Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie hat sich die Uniklinik Münster auf die befürchteten Wellen an Covid-19 Erkrankungen vorbereitet?
Jan Sackarnd: Sehr frühzeitig wurde eine Klinik-Einsatzleitung gebildet, welche auf Basis von Prognosen, Berichten und ministerieller Vorgaben vorausschauend geplant und gehandelt hat. Es wurde ein Konzept entwickelt, um stufenweise auf steigende Zahlen von COVID-Patienten reagieren zu können. Eine Intensivstation ist zur „COVID-Intensivstation“ umfunktioniert worden und eine Normalstation wurde aufwendig zu einer „COVID-Überwachungsstation“ umgerüstet und personell aufgestockt. Weitere Intensivstationen hätten jederzeit für COVID-Patienten genutzt werden können. Pflegerisches und ärztliches Personal ist geschult worden, um bei Bedarf zusätzlich im Intensivbereich zu arbeiten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist die Uniklinik Münster durch Covid-19 an den Rand seiner Kapazitäten geraten oder drohte sich ein solcher Zustand einzustellen?
Jan Sackarnd: Weder noch. Die Uniklinik Münster hat über 1.400 Betten, davon 135 Intensivbetten. Innerhalb weniger Tage ist es gelungen, fast 500 Betten frei zu bekommen. Die Umsetzung des Stufenkonzepts ermöglichte es, schnell weitere Versorgungskapazitäten für COVID-Patienten zu schaffen, ohne die Versorgung der anderen Notfallpatienten zu gefährden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind aufgrund der Bereithaltung von Intensivbetten andere Operationen verschoben worden?
Jan Sackarnd: Ja. Planbare Behandlungen und Operationen wurden entsprechend der Aufforderung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 13. März 2020 verschoben, um freie Betten zu schaffen. Notfälle und
nicht aufschiebbare Behandlungen wurden aber der Dringlichkeit entsprechend weiter durchgeführt. Es galt zu verhindern, dass Nicht-COVID-Patienten im Vergleich zu COVID-Patienten unterversorgt werden und einen gesundheitlichen Schaden nehmen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Sie abschätzen, wie gefährlich Covid-19 – im Vergleich zu einer Influenza - ist?
Jan Sackarnd: Es handelt sich um ein Virus, das hochinfektiös ist, weltweit vorkommt, bei bestimmten Personengruppen eine hohe Sterblichkeit verursacht und gegen das es keine kausale Therapie gibt. Das macht es sehr gefährlich. Neben den Auswirkungen auf die Gesundheit muss man zudem die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen als gefährlich einstufen.
Und der Vergleich mit Influenza: Es gab in den letzten Jahren Influenza-Epidemien, die haben in Deutschland mehr Todesopfer gefordert als bislang SARS-CoV-2. Aber diese Epidemien waren saisonal. Corona hingegen ist noch nicht vorbei, so dass mit weiteren Todesopfern zu rechnen ist. Wie sich dies nach Lockerung der sozialen Distanzmaßnahmen entwickelt, ist kaum absehbar. Gegen Influenza gibt es einen Impfstoff, was dieses Virus zumindest etwas beherrschbar macht. Die schweren Verläufe von Influenza sind geprägt von einem Lungenversagen, die von COVID-19 von einem Mehrorganversagen mit hoher Sterblichkeit.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Symptome sind typisch für Covid-19? Welche Organe können durch den Virus in Mitleidenschaft gezogen werden?
Jan Sackarnd: Typische Symptome sind anfänglich Krankheitsgefühl, Fieber, Husten sowie Störungen des Geschmacks- und Geruchssinns, wobei nicht alle Symptome auftreten müssen und manche Erkrankungen sogar unbemerkt ohne jede Symptome bleiben. Schwere Verläufe sind geprägt von einer Lungenschädigung mit einer kritischen Störung der Sauerstoffaufnahme ins Blut, welche häufig eine maschinelle Beatmung notwendig macht. Zudem werden Nierenversagen, Störungen der Blutgerinnung und das Auftreten weiterer, meist bakterieller Infektionen, beobachtet.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Sie Covid-19 zweifelsfrei diagnostizieren?
Jan Sackarnd: Meistens ja. Die Virus-RNA kann in einem Rachenabstrich, in Sekreten der Atemwege oder im Stuhl nachgewiesen werden. Hinweise können auch Laborwertkonstellationen oder mit einer Computertomografie erkennbare Lungenveränderungen sein. Es gibt aber Fälle, in denen von COVID-19 ausgegangen werden muss, der eindeutige Nachweis aber nicht gelingt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie viele Patienten mit Covid-19 mussten in der Uniklinik Münster intensivmedizinisch behandelt werden?
Jan Sackarnd: 19 Patienten wurden bisher intensivmedizinisch behandelt, fast alle mussten beatmet werden. Sechs Patienten sind in der Uniklinik gestorben.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Therapie wenden Sie bei Covid-19 Patienten an?
Jan Sackarnd: Eine das Virus eliminierende Therapie gibt es bislang nicht. Mehrere Substanzen galten als aussichtsreich, eine klinisch relevante Wirksamkeit konnte aber nicht bewiesen werden. In der Uniklinik Münster haben wir zwar an einer Medikamentenstudie teilgenommen, überwiegend aber rein symptomorientiert therapiert. Im Falle einer Lungenschädigung kamen je nach Ausprägung der Sauerstoffaufnahmestörung verschiedene Beatmungsformen zum Einsatz. Sechs Patienten benötigten ein künstliches Lungenersatzverfahren. Viele Patienten entwickelten ein Nierenversagen, was häufig eine Dialyse erforderlich machte. Begleitende Infektionen wurden mit Antibiotika behandelt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wäre die Uniklinik Münster für eine zweite Covid-19 Welle gerüstet?
Jan Sackarnd: Ja, sehr gut sogar. Es hat sich gezeigt, dass die Uniklinik Münster innerhalb weniger Tage sehr viele regulär vorhandene Betten, insbesondere Intensivbetten, für die Behandlung von COVID-Patienten zur Verfügung stellen kann und darüber hinaus weitere Intensivbetten errichten könnte. Das Personal ist gut ausgebildet, motiviert und in der Lage, die infektiösen Patienten zu behandeln. Es wurden Strukturen geschaffen und Prozesse in Gang gesetzt, welche im Falle einer zweiten Welle sofort reaktiviert werden können.
Info zur Person: Dr. med. Jan Sackarnd ist seit 2018 Leiter der Internistischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Münster.