Finanzen

China: Überhitzung könnte zu einer harten Landung führen

Lesezeit: 13 min
02.01.2018 01:14
Chinas expansive Geld- und Finanzpolitik könnte das Land in eine harte Landung treiben.

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Wie der bis vor kurzem reichste Chinese, der Immobilien-Entwickler Wang Jianlin in einem Interview mit CNN ganz richtig gesagt hat, ist der Bau- und Immoblienboom in China nichts weniger als die größte Blase der Geschichte. Im Interview hält Wang Jinlin die Situation aber als kontrollierbar. Muss er wohl, da seine Dalian Wanda Holding eine der vielen hochverschuldeten Konglomerate in China ist. Zudem verfügt er über beste Beziehungen auf oberster Ebene, was für sein Geschäftsmodell wichtig ist. Wang Jianlin hat im Übrigen rasch ins Ausland diversifiziert und seine Immobilien-Aktivitäten in China mit überraschenden Operationen restrukturiert. Eines seiner neuen Wahrzeichen ist der wohl modernste Fußball-Tempel der Gegenwart, das Wanda Metropolitano Stadion von Atletico Madrid. Wang ist einer der Aktionäre der Colchoneros.

Blasen und Manien hat es seit Jahrhunderten gegeben. Meist waren es Prozesse sektoralen Überschießens oder national leichtsinniger Kreditvergabe. Kritischer waren übermäßige internationaler Kreditvergaben, häufig gekoppelt mit einer extrem ungleichen Duration zwischen Aktiven und Verbindlichkeiten – besonders noch in Fremdwährungen. Letzteres ist in China nicht der Fall.

Der Fall Chinas ist in anderer Weise einzigartig. Es ist die effektiv größte Volkswirtschaft der Welt, wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht mit den aktuellen Wechselkursen, sondern zu Kaufkraftparitäten umgerechnet und verglichen wird. Es ist die Wirtschaft mit der höchsten Wachstumsdynamik der Geschichte, welche die Weltwirtschaft bis vor kurzem aus der Großen Rezession von 2009 gezogen hat. Auch 2016/17 war die vom neuerlichen Infrastrukturprogramm Chinas ausgelöste Belebung zentral für die beschleunigte Aktivität in der Weltwirtschaft. In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Land aufgrund der Größe und bisherigen Wachstumsdynamik erst recht in der Zukunft als Motor der Weltwirtschaft angesehen. So ist China zum größten Exportmarkt Deutschlands geworden, hat Frankreich und sogar die USA überholt. Zudem ist es ein wichtiger Partner für Direktinvestitionen. Nicht mehr nur als Tieflohn-Produzent in der verarbeitenden Industrie für den Export von Multinationalen, sondern auch für die Erschließung des riesigen chinesischen Binnenmarktes – vor allem in bestimmten Branchen wie der Autoindustrie.

China ist ein Staatskapitalismus unter der Herrschaft einer Kommunistischen Partei, die ihre Wurzeln weitgehend abgestreift hat. Die spekulative Blase ist allumfassend, sie betrifft gleichzeitig das weitgehend staatliche Banken- wie das Schattenbank-System. Und die höchste Investitionsquote der Geschichte ist davon geprägt und geleitet, und zwar in allen Bereichen: Infrastruktur, Immobilien, Schwer- und Zulieferindustrien – indirekt praktisch die gesamte Wirtschaft und vor allem die Gesellschaft.

Was heißt das nun für die Zukunft? Die erste Feststellung ist, dass die Investitionsdynamik 2013/14 vielleicht ihren Höhepunkt erreicht und inzwischen überschritten hat, aber noch keineswegs gebrochen ist. Die geld- und finanzpolitische Lockerung der Jahre 2015 und 2016 hat nochmals einen Schub gegeben, der sich in bis heute steigenden Infrastrukturausgaben und vor allem in explodierenden Landpreisen im Osten und in der Mitte des Landes niedergeschlagen hat.

Eine zweite Feststellung betrifft die Tatsache, dass China jedoch in einer sehr weit fortgeschrittenen Phase dieser Expansion angelangt ist. Die inneren Widersprüche und Spannungen des überschießenden Investitionsschubes sind bereits seit längerem deutlich und grell hervorgetreten und rufen immer hektischere – und teils sinnwidrige – Behördenintervention hervor. Ohne dass dabei das Grundproblem angegangen würde, nämlich die viel zu hohe Investitionstätigkeit.

