Weltwirtschaft

Welche Optionen hat Europa, wenn russisches Gas wegfällt?

Lesezeit: 2 min
24.02.2022 13:36
Derzeit bezieht Europa rund 40 Prozent des Erdgases aus Russland. Was sind die Alternativen, wenn die Versorgung unterbrochen wird?
Welche Optionen hat Europa, wenn russisches Gas wegfällt?
Biogasanlage bei Güstrow in Mecklenburg, die bis Jahresende für die Produktion von Bio-LNG umgerüstet wird, im Hintergrund ein Umspannwerk. (Foto: dpa)
Foto: Bernd Wüstneck

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Krieg in der Ukraine treibt die Gaspreise in die Höhe und schürt die Angst vor Engpässen bei der Versorgung Europas mit dem wichtigen Rohstoff. Händler sprachen von Panikkäufen an den Gasmärkten. Der Preis stieg allein am Donnerstag um fast zwei Fünftel. Im Folgenden eine Übersicht über die Gasversorgung Europas:

WOHER KOMMT DAS GAS FÜR EUROPA?

Derzeit bezieht Europa rund 40 Prozent des Erdgases aus Russland. Westeuropa wird über mehrere Pipelines beliefert: Jamal-Europa führt durch Belarus und Polen bis Frankfurt/Oder. Nord Stream 1 verläuft durch die Ostsee bis Lubmin bei Greifswald. Andere Pipelines gehen durch die Ukraine und über die Slowakei in Richtung Westen. Im Süden wird über TurkStream Gas durch das Schwarze Meer in die Türkei geliefert.

Bislang sind die russischen Gaslieferungen nicht von Sanktionen betroffen. Die neue Pipeline Nord Stream 2 wurde zwar von der Bundesregierung auf Eis gelegt, sie war aber bislang noch nicht in Betrieb gegangen, so dass dieser Schritt keine Auswirkungen auf die Lieferungen hat. Allerdings könnte Russland nach Einschätzung der Analysten des Oxford Institute for Energy Studies von sich aus den Gashahn als Reaktion auf Finanzsanktionen zudrehen. Zudem könnten Leitungen bei Kämpfen beschädigt werden.

WELCHE ALTERNATIVEN HAT EUROPA?

In Europa wird Gas in der Nordsee gefördert: Pipelines aus Großbritannien, Dänemark, Norwegen und den Niederlanden kommen in Deutschland an. Doch Norwegen fördert schon mit voller Kapazität und kann deswegen Ausfälle aus Russland nicht kompensieren, wie Ministerpräsident Jonas Gahr Stoere sagte.

Zudem gelangt Gas aus den Lagerstätten im Kaspischen Meer nach Südeuropa; zwei Pipelines führen von Aserbaidschan durch die Adria und durch die Türkei.

Eine weitere Option ist Flüssiggas. Japan und Südkorea sind nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereit, notfalls Schiffe mit Flüssiggas Richtung Europa zu schicken. Im Januar lagen die Flüssiggas-Einfuhren vor allem aus den USA bei etwa elf Milliarden Kubikmetern, so hoch wie nie zuvor. Doch auch hier wird es schwierig, die Mengen deutlich zu erhöhen.

So hat Katar, einer der wichtigsten Flüssiggasproduzenten weltweit, zuletzt erklärt, kein einzelnes Land könne russische Gaslieferungen nach Europa ersetzen, weil das meiste Gas mit langfristigen Verträgen bereits vergeben sei. Zudem sind die Kapazitäten in den Häfen begrenzt, wenn die Volumina weiter steigen sollten. Deutschland verfügt bislang nicht über ein eigenes Flüssiggas-Terminal.

Die Experten von Barclays halten es kurzfristig nicht für möglich, die russischen Lieferungen von jährlich zwischen 150 und 190 Milliarden Kubikmetern vollständig zu ersetzen. Derzeit liefere Russland rund 30 Prozent weniger Gas als vor Jahresfrist, für den Winter rechnen die Analysten mit insgesamt 48 Milliarden Kubikmetern. "Bleiben die russischen Lieferungen auf diesem Niveau, werden die europäischen Gasspeicher zum Ende der Saison nur noch 20 Milliarden Kubikmeter enthalten, selbst wenn die Nachfrage im Winter relativ niedrig bleibt und mehr Flüssiggas ankommt."

