Finanzen

Der „Bullard-Schock“ zeigt: die Nerven im Finanzsystem liegen blank

Lesezeit: 2 min
21.06.2021 16:12  Aktualisiert: 21.06.2021 16:12
Vorsichtige Äußerungen eines Bezirkspräsidenten der US-Zentralbank zu einer Normalisierung der Geldpolitik lösen Sorge und Verunsicherung am Aktienmarkt aus.
Der „Bullard-Schock“ zeigt: die Nerven im Finanzsystem liegen blank
Das Siegel der Federal Reserve. (Foto: dpa)
Foto: Shawn Thew

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Nachdem der deutsche Leitindex Dax vor einer Woche bei gut‭ ‬15.800‭ ‬Punkten noch einen Allzeit-Höchststand markiert hatte,‭ ‬trieben die Anleger zuletzt Sorgen vor einer früher als gedachten Normalisierung der amerikanischen Geldpolitik um. Der Leitindex Dow Jones verlor am Freitag überraschend deutlich 1,6 Prozent. Auch der technologielastige Nasdaq gab 0,9 Prozent nach und der breit gefasste S&P 500 büßte ebenfalls deutlich 1,3 Prozent ein. Im Wochenlauf verlor der S&P fast zwei Prozent, der Dow etwa 3,5 Prozent und die Nasdaq grob 0,3 Prozent.

Ausgelöst wurden diese Marktschwankungen zu großen Teilen von James Bullard,‭ dem Präsidenten der Zentralbank-Niederlassung von St- Louis, welcher‬ am vergangenen Freitag eine Leitzinsanhebung‭ ‬im kommenden Jahr‭ ‬ins Spiel brachte. Mit dem nach der Corona-Krise einsetzenden Aufschwung seien auch erhöhte Inflationsgefahren verbunden, sagte Bullard dem Fernsehsender CNBC. Zuletzt hatten Signale der Fed für erste Zinsschritte 2023 die Anleger vorsichtiger werden lassen. „Es scheint, dass die Inflation zu einem Problem für die Fed werden könnte“, sagte Stratege Rick Meckler vom Vermögensverwalter Cherry Lane Investments. Eine Straffung der Geldpolitik könne den Aufschwung und das Gewinnwachstum der US-Konzerne früher bremsen als von den Anlegern erwartet. Für größere Kursschwankungen sorgte zudem der große Verfall an den Terminbörsen. Auch in Europa hatten die Kurse heftiger geschwankt als gewöhnlich. Der Dax war 1,8 Prozent tiefer aus dem Handel gegangen.

Die Episode ist bemerkenswert. Denn betrachtet man die fundamentalen Zusammenhänge, fällt schnell auf, dass die Anleger angesichts der tatsächlichen Fakten überreagieren beziehungsweise andere, viel bedeutendere Risiken für die Finanzstabilität offenbar keinerlei Rolle spielen. Offenbar reichen allein theoretische Überlegungen zu zaghaften Zinserhöhungen in der relativ weit entfernten Zukunft bereits aus, um Unruhe zu stiften. Das extrem gehebelte Finanzsystem sowie die enorm überschuldeten Akteure wie Staaten, Unternehmen und Haushalte scheinen überhaupt keine Anhebung der Zinsen - der Nominalzinsen wohlgemerkt - mehr vertragen zu können.

Realzinsen sacken in den negativen Bereich ab, doch niemanden interessiert's

Der Finanzberater Solvecon geht in seinem Forex-Report ein wenig auf die „Panik“ der Investoren ein, welche Bullard mit seinen Bemerkungen ausgelöst hatte - und die angesichts des zuletzt starken Preisauftriebs in den USA, der angeblich doch „boomenden“ US-Wirtschaft und unter Berücksichtigung der jahrelangen ultralockeren Geldpolitik eigentlich mehr als gerechtfertigt wäre. Solvecon thematisiert dabei ein Problem, welches zuletzt an Schärfe zugenommen hat, aber offenbar in der jüngsten Panik um eine mögliche Normalisierung der Geldpolitik überhaupt keine Rolle spielt - die extrem negativen Realzinsen:

Zinserhöhungen vor 2023 sind nicht ausgemachte Sache. Über das Wochenende wurden zwei Extrempositionen geliefert. Zunächst der „Falke“, der Marktwirkung auslöste: James Bullard, Gouverneur der Fed St. Louis, plädierte wegen Inflationsgefahren für eine Zinswende bereits im Jahr 2022. Dann die „Taube“, die keine nennenswert Wirkung am Markt erzielte: Der Gouverneur der Fed Minneapolis sprach sich gegen Zinserhöhungen vor Ende 2023 aus. Die Mehrheit des Offenmarktausschusses votiert für eine leichte Zinswende im Verlauf 2023.

Der Offenmarktausschuss der Fed weicht nicht von einer Vollkaskopolitik ab, denn sollte es den Aufschwung nicht in gewünschter Form geben, steht das ganze jetzt sich abzeichnende Zinsregime zur Disposition. In meinen Augen ist es in einem Niedrigzinsregime wesentlich, den realen Zins (Zins abzüglich der Preisinflation) im Auge zu halten (Wirtschaftswirkung). Der reale Negativzins hat zuletzt dynamisch zugenommen. Die Fokussierung des Marktes auf den Nominalzins ist plakativ verständlich, mehr aber auch nicht.

Aus dem Tableau wird deutlich, dass der reale Negativzins per Mai deutlich höher ist als per Dezember 2020. „Food for Thought!“

Der USD konnte im Rahmen der Zinsdebatte an Boden zulegen. Der verstärkte negative Realzins scheint irrelevant zu sein (Kaufkraftverlust). Einfacher ausgedrückt: Ein möglicher kleiner nominaler „Zinsschnapps“ in der Zukunft lässt den Markt den massiv erhöhten negativen Realzins, der Ausdruck eines verstärkten Kaufkraftverlusts des USD ist, mit Kursgewinnen begleiten. Interessant!


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Immobilien
Immobilien Energieeffizienz im Immobilienmarkt: Was wünschen sich Mieter?
28.12.2024

Das Thema Energieeffizienz und energetische Sanierung ist ein wichtiges auf dem deutschen Immobilienmarkt: Nach dem Europaparlament müssen...

DWN
Finanzen
Finanzen 22 Millionen Menschen nutzen Steuer-Plattform Elster
28.12.2024

Seit 1996 bietet das Bund-Länder-Projekt Elster eine Plattform für die papierlose Steuererklärung. Die Nutzerzahlen zeigen, dass es...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Verspätungen, Streiks, Baustellen: Wie die Deutsche Bahn 700 Millionen Umsatz verliert
28.12.2024

Die Deutsche Bahn ist eine Dauerbaustelle und bekommt die Quittung dafür. Die Bilanz 2024 weist alleine im Fernverkehr 700 Mio. weniger...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kraftwerksexperte Manfred Haferburg: "Brownout ist ziemlich sicher zu erwarten”
28.12.2024

Gleich mehrere Dunkelflauten sorgten zum Jahresende 2024 für Rekordstrompreise an der Börse und Produktionsunterbrechungen in der...

DWN
Politik
Politik Estland lässt Unterseekabel Estlink 1 von Marine schützen
28.12.2024

In Estland und Finnland wurde die Weihnachtsruhe durch ein beschädigtes Unterseekabel in der Ostsee gestört. Die Regierung in Tallinn...

DWN
Politik
Politik Südkorea: Auch Interimspräsident Han des Amtes enthoben
28.12.2024

Nach Präsident Yoon Suk Yeol wird nun auch sein Vertreter Han Duck Soo durch eine Parlamentsabstimmung von seinen Aufgaben entbunden....

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnfinanzielle Lage Deutschland: 1 von 5 Deutschen können ihre Wohnkosten kaum decken
28.12.2024

Laut einer Umfrage der Direktbank ING Deutschland finden 26 Prozent der Befragten es „schwer“ oder „sehr schwer“ ihre Mieten zu...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands bedenkliches Ungleichgewicht: Insolvenzen steigen, Gründungen sinken
28.12.2024

Im November ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen etwas gesunken. Experten betrachten das Insolvenzgeschehen dennoch mit Sorge.