Der erste Widerspruch betrifft die Rolle der Bodenpreise. Sie sind so eskaliert, dass die Immobilienpreise ein schweres Hindernis für den Absatz darstellen. Deshalb die extrem hohen Leerstände trotz großer Wohnungsnot. Angesichts der Verknappung des verfügbaren Baulandes braucht es nur wenig, um eine weitere gravierende Überhitzung und Explosion der Landpreise zu provozieren – vor allem im Osten des Landes, aber auch in Tier2-Städten. Um die Wohnungen überhaupt noch absetzen zu können, müssen sich die privaten Haushalte umgekehrt hypothekarisch und über andere Kreditformen verschulden, teilweise bis zu 100 Prozent des Kaufpreises. Innerhalb weniger Jahre, von 2007 bis 2017, ist die Verschuldung der privaten Haushalte in China von praktisch Null auf OECD-Niveau angestiegen. Die Belehnungssätze sind zwar optisch deutlich niedriger als in OECD-Ländern, aber die Immobilienpreise vor allem in der wirtschaftlich aktiven Ostküste sind von den höchsten der Welt, gemessen an den Haushaltseinkommen. Zudem basiert die Belehnung oft auf Dokumenten, welche die Immobilienbewertung überhöht ausweist. Und die Anzahlung wird nicht aus dem Vermögen der Haushalte, sondern aus Krediten bei anderen Quellen geleistet. Die Behörden wollen jetzt mit administrativen Maßnahmen gegen die hohen Immobilienpreise und gegen das Spekulationsverhalten jener Immobilienbesitzer vorgehen, welche nicht-bewohnte Wohnungen als Anlage halten.

Der wichtigste Treiber des spekulativen Booms – der explodierende Landpreis – ist in der Endphase eines unerhörten Anstiegs. Das verfügbare Bauland reicht nur noch wenige Jahre. Als Einnahmequelle der Lokalbehörden werden die Landverpachtungen bald versiegen. Der Internationale Währungsfonds schätzt in einer Studie von 2015, dass anfangs der 2020er Jahre das Bauland der Lokalbehörden erschöpft sein wird. Bis dann ist auch der letzte Rest verpachtet oder verpfändet. Was in den USA und In Europa in 150 Jahren außer in einigen Mega-Cities wie New York, Tokyo, London oder Paris nicht erreicht wurde, nämlich einen absoluten Mangel an Bauland in und um die großen Zentren zu erzeugen, hat China in 20 Jahren ungezügelten Wachstums und Bodenspekulation geschafft.

Diese wichtige Quelle der Einnahmen der Lokalbehörden – sie macht im Schnitt rund einen Drittel aus – wird danach versiegen und den ohnehin schon horrend hohen Budgetdefiziten nochmals ordentlich Schub verleihen. Parallel dazu werden auch die Infrastruktur-Ausgaben und die darauf aufbauenden Immobilien-Investitionen massiv gekürzt werden müssen. Wenn sich ein Gut angebotsseitig irreversibel verknappt, dann können gewaltige Preissprünge wie 2016/17 an der Ostküste auftreten – aber in beiden Richtungen. Die Zentralregierung hat deshalb 2017 durchgesetzt, dass die Zentrale jetzt über das Bauland der Lokalbehörden mitbestimmt oder entscheidet. Sie hat organisatorisch eine zentrale Oberaufsicht in einem neu fusionierten Ministerium geschaffen. Mittelfristig müssen die ganze Finanzpolitik, insbesondere die Aufteilung zwischen Zentralstaat und Lokalbehörden sowie die Investitionsfinanzierung, völlig neu aufgestellt werden.

In den Jahren 2015 bis 2017 wurde eine neue Welle von Infrastruktur-Ausgaben gestartet, obschon die Lokalbehörden und Zweckgesellschaften als hohes Risiko oder schwarzes Loch erkannt worden waren. Statt der Lokalbehörden und der von ihnen kontrollierten Zweckgesellschaften finanzierten neu auch Public-Private Partnerships (PPP) die Investitionen. Das war eine der Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds, welche dem Kredo dieser Organisation entspricht. Auffällig war, wie problemlos das Ganze gestartet werden konnte. Was nun in den letzten Monaten publik geworden ist: Die Lokalbehörden setzten dies allzu häufig um, indem sie von ihnen kontrollierte oder abhängige Staatsunternehmen als „Private Partner“ wählten bzw. gewinnen konnten. Und diese ließen sich hauptsächlich darauf ein, weil die Lokalbehörden Garantien für diese neu gegründeten Partnerschaften abgaben. De facto haben die neuen Partner das Gewinnpotential, aber kein Verlustrisiko – genauso wie es sich in vielen OECD-Ländern ebenfalls darstellt.

