Deutschland

Auf die Politik kommt eine Klagewelle gigantischen Ausmaßes zu

Lesezeit: 3 min
12.02.2021 09:11  Aktualisiert: 12.02.2021 09:11
In der Wirtschaft brodelt es gewaltig. Mit scharfen Attacken gegen das „Totalversagen der Politik“ rufen erste Branchenverbände ihre hunderttausenden Mitglieder zu Klagen gegen die Lockdown-Verlängerung auf. Die Vorwürfe werden massiver, die Stimmung kippt.
Auf die Politik kommt eine Klagewelle gigantischen Ausmaßes zu
Paragrafen an einem Hauseingang. (Foto: dpa)
Foto: Oliver Berg

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Der Handelsverband Bayern (HDE) hat die erneute Verlängerung des Lockdowns als „eine Bankrotterklärung der Politik“ kritisiert und will dagegen vor Gericht gehen. Einem Buchhändler oder Floristen sei nicht zu erklären, „warum man sich zwar im Friseursalon zwei Stunden lang eine neue Dauerwelle legen lassen kann, die Händler aber wegen angeblich hoher Infektionsgefahr geschlossen bleiben müssen“, sagte HDE-Sprecher Bernd Ohlmann am Donnerstag. Der Handelsverband werde diese „abstrusen Regelungen gerichtlich überprüfen lassen“ und rufe auch seine Mitglieder auf, zu klagen. „Wir wollen keine Extrawurst, sondern nur Chancengleichheit.“ Die Klage würde sich gegen den Freistaat Bayern richten.

Bund und Länder hätten wieder einmal stundenlang getagt, „um dann in geübter Manier das Mindesthaltbarkeitsdatum des Lockdowns einfach zu verlängern“, kritisierte der HDE. Die Politiker hätten den monatelang hochgehaltenen Inzidenzwert für Lockerungen im Handstreich kurzerhand von 50 auf 35 gesenkt und damit ihre Versprechen gebrochen. Dieser Inzidenzwert sei erst in einigen Monaten erreichbar, weil die Politik beim Beschaffen von Impfstoff „grandios versagt hat“.

Der Einzelhandel sei „nicht nur enttäuscht, sondern empört über diese beispiellose Dreistigkeit“, sagte Ohlmann. Eine Öffnungsstrategie sei weiterhin nicht in Sicht. „Kein Einzelhändler könnte mit solch einer Perspektiv- und Mutlosigkeit sein Geschäft führen.“ Der Handelsverband Bayern (HBE) vertritt die Interessen von 60 000 Einzelhandelsunternehmen mit 330 000 Beschäftigten und 67 Milliarden Euro Umsatz jährlich.

Aktionsbündnis #AlarmstufeRot erhebt massive Vorwürfe

Das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot sieht die Veranstaltungswirtschaft im Corona-Lockdown im Stich gelassen und schließt rechtliche Schritte nicht aus. „Ungewollt wird die Branche von der Regierung zum letzten Mittel gezwungen: die Entschädigungsklage“, hieß es in einer Mitteilung am Donnerstag. Eine Prozesswelle sei der einzige verbliebene Schritt, um 100 000 Betriebe und ihre Beschäftigten zu retten. Die Beschlüsse von Bund und Ländern am Mittwoch hätten klargemacht, dass es viele weitere Monate kein Veranstaltungsleben in Deutschland geben werde.

„Hierbei macht uns fassungslos, dass das Veranstaltungswesen von den politisch Verantwortlichen nicht einmal mehr erwähnt wird. Anders als alle anderen Teile des wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Lebens in Deutschland ist die Veranstaltungsbranche seit bald zwölf Monaten im totalen Lockdown“, erklärte Sandra Beckmann von #AlarmstufeRot. Die Branche sei ins künstliche Koma versetzt worden, und „die Ausrottung unserer Existenzen“ werde in Kauf genommen. So würden die seit Monaten versprochenen Kompensationsprogramme nicht ankommen, sofern sie überhaupt schon beantragt werden könnten.

