Für die Chinesen ist der kommende 26. September ein trauriger Tag. Deutschland wählt dann nämlich einen neuen Bundeskanzler, und Angela Merkels Regierungszeit wird wenig später enden. Wer auch immer ihr Nachfolger wird: Dass er sich als so bequemer Gesprächspartner für Peking präsentieren wird wie die Frau aus der Uckermark, ist kaum vorstellbar.
Devote Kanzlerin
Wer Merkel wohlgesonnen ist, kann ihre Politik gegenüber dem fernöstlichen Riesenreich, das wirtschaftlich, politisch und militärisch die weltweite Vorherrschaft anstrebt, als „pragmatisch“ bezeichnen. Wer ihren Umgang mit der Volksrepublik kritisch sieht, wird wohl eher „unterwürfig“ sagen. Tatsache ist: Weder Chinas langfristigen Ambitionen noch seinen konkreten Maßnahmen setzte die Kanzlerin jemals ernsthaften Widerstand entgegen. Im Gegenteil: Sie interpretierte ihre Rolle als die einer Abgesandten der deutschen Industrie, die auf Gedeih und Verderb Aufträge akquirierte und andere Interessen konsequent hintenanstellte.
Eine umfassende China-Strategie hat die Bundesregierung unter Merkel zu keinem Zeitpunkt entwickelt. Menschenrechtsverletzungen, Chinas territoriale Ansprüche im Südchinesischen Meer, die offensiv betriebene Aufrüstung, die Schaffung von Abhängigkeiten, beispielsweise in Osteuropa, die schwierigen Bedingungen, die deutsche Investoren im Reich der Mitte zu akzeptieren gezwungen werden: Sie wurden allesamt hingenommen. Darüber hinaus legte Merkel großen Wert darauf, dass Deutschland sein Verhältnis mit dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land selbständig regelte – von einem multilateralen Ansatz, der unter Umständen die USA, die EU oder zumindest andere europäische Länder miteinbezogen hätte, hielt die Kanzlerin nichts.
Aber in wenigen Wochen, zumindest wenigen Monaten (je nachdem, wie lange sich die Koalitionsverhandlungen hinziehen), wird Deutschland von einem neuen Kanzler, von einer neuen Bundesregierung regiert. Was ist in Sachen China-Politik zu erwarten? Ein Blick in die unterschiedlichen Parteiprogramme und eine Analyse der Aussagen verschiedener Spitzenpolitiker offenbart gewisse Tendenzen.
Partner oder systemischer Rivale: China in den Wahlprogrammen der Parteien
Für die Linke scheint China keine große Rolle zu spielen, in ihrem Wahlprogramm erwähnt sie das Reich der Mitte kaum. Die Partei und ihre Repräsentanten bleiben ihrer Tradition treu: Offene Kritik am Westen, vor allem an den USA; mehr oder minder geheime Bewunderung für die Aufbauleistung der Volksrepublik; geflissentliches Übersehen von Machtmissbrauch, ganz nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Auch für die AfD spielt China eher eine untergeordnete Rolle. Man mahnt faire Wirtschaftsbeziehungen an und reichte im Bundestag sogar einen Antrag ein, die Zusammenarbeit deutscher Hochschulen mit den staatlichen Konfuzius-Instituten der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zu beenden. In der Forderung, eine europäische Alternative zur Neuen Seidenstraße zu schaffen, schwingt in gewisser Weise Bewunderung für die Volksrepublik mit. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die AfD für gewisse Aspekte des chinesischen Systems, unter anderem die konsequent-rücksichtslose Verfolgung eigener nationaler Interessen, durchaus Sympathien hegt.
Allerdings werden weder die Linke noch die AfD an der Regierungsbildung beteiligt sein. Realistische Chancen haben lediglich vier Parteien.
Die Grünen: Sie vertreten die China-kritischsten Positionen. Sprechen vom Reich der Mitte zwar als „Partner“, aber auch als „Wettbewerber“ sowie als „systemischen Rivalen“. An dessen Politik das grüne Wahlprogramm durchgehend Kritik übt - vom idealistischen, Pro-Seminar- und WG-geprägten Duktus früherer Jahre und Jahrzehnte ist nichts mehr vorhanden, im Gegenteil: Die Grünen sprechen die Sprache der Realpolitik. Der Machtentfaltung des Giganten aus Fernost wollen sie Grenzen aufzeigen, und zwar im Rahmen europäischer und transatlantischer Zusammenarbeit. Wichtig: Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist Transatlantikerin und sieht die Volksrepublik äußerst kritisch. Sie will Peking zwar im „Dialog“, aber auch mit „Härte“ entgegentreten und mahnt, man dürfe „gegenüber China nicht naiv sein“.
Die FDP: Auch sie zeigt sich gegenüber China überaus kritisch - überraschenderweise. Letzteres schreibe ich, weil ich stets annahm, dass die FDP als verlängerter Arm der Wirtschaft Merkels China-Politik eigentlich positiv gegenüberstünde, auch wenn liberale Politiker in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik an Pekings Menschenrechtsverletzungen übten. Nimmt man jedoch ihr Parteiprogramm zum Maßstab, geht bei der FDP in Sachen China Geld nicht vor Moral: Das Reich der Mitte wird hart angegangen; die Hongkong- und Taiwan-Fragen werden ziemlich ausführlich thematisiert. Sollte es tatsächlich zu einer Teilung der Welt kommen und Deutschland vor der Frage stehen, sich zwischen China und den USA entscheiden zu müssen, lassen die Freien Demokraten keinen Zweifel darüber, für welchen Block sie sich entscheiden würden.
