Das geplante Investitionsabkommen zwischen der EU und China wird zur Hängepartie. Angesichts des Widerstands im Europäischen Parlament zeigt sich nun auch die EU-Kommission bedeckt, was die Aussichten des Vorhabens angeht. Diese hingen ab von der weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Wirtschaftsblöcken, hieß es in einer Erklärung der Brüsseler Behörde vom Mittwoch.
Das Investitionsabkommen könne nicht von den übrigen europäisch-chinesischen Themen getrennt werden, behauptet die Kommission. Die jüngsten Sanktionen der Volksrepublik gegen EU-Abgeordnete – welche als Antwort auf europäische Sanktionen gegen China verhängt wurden – wurden in Brüssel als „inakzeptabel und bedauerlich“ kritisiert. Solange diese Maßnahmen gelten, sei keine Zustimmung des Europäischen Parlaments zu einem Investitionsabkommen zu erwarten, hieß es aus der Kommission.
Befürworter eines solchen Abkommens sind insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Lage könnte sich nach der Bundestagswahl im September ändern, wenn Merkel nicht mehr im Amt ist und die von USA und Nato beeinflussten Grünen in die Regierung einziehen. Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hatte schon mehrfach klargestellt, dass sie die aus den USA und Großbritannien organisierte Konfrontation im Prinzip unterstützt.
Zusammen mit den Sozialdemokraten machen insbesondere die Grünen im EU-Parlament Front gegen das Investitionsabkommen. Das Parlament wird sich wahrscheinlich erst im kommenden Jahr damit befassen. Kanzlerin Angela Merkel hingegen pocht auf die Bedeutung des abgeschlossenen Rahmenabkommens. Dieses sei ein „sehr wichtiges Unterfangen, weil wir hier mehr Reziprozität beim Marktzugang bekommen“, sagte Merkel am Mittwoch auf einer transatlantischen Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Man habe zudem die Einhaltung von Arbeitsnormen sowie die Kennzeichnung regionaler Produkte festgelegt.
Hintergrund der aktuellen Spannungen zwischen den beiden größten Wirtschaftsblöcken der Welt ist ein langfristig angelegter, insbesondere von den USA und Großbritannien organisierter geopolitischer Feldzug gegen China. Dieser umfasst neben Wirtschaftssanktionen auch eine mediale Komponente.
Großbritannien spannt G7-Staaten gegen China und Russland ein
Großbritannien ist zwar kein Teil der EU mehr, versucht deren wichtigste Staaten jedoch für den eigenen Feldzug gegen China einzuspannen. Den britischen Vorsitz des G7-Formats hatte Außenminister Dominic Raab vor einigen Tagen dazu genutzt, dem Format eine anti-chinesische Grundausrichtung überzustülpen. Zudem versucht die britische Regierung auch, die Gräben zu Russland nicht etwa zu überwinden, sondern noch zu vertiefen. Auch hierfür wird unter anderem im G7-Format Werbung gemacht. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte vor einigen Tagen auf die aus seiner Sicht subversive Rolle aufmerksam gemacht, welche die Briten mit Blick auf das politische Verhältnis zwischen Russland und der EU spielen, ohne selbst Teil dieser EU zu sein.
Auch die US-Regierungen seit der Trump-Administration verfolgen eine offene Politik zur Eindämmung Chinas. Dazu gehört der gesamte Baukasten wirtschaftlicher (Sanktionen, Importzölle, wirtschaftliche Abkopplung) und politischer Maßnahmen (PR-Kampagnen zu Taiwan, Xinjiang und Hongkong). Derzeit wird im Senat ein großes Gesetzespaket verhandelt, das die Konfrontation noch einmal forcieren soll.
Offensichtlich ist, dass es weder im amerikanischen noch im britischen Interesse sein kann, wenn die EU ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China vertieft. Es handelt sich dabei um die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt, welche überdies im Zuge des chinesischen Jahrhundertprojekts der „Neuen Seidenstraße“ über den Landweg miteinander Handel treiben und dadurch einer Integration Eurasiens Vorschub leisten können. Schon jetzt profitieren sowohl Europäer als auch Chinesen immens von den Vorteilen des in den vergangenen Jahren stark ausgebauten Handels und gegenseitiger Investitionen, während die ökonomischen Bindungskräfte zu den USA – insbesondere aber seit dem Brexit zu Großbritannien – bedenklich schwächeln.
Wie die beiden Staaten gegenüber kleineren Ländern verfahren, die sich China annähern, zeigt eine Episode aus Portugal. So drohte die Trump-Regierung dem EU-Staat im Oktober 2020 gar mit Sanktionen. Das Land sei ein „Schlachtfeld“, und müsse sich zwischen den USA und China entscheiden, so der US-Botschafter in Lissabon damals.
Der Kampf ums Narrativ
Weil man mit bedeutenden Ländern wie Deutschland und Frankreich auf diese Weise nicht verfahren kann, wird über die „Menschenrechtsschiene“ Druck ausgeübt.
Dabei werden sehr komplizierte und vielschichte Sachverhalte zugespitzt, um politischen Druck gegen Peking zu generieren. Beispielsweise gilt es als erwiesen, dass die Chinesen in Xinjiang Teile der uigurischen Bevölkerung Programmen unterziehen, die eigenen Angaben zufolge auf einen Abbau radikalislamischer Tendenzen und ideologischen Indoktrinationen abzielen, welche insbesondere aus Zentralasien nach Xinjiang kommen.
Dabei wird in westlichen Publikationen häufig nicht erwähnt, dass in China in den vergangenen Jahren dutzende, wenn nicht hunderte Bürger durch Angriffe radikalisierter Uiguren ums Leben kamen. Interessierte Kreise im Westen schilden die Situation jedoch so, als ob ein Genozid in Xinjiang stattfände. Eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von massiven Anschuldigungen wie der Behauptung, alle uigurischen Frauen würden von den chinesischen Behörden sterilisiert, kommt dem in München ansässigen World Uyghur Congress zu, wie der Schweizer Blog Infosperber berichtet.
Was genau in Xinjiang geschieht, ist für westliche Beobachter, besonders für Journalisten, kaum einzuschätzen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedoch die Aussage des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman – immerhin als saudischer Regierungschef der Beschützer der heiligen Stätten des Islam – welcher die Anschuldigungen gegen China bezüglich der Situation in Xinjiang harsch kritisiert. Bin Salman zufolge würden diese dem Ziel dienen, die Beziehungen zwischen China und allen islamischen Staaten auf der Welt empfindlich zu stören.
Ähnlich wie bei Xinjiang verhält es sich darüber hinaus mit Themenfeldern wie Hongkong, Tibet und Taiwan – besonders sticht hier die mediale Berichterstattung über die Vorgänge in der ehemals britischen Kronkolonie Hongkong ins Auge.
Wirtschaft erstaunt über „Tonalität“ der Debatte
So erstaunt es angesichts der Verwicklung des Investitionsabkommens mit größeren geopolitischen Agenden nicht, wenn sich die wirtschaftlichen Akteure angesichts der sich verschärfenden Spannungen zwischen den Partnern wundern. Der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) verlieh in einer Medienmitteilung Mitte März zu Recht seiner Verwunderung über die aufgeheizte Stimmung Ausdruck:
„Über die gegenwärtige Kritik an dem Abkommen, über dessen Eckpunkte am 31. Dezember 2020 zwischen der EU und China nach über sieben Jahren der Verhandlungen eine Verständigung im Grundsatz erzielt wurde, sind wir sehr verwundert. Der aktuelle Stand dieses Abkommens bildet einen historischen Meilenstein in den chinesisch-europäischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Der verbesserte Zugang zum chinesischen Markt, die Verankerung fairer Wettbewerbsbedingungen sowie der Ausbau der Rechtssicherheit für Investoren sind besonders hervorzuheben. Auch wurden neue und effiziente Mechanismen zur Streitbeilegung geschaffen, die für Geschäftsaktivitäten in China zusätzliche Sicherheiten bereitstellen. Dieses Abkommen ist das ambitionierteste seiner Art, welches China bisher mit einem Drittstaat bzw. einem Staatenverbund bereit war, zu verhandeln.
Diese Erfolge dürfen wir jetzt nicht kleinteilig zerreden, sondern sollten die Chancen nutzen, den konstruktiven Dialog mit China als Partner der europäischen und deutschen Wirtschaft zu intensivieren. Die Tonalität und uns höchst unverständliche Ambitionslosigkeit, mit der die aktuelle Debatte über das CAI geführt wird, geben aus unserer Sicht Anlass zur Sorge und gefährden die Zukunft Europas und des Wirtschaftsstandorts Deutschland in einer globalen Krisenzeit. Der BWA wendet sich aus diesem Anlass fraktionsübergreifend an alle deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments: Übernehmen Sie Verantwortung für die Zukunft der europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, die Sicherung von Beschäftigung und Wohlstand, und engagieren Sie sich für eine Ratifizierung dieses Abkommens!“
Zuvor hatte bereits der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, davor gewarnt, dass sich Europa am US-Feldzug gegen China beteilige. „Wenn Europa und die USA versuchen, China wirtschaftlich zu isolieren, wird das bei allen Beteiligten großen wirtschaftlichen Schaden anrichten“, sagte Fuest dem Handelsblatt. „Die wirtschaftlichen und politischen Interessen Europas an den Wirtschaftsbeziehungen zu China unterscheiden sich von denen der USA“, so Fuest. Europa solle „sowohl gegenüber China als auch gegenüber den USA einseitige Abhängigkeiten reduzieren und gleichzeitig die Wirtschaftsbeziehungen vertiefen“.
Die Europäische Handelskammer in China warnte Anfang des Jahres davor, die Tendenz der Entkopplung der großen Wirtschaftsräume weiter voranzutreiben. Sollte die mithilfe von US-Sanktionen in den vergangenen Jahren vorangetriebene Entwicklung vom neuen US-Präsidenten Joe Biden fortgesetzt werden, drohen die in China tätigen Unternehmen aus Europa zwischen den Fronten zerrieben zu werden.