Der letzte Punkt ist besonders bemerkenswert. Denn auch andere Branchen klagen seit Monaten darüber, dass überhaupt keine Hilfen ankommen. Neben der Bundeskanzlerin als Letztverantwortliche und dem Wirtschaftsminister soll Stimmen aus der Wirtschaft zufolge insbesondere Finanzminister Olaf Scholz schuld an dem Desaster sein.

#AlarmstufeRot vertritt die Kultur- und Eventbranche, die besonders unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie leidet. Demnach sind mehr als 3 Millionen Erwerbstätige betroffen.

Modenbranche lässt Eilanträge gegen Lockdown ausarbeiten

Der Unitex-Einkaufsverbund mit 800 angeschlossenen Mode-Einzelhändlern hat Eilanträge gegen den verlängerten Lockdown angekündigt. „Wir sind dabei, einen Eilantrag auf Wiedereröffnung des Einzelhandels in Bayern zu stellen“, sagte Unitex-Marketingchef Xaver Albrecht am Donnerstag in Neu-Ulm. „Bayern ist der erste Schritt, andere Länder werden folgen.“

Die Lockdown-Verfügungen sind Sache der Länder. Die Lockdowns seien unverhältnismäßig, denn es gebe keinen Beleg, dass die Geschäfte Corona-Hotspots seien, sagte Albrecht. Deshalb gehe Unitex jetzt mit der Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Nieding+Barth dagegen vor. Die Klage werde von Unitex gemeinsam mit Händlern finanziert. Darüber hinaus bereite Unitex mit der Anwaltskanzlei eine Sammelklage auf Schadenersatz wegen der Zwangsschließungen der Läden im Frühjahr 2020 und seit November 2020 vor.

Massive Kritik von allen Seiten

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) kritisierte die Beschlüsse der Bundesregierung scharf: „Das Hotels und Restaurants in dem vorliegenden Beschluss mit keinem Wort erwähnt werden, löst in der Branche Frust und Verzweiflung aus.“

Der Handelsverband Deutschland (HDE) warf der Politik Wortbruch vor. „Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und bleibt in dieser für uns alle dramatischen Situation den vor Wochen versprochenen Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown schuldig“, klagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Viele Einzelhändler bringe das in eine ausweglose Lage. Jeder durch den Lockdown verlorene Verkaufstag kostet die Einzelhändler laut HDE Umsätze in Höhe von rund 700 Millionen Euro.

Der Deutsche Tourismusverband kritisierte fehlende Perspektiven für die von der Krise hart getroffene Branche. „Es ist kein Konzept, klein Plan, keine Strategie ersichtlich, wie es weitergehen soll“, beklagte DTV-Geschäftsführer Norbert Kunz. Der Tourismus erwarte ein planbares, bundeseinheitliches und nachvollziehbares Konzept für den Neustart, dies sei auch in der vorhergehenden Bund-Länder-Runde angekündigt worden.

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) Michael Frenzel, kritisierte: „Mehr als nüchternes Abraten vom Reisen fällt der Politik nach wie vor nicht ein.“ Der anhaltende Stillstand und die anhaltende Perspektivlosigkeit zermürbten und zerstörten die Tourismuswirtschaft.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft kritisierte, es fehle noch immer ein klarer Fahrplan für den „Lockoff“ der Wirtschaft sowie ein Wirtschaftsgipfel mit Experten des Mittelstands, den Gewerkschaften und der Politik. „Wieder vertröstet die Bundesregierung den Mittelstand mit unverbindlichen Versprechungen und lässt diesen bettelnd am Tropf der Überbrückungshilfen hängen“, sagte Bundesgeschäftsführer Markus Jerger.

Auch der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), Spitzenverband der Immobilienwirtschaft, bemängelte eine weiterhin fehlende Perspektive für eine Öffnung des Handels. Ebenso der Bundesverband der Industrie (BDI) kritisierte fehlende Aussichten.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine klare Aussicht für die Unternehmen und Geschäfte gefordert. „Gerade für die Wirtschaft ist das natürlich katastrophal. Viele Unternehmen stehen am Rande ihrer Existenz und das wird sich in den nächsten Monaten natürlich dramatisch verschlechtern“, sagte Präsident Marcel Fratzscher am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin.


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