Die SPD: Auffällig ist, dass die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm einen klaren Fokus auf Europa legen. Offenbar sollen außenpolitische Angelegenheiten in nicht geringem Maße in den Verantwortungsbereich der Gemeinschaft übergehen, beispielsweise ist explizit von einem EU-Außenminister die Rede. Inwiefern das das Durchsetzungsvermögen gegenüber China stärkt, wird davon abhängen, wie einheitlich die Gemeinschaft gegenüber Peking auftreten kann. Natürlich ist ein Staatenbund potenter als ein einzelnes Land – aber auch nur dann, wenn er mit einer Stimme spricht.
Was China anbelangt, bleibt die SPD ansonsten vergleichsweise vage. In Sachen Hongkong, Taiwan und den „gravierenden Menschenrechtsverletzungen“ zeigt sie sich zwar kritisch, spricht auch von einem „Interessens- und Wertekonflikt“ mit dem Reich der Mitte. Insgesamt überwiegt jedoch der Eindruck, dass die Sozialdemokraten stark auf Dialog setzen. Welcher Art der sein soll, ist unklar. Olaf Scholz hat sich zum Thema China bislang eher wenig geäußert, was insofern auch nicht überraschen kann, da er eine starke innenpolitische Ausrichtung hat.
Die CDU: Es fällt ins Auge, dass das – übrigens sehr ausführliche – Wahlprogramm der Christdemokraten mit dem Thema Außenpolitik beginnt. In Sachen China ist die Programmatik– ähnlich wie bei den Grünen – in Stil und Wortwahl realpolitisch gehalten. „Der Aufstieg Chinas verändert das internationale Machtgefüge“, heißt es. Und gleich im nächsten Satz (ohne dass China explizit erwähnt würde): „Wir erleben die Missachtung des Völkerrechts und Regelbrüche durch bedeutende Staaten des internationalen Systems.“ Chinas Machtwillen müsse entgegengetreten werden, und zwar zusammen mit befreundeten Staaten und gleichgesinnten Demokratien Besonders akzentuiert wird die Bedeutung des indo-pazifischen Raums und die Notwendigkeit, in diesem eine regelbasierte internationale Ordnung aufrechtzuerhalten.
Allerdings werden auch die „Partnerschaft“ und die „Zusammenarbeit“ mit der Volksrepublik betont. Symbolisch für die ungeklärte Haltung der CDU in Sachen China steht die explizite Erwähnung, dass Deutschland eine Fregatte in den indo-pazifischen Raum gesandt hat. Eine durchaus begrüßenswerte Aktion seitens der Regierung, zeigt sie doch die Verbundenheit mit den dort immer häufiger Manöver abhaltenden demokratischen Staaten USA, Indien, Australien, Japan sowie den Ländern, die Chinas Ambitionen fürchten. Gleichzeitig ist eine einzelne Fregatte alles andere als eine Machtdemonstration. So gesehen kann man die Aktion auch als Zeichen von mangelnder Durchsetzungskraft werten: Eine einzelne Fregatte? Besonders beunruhigen wird das Chinas Marine nicht.
Tatsache ist: In der CDU gibt es in Sachen China zwei Flügel: Der wirtschaftsnahe, der Merkels Kurs unterstützt(e). Und derjenige, der eine breitere Perspektive einnimmt, China aus unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet und dessen lautstärkster und profiliertester Vertreter der fähigste außenpolitische Experte der Union ist, Norbert Röttgen.
Wo man Armin Laschet einzuordnen hat, ist unklar. Allerdings ist er tendenziell eher ein Anhänger des ersteren Flügels, wenn auch vielleicht nicht ganz so ausgeprägt wie Merkel. Dafür spricht, dass Laschet sich in der Vergangenheit sowie als nordrheinwestfälischer Ministerpräsident als auch als Kanzlerkandidat eher wirtschaftsfreundlich gezeigt hat; dass er überzeugter Europäer ist (was in seinem Falle auch eine gewisse Indifferenz gegenüber nicht-europäischen Themen und somit einen eingeschränkten Fokus auf die von China ausgehende Gefahr beinhaltet); und dass er deutlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die Politik seiner Vorgängerin fortsetzen. In einem Interview mit der Financial Times sagte er: „China ist ein Wettbewerber und ein systemischer Rivale, es hat ein anderes Gesellschaftsmodell, aber zugleich ist China auch ein Partner … Ich würde versuchen, wo immer es möglich ist, die Beziehungen zu fördern, aber gleichzeitig deutlich machen, was wir von China erwarten: dass es Gegenseitigkeit und Multilateralismus akzeptiert und Menschenrechte respektiert.“ Auf keinen Fall dürfe man in die Mentalität Kaltes Krieges verfallen wie zu Zeiten des Ost-West-Konflikts.
Glaubwürdige Aussagen?
Inwiefern kann man von diesen Parteiprorammen und den Aussagen führender Politiker auf die Inhalte der künftigen deutschen China-Politik schließen? Nun, es handelt sich um Absichtserklärungen, keine Versprechen. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ – dieses geflügelte Wort hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren. Dennoch wurden weder die Programme noch die Statements in den luftleeren Raum geschrieben beziehungsweise gesprochen. Als Grundlage zur Prognose taugen sie bis zu einem gewissen Grad durchaus.
LESEN SIE MORGEN IM ZWEITEN TEIL:
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