Eine präzedenzlose Blase bei den Immobilien-Entwicklern

Die Überproduktion und Fehlallokation ist entsprechend auf ein historisch präzedenzloses Niveau angestiegen. Das ist die dritte Feststellung. Die unvollendeten im Bau befindlichen Wohn-, Büro-, Geschäfts- und anderen Geschossflächen der Immobilien-Entwickler sind auf einem Rekordstand. Sie sind 2016/2017 wieder deutlich angestiegen und betragen rund das sechs- bis achtfache der jährlichen Fertigstellungen. Immobilien-Entwickler erstellen in China rund zwei Drittel der Geschossflächen. Da die Immobilien-Entwickler auf die großen Projekte und Städte konzentriert sind, mag ihr ökonomisches Gewicht sogar noch größer sein. Außerdem sind die Ungleichgewichte bei den Immobilien-Entwicklern konzentriert. Dies bei einem gigantischen Leerstand an bereits fertiggestellten, aber nicht bezogenen Bauten. Demgegenüber ist die Blase am spanischen Immobilienmarkt der 2000er Jahre als schüchtern oder manierlich zu bezeichnen. In Bezug auf die Leerstände scheint das Verhalten der Behörden bisher weniger klar und ausformuliert.

Die folgenden Grafiken zeigen für die Immobilien-Entwicklung die im Bau befindlichen Geschossflächen, gemessen in 10.000 m² (Grüne Kurven). Dem gegenübergestellt sind die fertiggestellten Geschossflächen (blaue Kurven). Da die chinesische Statistik diejenigen Geschossflächen ausweist, an denen in der Beobachtungsperiode noch gearbeitet worden ist, sind auch die in einem Jahr fertiggestellten in den im Bau befindlichen Geschossflächen desselben Jahres enthalten. Um diese Doppelzählung zu beseitigen, wurden die im Bau befindlichen Geschossflächen um die Fertigstellungen bereinigt (rote Kurven). Diese roten Kurven sind eigentlich den Fertigstellungen sowie den verkauften Geschossflächen (braune Kurven) gegenüberzustellen. Ebenfalls zum Vergleich mit fertiggestellten und verkauften Geschossflächen sind die neu gestarteten Geschossflächen (schwarze Kurven) angeführt.

Die in dieser Zusammenstellung aufgeführte Statistik ergänzt diejenige für alle Geschossflächen in ganz China sowie in den urbanen Regionen, auch speziell für den Wohnungsbau. Die Präsentation für die Immobilien-Entwickler ist die präziseste, weil sie Starts, im Bau befindliche, fertiggestellte und verkaufte Geschossflächen umfasst. Allerdings sind für die einzelnen Segmente wie Wohnungen, Bürohäuser, Geschäftshäuser und ‚Andere’ leider nur die Starts und Verkäufe über lange Zeiträume zugänglich, die im Bau befindlichen Flächen und die Fertigstellungen erst ab 2011. Die Geschossflächen sind der beste quantitative Indikator, weil sie weniger Erfassungsprobleme haben als etwa die buchhalterischen Werte.

Die Daten zeigen ein einheitliches Bild einer gigantischen Überproduktion über alle Segmente verteilt. Die im Bau befindlichen Geschossflächen (rote Kurven) übersteigen den jährlichen Absatz (braune Kurven) oder die jährlichen Fertigstellungen (blaue Kurven) um einen Faktor 6 bis 10. Wohnungen machen zwar den großen Teil der Geschossflächen aus. Doch die Verkaufspreise pro m²-Fläche liegen für Büros und Geschäftshäuser weit höher als für Wohnbauten. Bei Büroflächen betragen sie das Doppelte und mehr. Daher spielt es sehr wohl eine Rolle, dass bei diesen Segmenten die Überproduktion in den 2010er Jahren noch viel rasanter als für Wohnungen zugenommen hat.

