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China und USA auf Konfrontationskurs: Was tut Deutschland im Falle eines Krieges?

Lesezeit: 6 min
25.10.2020 11:51  Aktualisiert: 25.10.2020 11:51
Die Spannungen zwischen China und den USA nehmen unentwegt zu. Bei den militär-strategischen Überlegungen der beiden Supermächte spielt das Südchinesische Meer eine Schlüsselrolle. Über die aktuellen Entwicklungen und mögliche Zukunftsszenarien sprachen die Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit Dr. Sarah Kirchberger, Leiterin der Abteilung „Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik“ des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel.
China und USA auf Konfrontationskurs: Was tut Deutschland im Falle eines Krieges?
Der chinesische Präsident Xi Jinping besucht im Dezember 2019 den Marinestützpunkt "Sanya", wo der erste selbstgebaute Flugzeugträger des Landes in Dienst gestellt wird. (Foto: dpa)

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Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In einem Artikel der „Global Times“ vom 11. September kommt der Autor zu dem Schluss, dass China auf einen Krieg, auch mit den USA, vorbereitet sein müsse. Wie beurteilen Sie das?

Sarah Kirchberger: Die „Global Times“ ist das englischsprachige Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, und ihre Meinungsartikel sind somit als quasi-offizielle Verlautbarungen zu verstehen. Die Aussagen dieses speziellen Artikels stehen im Kontext der zunehmenden Spannungen Chinas mit Taiwan, für das die USA die Rolle einer Schutzmacht spielen. Sie signalisieren in Richtung Taiwan und in Richtung der USA die Bereitschaft Pekings, im Extremfall einen großen Krieg zu riskieren, und sind als Warnung zu verstehen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Beziehungen zwischen China und den USA haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Was sind die tieferen Gründe für diese Entwicklung?

Sarah Kirchberger: Ein tieferliegender Grund für diese Entwicklung ist das Sicherheitsdilemma, das durch die Rolle der USA als Schutzmacht Taiwans und als Bündnispartner Japans, der Philippinen und anderer Staaten in Ostasien und der Indopazifik-Region besteht – alles Länder, die mit China ungelöste Territorialkonflikte haben. Chinas sicherheitspolitische Ziele, etwa die Eingliederung Taiwans, der Senkaku/Diaoyu-Inseln oder die faktische Kontrolle über das Südchinesische Meer, sind mit den Interessen der USA und ihrer Verbündeten in der Region grundsätzlich nicht vereinbar. China ist in diesen Fragen jedoch bisher zu keinerlei Kompromissen bereit. Darüber hinaus ist in den USA über Jahre hinweg der Unmut darüber gewachsen, dass die Handelsbilanz mit China sich sehr zu Ungunsten der Vereinigten Staaten entwickelt hat und nicht nur amerikanische Arbeitsplätze vernichtet wurden und Industrie abgewandert ist, sondern sich auch Fälle von Wirtschafts- und militärtechnologischer Spionage durch chinesische staatliche Akteure massiv häuften. In den USA besteht heute ein weitgehender parteiübergreifender Konsens darüber, dass die Beziehungen zu China grundsätzlich neu kalibriert werden müssen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mit der Aufschüttung künstlicher Inseln im Südchinesischen Meer erregt China das Misstrauen seiner Nachbarn und der USA. Wozu braucht China diese Inseln?

Sarah Kirchberger: Aus militärischer Sicht sieht es so aus, als seien die künstlichen Stützpunkte im Südchinesischen Meer als Teil eines umfassenden Sensor-Netzwerkes gedacht, das insgesamt aus Installationen von Hydrophonen (Unterwasser-Mikrofonen) am Meeresboden, Sonobojen (mit Hydrophonen ausgestattete Bojen), unbemannten Systemen im Wasser, Marineschiffen, Flugdrohnen und bemannten Flugzeugen besteht, die alle daran mitwirken, eine Vielzahl ozeanographischer und anderer für die Aufklärung eines Seegebiets relevanter Daten zu sammeln und diese

ständig über Satellit zu Auswertungsstationen an Land zu übermitteln, wo sie mit Hilfe von Supercomputern und KI-Algorithmen gefiltert werden. Das Ziel ist die Erstellung eines maritimen Echtzeit-Lagebilds sowohl in der Über- als auch der Unterwasserdimension. Das ist zum Beispiel für die U-Boot-Jagd relevant und eine Grundvoraussetzung für effektive Kontrolle über ein Seegebiet. Vermutlich ist geplant, den USA und ihren Verbündeten im Spannungsfall die sichere Nutzung dieses Gebiets zu erschweren oder ganz zu verwehren. Dies ist aus chinesischer Sicht wichtig, weil im Norden des Südchinesischen Meeres, an der Südspitze der Insel Hainan, Chinas strategische U-Boot-Basis liegt. Von dort operieren die nuklear bewaffneten U-Boote, die die maritime Komponente von Chinas nuklearer Zweitschlagsfähigkeit sicherstellen sollten. Es geht China also darum, einen Verteidigungsgürtel nach Süden um die Insel Hainan zu legen, um sicherzustellen, dass Hainan weder aus der Luft noch vom Wasser aus bedroht werden kann. Das ist im Grunde eine ähnliche Vorgehensweise wie das alte sowjetische "Bastion"-Konzept, das noch heute von Russland rund um die Kola-Halbinsel in der Arktis praktiziert wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Inwieweit würden sich die militärstrategischen Optionen Chinas und der USA ändern, sollte es China gelingen, die USA aus dem Südchinesischen Meer herauszudrängen?

Sarah Kirchberger: Das Südchinesische Meer ist eine bedeutende Schifffahrtsstraße, durch die ein großer Teil des Welthandels fließt. Es ist etwa anderthalbmal so groß wie das Mittelmeer und hat viele Anrainerstaaten, die mit den USA gute Beziehungen pflegen. Daher ist schwer vorstellbar, dass es China möglich sein würde, die USA komplett aus diesem Gebiet herauszudrängen. Denkbar ist aber, dass versucht werden könnte, einen Teil des Südchinesischen Meeres, nämlich den Teil südlich der Insel Hainan zwischen den Paracel-Inseln, den Spratly-Inseln und Scarborough Shoal, in eine Art Bastion umzuformen. Falls China das gelänge, wäre die nukleare Abschreckungsstrategie Chinas dadurch gestärkt, denn mit Hilfe einer neuen, in Entwicklung befindlichen Rakete größerer Reichweite könnte China dann von diesem Standort aus mit U-Boot-gestützten Raketen die USA bedrohen. Zurzeit existiert diese Fähigkeit noch nicht, und das macht aus chinesischer Sicht die eigene nukleare Zweitschlagsfähigkeit verwundbar.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche strategische Bedeutung kommt in diesem Kontext Taiwan zu?

Sarah Kirchberger: Taiwan stellt für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar: In politisch-ideologischer Hinsicht stellt die erfolgreiche Demokratie auf Taiwan die Legitimität der autoritären KP-Herrschaft in China in Frage, weil sie beweist, dass eine chinesische Gesellschaft sehr gut die angeblich für China ungeeigneten "westlichen" demokratischen Regeln und universalen Menschenrechte umsetzen kann; zum anderen ist Taiwan aufgrund seiner geographischen Lage nahe der Bevölkerungszentren an Chinas Ostküste eine Art "unsinkbarer Flugzeugträger", von dem aus China militärisch bedroht werden kann. Taiwan ist außerdem ein Baustein der sogenannten "Ersten Inselkette", wie der natürliche "Zaun" aus Inseln von Japan, Okinawa, Taiwan und den Philippinen gern genannt wird. Westlich dieser Kette ist das Wasser relativ flach, erst östlich davon fängt der Ozean an. Viele maritime Experten in China betonen, dass Chinas maritime Expansion von dieser "Inselkette" eingedämmt wird, da sich viele amerikanische Militärstützpunkte darauf befinden und die Durchlässe gründlich überwacht werden. Taiwan unter Kontrolle zu bringen hätte daher aus chinesischer Sicht den Vorteil, dass diese Inselkette durchbrochen wäre und Chinas Marine von der Ostküste Taiwans aus ungehinderten Zugang zu den tiefen Gewässern des Pazifik hätte, in denen sich U-Boote gut verstecken können - dort wäre daher ein noch wesentlich besserer Standort für eine nuklearstrategische U- Boot-Basis gegeben als auf Hainan im Südchinesischen Meer. Eine solche Veränderung würde die strategische Lage in Asien-Pazifik auf grundlegende Weise umwälzen - und zwar sehr zu Ungunsten der USA und ihrer Verbündeten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Rolle spielt das Kosmodrom Wenchang beim Aufstieg Chinas zu einer militärischen Supermacht?