KANN GAS DURCH ANDERE BRENNSTOFFE ERSETZT WERDEN?

Ein großer Teil des russischen Gases wird zum Heizen genutzt und kann dort nicht so ohne weiteres ersetzt werden. Bei der Stromerzeugung sieht es etwas anders aus: Insbesondere können Kohle- oder Atommeiler stärker hochgefahren werden. Allerdings sinkt die Kapazität der Nuklearkraftwerke in Europa, weil Anlagen altern und vom Netz genommen werden - in Deutschland sind nur noch drei Kraftwerke in Betrieb.

Als Reaktion auf die hohen Gaspreise wurde seit Mitte vergangenen Jahres die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken hochgefahren. Diese gelten aber als umweltschädlich und kommen als langfristige Lösung nicht infrage. Um Klimaschutzziele zu erreichen, wurden vor allem ältere Anlagen in mehreren europäischen Ländern stillgelegt, neue Meiler werden nicht geplant.

WURDE DER GASHAHN SCHON EINMAL ZUGEDREHT?

In den vergangenen 15 Jahren kam es mehrfach zum Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine. Dabei ging es vor allem um Geld. So stoppte der russische Gaskonzern Gazprom die Lieferungen in die Ukraine 2006 einen Tag lang. Im Winter 2008/2009 waren die Störungen der russischen Lieferungen in Europa zu spüren.

Im Zuge der Krim-Krise 2014/2015 war die Ukraine erneut von einem Lieferstopp betroffen und bezieht seitdem den Rohstoff aus dem Westen. Für Europa sehe es aber besser aus, schrieben die Barclays-Experten. "Wir glauben nicht, dass Russland die Gaslieferungen nach Europa stoppt. Russland hat Europa während der Krim-Krise beliefert, obwohl Sanktionen verhängt wurden, und auch zum Höhepunkt des Kalten Krieges."


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Chinas Einfluss in Südostasien: Herausforderung für deutsche Firmen
04.05.2024

Deutsche Unternehmen suchen verstärkt nach Alternativen zum chinesischen Markt und richten ihr Augenmerk auf die aufstrebenden...

DWN
Technologie
Technologie CO2-Speicherung: Vom Nischenthema zum Wachstumsmarkt
04.05.2024

Anreize durch die Politik, eine neue Infrastruktur und sinkende Kosten: CO2-Speicherung entwickelt sich zusehends vom regionalen...

DWN
Politik
Politik Wahljahr-Turbulenzen: Biden im Kreuzfeuer der Gaza-Proteste
04.05.2024

Seit Monaten sind bei fast jedem öffentlichen Auftritt von Präsident Joe Biden propalästinensische Demonstrationen zu sehen, die sich im...

DWN
Politik
Politik Mindestlohn: Neues Streitthema köchelt seit dem Tag der Arbeit
04.05.2024

Im Oktober 2022 wurde das gesetzliche Lohn-Minimum auf zwölf Euro die Stunde erhöht. Seit Jahresanfang liegt es bei 12,41 Euro, die von...

DWN
Technologie
Technologie Deutsches Start-up startet erfolgreich Rakete
04.05.2024

Ein deutsches Start-up hat eine Rakete von zwölf Metern Länge entwickelt, die kürzlich in Australien getestet wurde. Seit Jahrzehnten...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Robert Habeck sollte endlich die Kehrtwende vollziehen - im Heizungskeller Deutschlands
03.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Finanzen
Finanzen Wirtschaftsstandort in der Kritik: Deutsche Ökonomen fordern Reformen
03.05.2024

Deutschlands Wirtschaftskraft schwächelt: Volkswirte geben alarmierend schlechte Noten. Erfahren Sie, welche Reformen jetzt dringend...

DWN
Politik
Politik Rheinmetall-Chef: Deutschland muss Militärausgaben um 30 Milliarden Euro erhöhen
03.05.2024

Armin Papperger, der CEO von Rheinmetall, drängt darauf, dass Deutschland seine Militärausgaben um mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr...