Im Kanzleramt gibt es großen Unmut darüber, dass etliche Bundesländer bereits wieder von den jüngst beschlossenen Corona-Beschlüssen abweichen. Kanzleramtschef Helge Braun warnte in einem Reuters-Interview vor einem deutlich längeren Lockdown in Deutschland, wenn die gemeinsam getroffenen Maßnahmen wie die Schließung der Schulen bis Ende Januar nicht konsequent umgesetzt würden. "Mit jeder Lockerung jetzt ist die Wahrscheinlichkeit auf noch länger notwendige Beschränkungen immer größer", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag im dem Interview mit Reuters-TV.
Zuvor hatten etliche, meist SPD- oder Grün-geführte Bundesländer angekündigt, die Grundschulen doch schon ab Mitte Januar öffnen zu wollen. Länder wie Baden-Württemberg wollen zudem die Einschränkung des Bewegungsradius in Corona-Hotspots mit einer Inzidenz von mehr als 200 vorerst nicht umsetzen.
Bund und Länder hatten sich am Dienstag für eine Verlängerung des Lockdowns bis zum 31. Januar ausgesprochen und zusätzlich die Kontakt- und Bewegungsvorschriften verschärft. Hintergrund sind die weiterhin hohen Zahlen an Neuinfektionen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete für Deutschland zuletzt 26.391 Neuinfektionen. Damit stieg die Gesamtzahl auf 1,835 Millionen. Die Zahl der Todesfälle legt laut RKI innerhalb von 24 Stunden um 1070 auf 37.607 zu. Die Sieben-Tage-Inzidenz gab das RKI mit 121,8 an. Die Zahl gibt an, wie viele Menschen sich rechnerisch pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche anstecken. Bund und Länder streben einen Wert von 50 an.
Trotz der hohen Zahlen rücken etliche Ländern bereits wieder von den Beschlüssen ab. Der Berliner Senat etwa will ab dem 18. Januar wieder Grundschüler der Klassen 1 bis 3 in die Schulen lassen - was die Berliner CDU kritisiert. Abweichungen gibt es auch in Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern. Strittig ist vor allem die Beschränkung des Bewegungsradius für Personen aus Corona-Hotpots. Damit sollte etwa der Ansturm auf Wintersportorte gebremst werden, worum etliche Kommunen gebeten hatten. Der Harzer Tourismusverband erwartet dennoch nach Angaben einer Sprecherin für das Wochenende einen erneuten Ansturm. "Selbst wenn die 15-Kilometer-Regelung gilt, wird das vermutlich nicht viel ändern, weil im niedersächsischen Teil des Harzes die meisten Besucher aus Niedersachsen kommen und dort meines Wissens nach nirgends die Inzidenz über 200 liegt", sagte sie dem RedaktionsNetzwerkDeutschland (RND).
Auch der Druck aus der Wirtschaft wächst: So forderte der Reisekonzern TUI ein Ende von Reisewarnungen und Quarantänepflichten, weil in der EU bereits zwei Impfstoffe zugelassen seien. Laut RKI sind in Deutschland mittlerweile aber erst 417.060 Menschen geimpft worden. Innerhalb eines Tages wurden weitere 46.332 Menschen geimpft.
Kanzleramtschef Braun warnte vor einer erneut verschärften Lage bis zu einem völligen Kontrollverlust durch die Ausbreitung von Virus-Varianten, wie sie etwa in Großbritannien registriert werden. "Wenn sich auf dem hohen Infektionsniveau, das wir haben, die Mutationen ausbreiten, dann wird es sehr schwer, ein Wachstum der Infektionszahlen überhaupt noch in den Griff zu bekommen", sagte er. Dann käme man in der nächsten Bund-Länder-Runde am 25. Januar möglicherweise auch an "maximalen Beschränkungen" nicht mehr vorbei.