Bei den Wohnungen setzte die Überproduktion im großen Stil im Jahr 2010 ein – gemessen als Differenz zwischen der Anzahl begonnener und verkaufter oder erst recht fertiggestellter Geschossflächen. Vorher waren beide Indikatoren noch einigermaßen im Gleichgewicht. Bei allen anderen Segmenten aber setzt die Differenz schon 2002/03 ein. Vor allem aber ist sie seit 2010 quantitativ noch viel größer als bei den Wohnungen. Dies drückt sich auch in einem höheren Quotienten zwischen im Bau befindlichen (rote Kurven) und jährlich verkauften bzw. fertiggestellten Geschossfläche Stand per Ende September 2017 aus (braune bzw. blaue Kurven). Die Differenz zwischen Starts und Verkäufen bzw. Fertigstellungen ist zwischen 2010 und 2017 riesig, es wurde zeitweise doppelt so viel gestartet wie verkauft. Nur bei Wohnungen haben die Verkäufe in den letzten beiden Jahren angezogen. Es sind aber vor allem Vorauszahlungen für noch zu erstellende Wohnungen, so dass die Starts auch wieder ansteigen dürften.

Bei all diesen Vergleichen muss man sich vor Augen halten, dass auch die verkauften bzw. fertiggestellten Geschossflächen zu einem nicht unerheblichen Teil leer stehen. Bei den „anderen“ Flächen, die quantitativ groß sind, wir sprechen immerhin von fast 10 Milliarden Quadratmetern Geschossfläche im Bau, ist die Differenz zwischen fertiggestellten und verkauften Geschossflächen zudem noch riesig. Die Dimensionen der jahrzehntelangen Überproduktion und Fehlallokation sind gemessen an der internationalen und historischen Erfahrung jenseits aller Präzedenzfälle. Der Immobilienboom in Spanien oder Irland zwischen 2004 und 2008 erscheint nichtig dagegen.

Über den Bau- und Immobilienboom in Spanien wurde berichtet, dass in der Überhitzungsphase so viele Wohnungen erstellt wurden wie in Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien zusammen. Das bezieht sich auf wenige Jahre in der Spitze des Booms – im Wesentlichen 2005 bis 2008. In China wird seit rund einem Jahrzehnt so viel gebaut wie im Rest der Welt zusammen – nicht nur Wohnungen, sondern auch andere Flächen sowie die Infrastruktur dafür.

Auch die Blase im Infrastrukturbau droht zu platzen

Viele Analysten betonen je nach Standpunkt die enorm angestiegene Verschuldung, die im Begriff des ‚social’ oder ‚aggregate financing’ zum Ausdruck kommt. Es ist die Verschuldung des nicht-finanziellen gegenüber dem finanziellen Sektor. Sie setzt sich zusammen aus den Krediten des Bankensystems sowie des Schattenfinanzsystems. Allein schon die Verschuldung über dieses Schattenbank-System wirklich zu erfassen, ist schwierig. Hinzu kommen aber noch die Wirkungen der ‚Garantien‘ lokaler Behörden. Diese müssten in einem korrekten Buchhaltungssystem bewertet werden. Dazu gibt es keinerlei quantifizierte Angaben und wahrscheinlich auch keine Instrumente.

Angesichts dieser Verschuldungsspirale und der latenten Garantien geben auch die enorm überschießenden Infrastruktur-Investitionen Anlass zur Besorgnis: Im Sommer 2016 wurde von den staatlichen chinesischen Medien bekannt gegeben, dass die Gesamtzahl der laufenden und geplanten Projekte von Lokal-, Regional- und Zentralbehörden bis zum Jahr 2030 zu einer Wohnungs-Kapazität für 3.4 Milliarden Bewohner führen werden. Das ist das Ergebnis einer national durchgeführten Untersuchung durch die Zentralbehörden. Doch China hat nicht einmal 1.4 Milliarden Einwohner, Zahl tendenziell nicht weiter wachsend, sondern eher stagnierend oder sogar leicht abnehmend, je nach Annahmen über Sterblichkeit und Netto-Auswanderung. 3.4 Milliarden Bewohner entsprächen heute fast der Hälfte der Weltbevölkerung, wobei China keinerlei Anstalten macht, eine konzentrierte Masseneinwanderung zu organisieren.