Sarah Kirchberger: Der neue Weltraumbahnhof Wenchang auf der Insel Hainan ist der einzige Standort, von dem aus China Raketen mit sehr großem Durchmesser und entsprechend großer Nutzlast starten lassen kann, etwa die LM-5. Das liegt daran, dass die chinesischen Inlands-Startplätze zum einen durch ihre relativ große Entfernung zum Äquator als auch durch den Überland-Transportweg auf Schienen nur Raketen eines bestimmten maximalen Durchmessers und Gewichts starten lassen können. Für einige Programme, etwa die geplante chinesische Raumstation, reicht das nicht aus. Wenchang wiederum liegt nahe am Meer, kann also von Schiffen aus mit deutlich größeren Raketen versorgt werden, und ist viel näher am Äquator gelegen, was die mögliche Nutzlast der Raketen erhöht. Wenchang ist also für mehrere prestigeträchtige Raumfahrtprojekte Chinas der einzige geeignete Startplatz. Auch starten die Raketen von Wenchang aus nach Osten oder Südosten über Wasser, was im Fall eines Unglücks sicherer ist als über Land - dies erfordert jedoch, bei einem Start die Kontrolle über das zuerst überflogene Seegebiet sicherzustellen. Alle Weltraumprogramme stehen in China de facto unter der Kontrolle des Militärs, und alle Projekte haben grundsätzlich Dual-Use-Charakter, also sowohl zivile als auch militärische Anwendungsbereiche. Aber es geht hier auch um das nationale Prestige: China will mit den USA gleichziehen und sie idealerweise übertreffen. Mit einem Marsprogramm und Plänen für eine bemannte Raumstation sowie eine angedachte Station auf dem Mond ist China auf dem besten Weg dahin.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was würde ein Waffengang zwischen China und den USA im Südchinesischen Meer für die Staaten der EU in ökonomischer, geo- und bündnispolitischer Hinsicht bedeuten?

Sarah Kirchberger: Ein Großmachtkonflikt zwischen den USA und China birgt in sich die Gefahr einer nuklearen Eskalation. Im Mindestfall würde so ein Konflikt jedoch die NATO vor eine Zerreißprobe stellen - denn die USA würden in solch einem Fall schwerlich akzeptieren, dass europäische Verbündete sich neutral verhalten. Die Europäer könnten also vor die Wahl gestellt werden, entweder die USA militärisch oder zumindest symbolisch zu unterstützen, mit allen damit verbundenen Risiken, oder das Ende des transatlantischen Bündnissystems in Kauf zu nehmen, was entsprechende Konsequenzen für die Sicherheit Europas im Verhältnis zu Russland hätte. Natürlich wäre auch denkbar, dass Russland einen solchen Moment der Krise in Ostasien für eigene militärische Aktivitäten in seiner europäischen Peripherie ausnutzen könnte - dann wären die USA schwerlich in der Lage, auf beides zugleich angemessen zu reagieren. Es ist somit im ureigenen Interesse Europas, dazu beizutragen, dass die Situation in Asien-Pazifik nicht weiter eskaliert und ein Konflikt vermieden wird. Dies wird nur durch eine gerechtere militärische Lastenteilung im Bündnis und durch ein geschlossenes Auftreten gegenüber China an der Seite aller demokratischen Staaten der Region und der USA zu erreichen sein.

Info zur Person: Dr. Sarah Kirchberger ist Leiterin der Abteilung „Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik“ am „Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel“ (ISPK). Sie studierte Sinologie und Politikwissenschaft in Hamburg, Taipei und Trier und beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Entwicklung der chinesischen Marine, über die sie 2015 ein Buch veröffentlicht hat. Zwischen 2010 bis 2016 war sie Juniorprofessorin für das Gegenwärtige China an der Universität Hamburg, davor arbeitete sie mehrere Jahre als Analystin in der Marineschiffbau-Industrie. Aktuell forscht sie zu neuen Militärtechnologien, chinesisch-russischer Rüstungskooperation und zum transatlantischen Umgang mit Chinas Aufstieg.

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