Finanzen

EZB fürchtet Folgen einer falschen Entscheidung in der Geldpolitik

Das geplante Ende aus Anleihe-Kaufprogramms spaltet die Führung der EZB. Der Ausstieg könnte zu schweren Erschütterungen in der Eurozone führen.
28.09.2017 17:06
Lesezeit: 3 min

Die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) kann sich offensichtlich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen beim geplanten Ausstieg aus dem Anleihe-Kaufproramm einigen. Vielen Geldpolitikern dürfte klar sein, dass das Ende des Programms schwere Erschütterungen im Markt für europäische Staatsanleihen auslösen könnte. Die Rückkehr der in den Jahren 2011 und 2012 herrschenden Eurokrise ist nicht ausgeschlossen.

Inzwischen gibt die EZB öffentlich zu, dass es keine gemeinsame Linie der 19 nationalen Mitgliedsbanken in dieser Frage gibt. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet zufolge ist die anstehende Entscheidung über die Zukunft des Anleiheprogramms völlig offen, berichtet Reuters.

„Wir reden über eine Neujustierung unserer Maßnahmen. Ich spreche hier nicht über einen Ausstieg und will der Entscheidung des Rats nicht vorgreifen“, sagte der Belgier am Donnerstag auf einer Finanzkonferenz in Berlin. Wie Reuters von namentlich nicht genannten Insidern erfuhr, prallen im EZB-Führungsgremium unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. Demnach streben einige Vertreter im Rat an, für das auf rund 2,3 Billionen Euro angelegte Programm ein verbindliches Abschlussdatum festzulegen. Andere dagegen setzten darauf, eine Reduzierung des Volumens der monatlichen Käufe anzukündigen und den Zeitpunkt der Beendigung offenzulassen, was ein Wiederhochfahren des Programms im Notfall ermöglichen würde.

Derzeit kauft die EZB durch ihre Mitgliedsbanken monatlich Staatsanleihen der Euroländer im Umfang von 60 Milliarden Euro an den Märkten auf. Das Programm soll Ende 2017 auslaufen. Der EZB bleibt somit nur noch wenig Zeit, um zu beschließen, was danach passieren soll. EZB-Chef Mario Draghi hatte kürzlich für Oktober eine Weichenstellung signalisiert.

Laut Praet ist sich der Rat bewusst, dass er bei einer Normalisierung der Geldpolitik „umsichtig“ vorgehen muss. „Wie vorsichtig wir vorgehen sollen, darum kreist die Debatte im EZB-Rat“, betonte der EZB-Chefvolkswirt. Es besteht aus seiner Sicht generell die Gefahr, dass die Märkte auf die Kommunikation der EZB „überreagieren“ könnten. Mit dieser zurückhaltenden Formulierung beschreibt Praet den Ausbruch einer neuen, schweren Krise des europäischen Finanzsystems.

Der Grund für die Nervosität der EZB-Führung besteht darin, dass mehrere Euroländer ohne die umfangreichen Manipulationen der Anleihemärkte durch das EZB-System wahrscheinlich in schwere Haushaltskrisen rutschen werden.

Der Hauptzweck des Anleihe-Kaufprogramms besteht nämlich darin, die Finanzierungszinsen hoch verschuldeter Eurostaaten wie Italien, Portugal, Spanien und Frankreich an den globalen Kapitalmärkten zu senken. Indem die EZB als potentieller Käufer der Schuldscheine mit praktisch unbegrenzter Liquidität in Erscheinung tritt, werden die Renditeforderungen der Geldgeber gedrückt und die Regierungen der betroffenen Staaten können sich günstiger verschulden. Fällt diese Unterstützung durch die EZB weg, steigen die Zinsen auf die in den vergangenen Jahren gestiegene Schuldenlast. Wie nervös die Investoren inzwischen sind zeigt sich an dem Umstand, dass Spekulationen über das Ende des Programms in der jüngsten Vergangenheit bereits mehrfach zu Verwerfungen an den Anleihemärkten geführt hatten.

Mehrere Wirtschaftsinstitute rechnen inzwischen damit, dass sich der Ausstieg und die Normalisierung der expansiven Geldpolitik insgesamt verzögern wird. „In den USA wird der nächste Zinsschritt wohl erst im Dezember erfolgen, und für die kommenden beiden Jahre rechnen die Institute nur noch mit wenigen weiteren Zinsschritten“, heißt es im am Donnerstag veröffentlichten Gemeinschaftsgutachten laut Reuters.

Das Anleihenprogramm der Europäischen Zentralbank werde im Jahr 2018 allmählich auslaufen, die Institute unterstellen einen neunmonatigen Zeitraum dafür. „Im Jahr 2018 dürfte die EZB den Umfang der Ankäufe schrittweise zurücknehmen“, heißt es in dem Gutachten. Im Laufe des zweiten Halbjahres werde es dann keine Nettozukäufe mehr geben. Der Leitzins dürfte erst im Verlauf des übernächsten Jahres erhöht werden.

Als Folge der erwarteten Änderungen in der Geldpolitik werden sich die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen und Haushalte allmählich ungünstiger gestalten. „Die Straffung der Geldpolitik in den kommenden beiden Jahren dürfte dazu führen, dass die langfristigen Zinsen von derzeit etwa 1,1 Prozent auf 1,8 Prozent zum Jahresende ansteigen“, hieß es im Gutachten.

Auch die von der US-Notenbank Federal Reserve eingeleitete Normalisierung ihrer Geldpolitik birgt große Risiken für die Wirtschaft der USA, insbesondere aber für die hoch verschuldeten Haushalte.

Der Vermögensverwaltung Incrementum zufolge endeten 16 oder 19 vergangenen Leitzinsanhebungen der Fed mit einer Rezession in der Realwirtschaft. Dem Analyse-Unternehmen MKM Partners zufolge galt dies auch bei 5 der 6 vergangenen Bilanzverkürzungen. „Geschäftszyklen enden nicht einfach so. Sie werden von der Fed abgewürgt. Sobald die Fed die Finanzierungsbedingungen zu sehr verengt, leitet sie eine Rezession ein und der Geschäftszyklus endet“, wird der Chefökonom von MKM von Goldcore.com zitiert.

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