Es ist eine Projektion, basierend auf allen lokalen, regionalen und nationalen Plänen der Behörden. Die Veröffentlichung dieser Zahl wurde in den chinesischen Medien von Spezialisten zunächst betreten kommentiert. Sie erhellt schlagartig, was für eine katastrophale Richtung der Investitionsboom eingeschlagen hat. Die planlos wirkende Überinvestition, welche sich in dieser Projektion konkretisiert, ist Ausdruck einer fundamentalen Systemkrise. Sie reflektiert eben auch die Tatsache, dass China seit fast 25 Jahren systematisch 11-12 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in Infrastrukturen investiert hat. Effektiv war es dieser Bericht, der die Kontrolle der Daten der Infrastruktur-Investitionen der letzten Jahrzehnte zwingend macht. In den Schätzungen der meisten Fachartikel werden viel geringere Zahlen genannt.

Wenn ein Land eine Infrastruktur und damit verbunden Gebäude, Fabriken, Geschäfts- und Wohnhäuser für mehr als das Doppelte seiner Bevölkerung errichtet, geht es in den Ruin, lange bevor es soweit ist. Auch wenn die Investitionen am Ende auf eine Kapazität von 2 oder 2.5 Milliarden Einwohnern redimensioniert würden. Das politische System würde gesprengt. Das ist der Hintergrund der offenbar konsensual in der kommunistischen Parteiführung getroffenen Entscheidung, Xi Jinping zum gottähnlichen Mao-Status zu verhelfen, ihn zum mit aller Macht ausgestatteten neuen „Großen Steuermann“ („Great Helmsman“ in den englischsprachigen chinesischen Medien) zu machen.

Zunächst ist einmal festzustellen, welche Mechanismen hinter diesem Expansionspfad stecken. Einige wesentliche ökonomische Mechanismen sind:

  • Der WTO-Beitritt Chinas, der dem Land Standortvorteile für die verarbeitende Industrie in der Globalisierung gegeben hat
  • Die superexpansive Geld- und Finanzpolitik
  • Der Expansionsgrad der Geld- und Kreditpolitik drückt sich in einem systematisch weit unterbewerteten Wechselkurs, niedrigen Zinsen aufgrund finanzieller Repression sowie in einer Explosion der Landpreise aus. Die Kreditallokation zur Bautätigkeit ist viel zu hoch und praktisch unbeschränkt elastisch.
  • Eine Finanzpolitik mit Restriktionen und Anreizen für Lokalbehörden, die zu einer gigantischen Ausgabenexpansion führen
  • Innovationen der Finanzierung der lokalen Infrastrukturen mit den Landverpachtungen und mit den Lokalen Finanzierungsvehikeln. Beide Mechanismen entgehen der Konsolidierung in der Finanzrechnung des Staates und erlauben kontinuierliche sehr hohe Budgetdefizite
  • Die Ausgabenexplosion basiert auf einer klassischen kreditgetriebenen Inflation der Bodenpreise, besonders nach dem viel zu groß dimensionierten Infrastrukturprogramm von 2009
  • Eine wichtige Rolle spielt zudem die fehlerhafte chinesische Wirtschaftsstatistik. Sie lässt, weil konzeptionell falsch berechnet, keine Überproduktion und Fehlallokation erkennen. Sie suggeriert, obschon korrekt berechnet die Evidenz genau gegenteilig wäre, anhaltende Stabilität und Nachhaltigkeit des Wachstumsprozesses.

Der wahre Grund liegt in der Struktur und Orientierung der Kommunistischen Partei

Doch das sind nur die ökonomischen Teilelemente oder Zwischenglieder für die Erklärung der überschießenden Investitionen. Der wahre finale Grund ist politisch und betrifft das System und die Orientierung der Kommunistischen Parteiführung in den letzten 20 Jahren. Die chinesische Führung hat sich in diesem Zeitraum auf eine spezielle Form von Deregulierung, Privatisierung, Staatseigentum und staatlichen Lenkungseingriffen festgelegt – einerseits mit dem Ziel eines möglichst hohen Wirtschaftswachstums. Innerhalb der Partei und in den Staatsfunktionen war der Wettbewerb zwischen den Städten und Regionen das dominante Muster und der Vergleichsmaßstab. Für den Karrierefortschritt individueller Kader und Entscheidungsträger war ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum von ihnen verantworteter lokaler und regionaler Wirtschaftsräume ein entscheidendes Kriterium. Deshalb die expansive Infrastrukturpolitik auf lokaler und Bezirksebene. Der Anreiz war den lokalen Parteichefs, den wahren Machtträgern auf lokaler Ebene, von oben so vorgegeben.

