Politik

Häme ist fehl am Platz: Warum die Zukunft Amerikas auch über Deutschlands Schicksal entscheidet

DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph warnt davor, angesichts der Chaos-Nacht in Washington Genugtuung zu empfinden. Er ordnet die Geschehnisse in einen größeren, internationalen Kontext ein.
08.01.2021 08:56
Aktualisiert: 08.01.2021 08:56
Lesezeit: 2 min
Häme ist fehl am Platz: Warum die Zukunft Amerikas auch über Deutschlands Schicksal entscheidet
Anhänger von US-Präsident Donald Trump stürmen das Capitol, den Sitz von Senat und Repräsentantenhaus. (Foto: dpa)

Die schmählichen Ereignisse in Amerikas Hauptstadt waren kein politischer Protest. Sie hatten keinerlei Legitimation. Nein, sie waren nicht mehr und nicht weniger als ein versuchter Staatsstreich, ein Angriff auf das Herz von Amerika: Seine gesetzgebende Versammlung. Wer einmal in Washington gewesen ist, wird mir zustimmen, dass vom Kongress-Gebäude, dem Capitol, etwas Erhabenes ausgeht. Es zu stürmen, es zu beschädigen, ist in etwa so, als ob man in Deutschland den Kölner Dom schänden würde, die Frankfurter Paulskirche oder das Goethehaus in Weimar. Oder alle drei zusammen.

Die Schuldigen – ob direkt oder indirekt beteiligt – werden zur Verantwortung gezogen werden, da bin ich mir sicher. Diesen Teil der Ereignisse können wir getrost abhaken – und nach vorne schauen und uns überlegen, welche Folgen die Ereignisse nach sich ziehen werden.

Vorab dieses: Man muss die USA nicht mögen. Außenpolitisch hat die führende Macht des 20. Jahrhunderts ganz bestimmt nicht nur Segen über die Welt gebracht – im Gegenteil. Aber dennoch sind Genugtuung, gar Häme, fehl am Platz. Wer nur allzu schnell bereit ist, die Vereinigten Staaten gänzlich zu verdammen, der sollte sich vor Augen führen, dass sie Millionen und Abermillionen von Deutschen zur Heimat wurden. Deutsche, die im Lande ihrer Geburt aufgrund ihrer niedrigen Herkunft keine Chance hatten, die von ihren Landesfürsten unterdrückt wurden, denen ein Leben in Unfreiheit bevorstand – und die froh waren über die Möglichkeit, ihr Glück in der Neuen Welt suchen zu dürfen (nicht alle brachten es zu Reichtümern, aber, um ein etwas abgewandeltes Zitat aus den Bremer Stadtmusikanten zu bemühen: Etwas Besseres als die Knechtschaft findest Du überall).

Und er kann auch ruhig an den älteren Herrn denken, mit dem ich vor einiger Zeit in einem Berliner Lokal ins Gespräch kam: Er erzählte mir, wie er als kleiner Junge im Sommer 1948 Hunger litt. Bis die Flugzeuge der US-Air Force kamen und Getreide vom Himmel regnen ließen …

Solche sentimentalen Gedanken sind den Herren in Peking vollkommen fremd. Sie denken nur in einer Kategorie: Denen der Macht. Und freuen sich dementsprechend über die Ereignisse in Amerikas Hauptstadt. Zeigen Sie – in ihren Augen – doch, wie sehr ihr System dem westlichen überlegen ist. Warum es notwendig ist, dass die kommunistische Partei das Land weiterhin mit eiserner Faust regiert. Auch und gerade in Hongkong.

Die Herren in Peking wollen aber nicht nur in China herrschen – sondern auf dem gesamten eurasischen Kontinent. Dafür bauen sie die Neue Seidenstraße (und bringen die Länder, die an der Handelsroute liegen, in große finanzielle Abhängigkeit), verleiben sich europäische Unternehmen ein, rüsten ihre Streitkräfte auf und lassen jeden, der auch nur die kleinste Kritik wagt, ihre ökonomische Macht in Form von Sanktionsdrohungen spüren.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands vom Reich der Mitte ist bereits besorgniserregend.

Eins steht fest: Allein werden wir dem Giganten aus Fernost nicht widerstehen können. Selbst Europa ist dafür wahrscheinlich zu klein. Das Ergebnis dieser Einsicht: Eine europäisch-amerikanische Partnerschaft als Gegengewicht gegen die neue Supermacht, die schon in wenigen Jahren die größte Volkswirtschaft der Welt sein wird, drängt sich also geradezu auf. Denn auch Amerika benötigt Verbündete. Seine Bedeutung nimmt ab – wirtschaftlich, politisch, kulturell.

Gleichzeitig müssen wir ganz genau schauen, was sich jenseits des Großen Teiches tut. Stellt sich heraus, dass die gestrigen Ereignisse doch keine Ausnahme waren, dass es den Vereinigten Staaten nicht gelingen wird, ihre tiefe gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, dass sie sich weiter vor allem mit sich selbst beschäftigen und sich in Isolationismus flüchten: Dann wird Deutschland, dann wird Europa umdenken müssen. Es würde unumgänglich werden, seine Widerstandskraft gegen China in noch viel stärkerem Maß auszubauen und sich neue Verbündete zu suchen. Noch ist es jedoch nicht so weit. Noch sollten wir hoffen, dass am gestrigen Tag nur einige Scheiben zu Bruch gingen – und nicht ein ganzes Land.

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