen. Nach dem Anschlag schrieb sie auf Twitter: „Wer immer als verantwortlich ausgemacht wird, sei es die syrische Regierung, al-Kaida oder ISIS (alle haben Zugang zu chemischen Waffen) muss zur Verantwortung gezogen werden. Diese Tragödie zeigt die Notwendigkeit, diesen Krieg zu beenden.“

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