Der zweite Mechanismus dieser überhasteten und überbordenden Investitionspolitik betrifft materielle Anreize von Partei- und staatlichen Funktionsträgern. Deren offizielle Entlohnung ist lächerlich gering. Zusatzeinkommen sind deshalb ein konstitutives Element des Bau- und Immobilienbooms in China geworden. Vetternwirtschaft, Korruption und Selbstbereicherung wurden seit der Parole von Deng („Bereichert Euch“) als Teil der marktwirtschaftlichen Orientierung ein verbreitetes Phänomen für Parteikader. Dies wohl entgegen den Absichten des Schöpfers des Schlagworts, der es mehr auf die unternehmerische Tätigkeit beschränkt sah. Es gab bereits in den 1980er und 1990er Jahren periodische Säuberungen und Anti-Korruptionskampagnen.

Der Bau- und Immobilienboom der 2000er Jahre schuf eine völlig neue Plattform für solche Praktiken. Dies liegt in der Natur der Sache und ist keineswegs ein auf China beschränktes Phänomen, sondern tritt überall in Schwellen- und durchaus auch in fortgeschrittenen Industrieländern auf. Der Bau- und Immobiliensektor ist hochreguliert, er ist lokal bzw. regional. Staatliche Entscheidungsträger sind für Landverkauf bzw. -verpachtung, Zonenpläne, Baubewilligungen und -abnahmen sowie für die Auftragsvergabe öffentlicher Bauten zuständig. Sie können also für Bau- und Immobilienunternehmer enorme Einkommen und Vermögen schaffen bzw. verhindern. In China kommt eine komplexe Bürokratie hinzu, welche Dutzende von Bewilligungen auf verschiedenen administrativen Ebenen erfordert. Zusätzlich sind die Institutionen schwach ausgebildet: Die Partei beherrscht den Staatsapparat, es gibt keine unabhängige Justiz. Bei der überhastet durchgeführten Privatisierung des Bau- und Immobiliensektors gab es auch wenig ausformulierte Regeln und Kontroll-Mechanismen der Vergabe. Ein zusätzlicher wichtiger Grund ist die geringe Entschädigung von Partei- und Staatsfunktionen. Sie machen ein Zusatzeinkommen auf allen Stufen teils notwendig, teils wünschbar.

So etablierte sich ein System, bei dem rasche Landverpachtung, Baubewilligung und -abnahme, Ausschreibung von öffentlichen Bauaufträgen, Bestellungen bei Zulieferern für Bau- und Immobilienprojekte nicht nur für den Karriereverlauf, sondern auch für Einkommen und Vermögensbildung der betreffenden Kader und Entscheidungsträger unmittelbar entscheidungsrelevant waren. Und es war und ist keineswegs ein nur lokales Phänomen, sondern betrifft ebenso die allerhöchsten Parteikader. Bei einem Anteil der Bauinvestitionen von 30 Prozent bis zu rund einem Drittel am Bruttoinlandsprodukt in den letzten 15 Jahren ist der Bau- und Immobiliensektor die mit Abstand größte Quelle von Einkommen und Vermögen in China. In keinem anderen Sektor sind Wertzuwächse möglich, wie sie die Land- und die Immobilienpreise verdeutlichen.

Der Bau- und Immobiliensektor und damit verbundenes Eigentum sind in China nicht nur ein Rückgrat privater unternehmerischer und staatlicher Tätigkeit, sondern auch ein zentraler Einkommens- und Vermögensquell der herrschenden Parteikader. Zusammen mit dem ebenfalls staatlichen Finanzsektor und der ebenfalls mehrheitlich staatlichen Autoindustrie ist es die wirtschaftliche Basis der Herrschaftselite Chinas. Daneben ist der Technologiesektor enorm effektiv – beides durch ausländische Direktinvestitionen und durch staatliche geförderte chinesische Monopole wie Alibaba und Tencent repräsentiert.

Der Investitionsausblick: Restriktive Politik, aber unveränderte Grundorientierung

Diese politökonomische Konstellation prägt die wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung auch heute in einer Situation, in der das Land auf eine Klippe in der Form einer ruinösen Überkapazität in allen Investitionskomponenten zusteuert. Normal wäre es in dieser Situation, 70-90 Prozent aller ausstehenden öffentlichen Infrastrukturprojekte der Lokalbehörden sofort zu stoppen und sich auf wenige verbleibende zu konzentrieren. Damit verbunden wären auch massive Investitionsrückgänge im Immobiliensektor und in der verarbeitenden Industrie. Doch dies wird so nicht ohne Weiteres geschehen. Stattdessen wird die Führung einen weiteren Urbanisierungskurs verbunden mit hohen Investitionen in die Infrastruktur fortsetzen, gekoppelt mit Spagaten in den Bereichen, wo die Widersprüche und Spannungen des Wachstumsmodells sichtbar und politisch gefährlich aufgebrochen sind. Es ist im Grundsatz ein „Weiter so“, ein „Augen zu und durch“, aber partiell mit teils drakonischen Kurskorrekturen.

Wie ist das einzuschätzen? Die Aktiven, welche den Schulden Chinas gegenüberstehen, sind von teilweise zweifelhafter Qualität und Werthaltigkeit, um es mild auszudrücken. Korrekt auf einer konsolidierten Basis gemessen, fährt China in Realität seit 2009 hohe, im Schnitt wahrscheinlich gegen durchschnittlich 10 Prozent betragende Budgetdefizite ein. Damit wird eine gewaltige Überkapazität in Infrastruktur, Immobilien und damit verbundenen Bauzulieferindustrien finanziert, welche sich in riesigen Verlusten niederschlagen, wenn diese Kredite respektive der Schuldendienst fällig werden. Die Qualität und Lebensdauer der Gebäude und teils der Infrastrukturen ist zudem problematisch, in nicht wenigen Fällen schlicht miserabel. Die Urbanisierungspolitik in Riesenstädten ist nur auf den ersten Blick kostengünstig und generiert Skaleneffekte. In Wahrheit repräsentiert sie eine riesige Fehlallokation von Mitteln in lebensfeindlichen, schwierig zu bewirtschaftenden Mega- und Giga-Cities einerseits und in unzähligen Stadtprojekten ohne langfristige ökonomische Basis andererseits. Allein die Korrektur von planerischen Fehlentscheidungen in und um diese riesigen Städte ist enorm kostspielig und wird die Budgets für weitere Jahre und Jahrzehnte belasten.

Für 2018/19 ist mit dem fast senkrechten Anstieg der Landpreise im Osten und in der Mitte des Landes seit 2014 eine weitere, wenn auch leicht abgeschwächte Fiskalexpansion fast garantiert. Angesichts der bereits bestehenden und erst recht der im Bau befindlichen Überkapazitäten ist das kontraproduktiv. Für die zu erwartende leichte Abschwächung sind eine Straffung der Geldpolitik im Jahr 2017 sowie Markteingriffe verantwortlich. Die chinesische Zentralbank muss jederzeit aufpassen, dass die Landpreise angesichts der strategischen Landverknappung nicht durch die Decke gehen. Die sehr hohen Landkäufe durch die Immobilien-Entwickler in den Jahren 2016 und vor allem auch 2017 machen eine weitere Ausdehnung der Investitionstätigkeit auch im Immobiliensektor absehbar. Auch die Gewinnexplosion im Zweiten Sektor im Jahr 2017 deutet auf eine weiterhin starke Investitionstätigkeit der Unternehmen dieses Sektors hin.

Längerfristig ist China auf dem Weg in eine Krise. Die viel zu expansive Geld- und Finanzpolitik seit 15 Jahren, gekrönt im Landpreisanstieg seit vier Jahren, werden eine gigantische Überkapazität in allen Bereichen und neue Dimensionen von Budgetdefiziten in der Finanzpolitik hervorrufen. Darüber hinaus ist die Verschuldungseskalation in dieser Konjunkturüberhitzung verhängnisvoll. Die bereits gigantische Überkapazität gekoppelt mit der Hebelwirkung im Finanzsystem und der hoch konzentrierten Verschuldung spezifischer Kreditnehmer – Subprime-Haushalte, Immobilien-Entwickler, Infrastruktur- und Schwerindustrie-Unternehmen, Lokale Finanzierungsvehikel - machen Chinas Wirtschaft angesichts der dringend nötigen scharfen geld- und finanzpolitischen Straffung anfällig. Der Investitionszyklus in China geht dem Ende entgegen, und er dürfte angesichts der viel zu expansiven Politik der Vergangenheit mit einer harten Landung enden. Nicht nur die Konjunktur, auch der langfristige Wachstumstrend werden radikal abgebremst werden.


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