Aus der Ukraine kommen die ersten Fotos von Flüchtlingsströmen, Europa diskutiert über Sanktionen, und in der deutschen Politik entzündet sich der Streit um Waffenlieferungen an die Ukraine. Klar ist: Trotz des langen Kriegsgetrommel im Vorhinein, lässt Putins Invasion Europa aus der Fassung geraten – fast so, als wäre Krieg am Rande Europas bis vor Kurzem etwas vollkommen Undenkbares gewesen.
Beim östlichen Nachbarn der Bundesrepublik ist die Lage anders. Dort markierte der Sieg der nationalkonservativen PiS-Partei bei den Sejm-Wahlen 2015 einen außenpolitischen Wendepunkt. Er bedeutet eine ständige Sorge vor einem drohenden Krieg gegen Russland, stetiges Aufrüsten sowie das Willkommenheißen von NATO-Stützpunkten auf polnischem Boden. Es besteht kein Zweifel: Das Land bereitet sich auf einen Krieg vor.
Vor einer Woche sagte Major Mariusz Kordowski, Chef des Polnischen Zentrums für Strategie- und Sicherheitsanalysen, im Interview mit dem polnischen Online-Portal „niezalezna.pl“: „Wir wissen noch nicht endgültig, worum es in diesem Krieg geht, aber wir wissen, dass er uns erwartet.“
Mit dieser Prognose sollte er recht behalten. Eine Woche später meldet sich Kordowski wieder zu Wort. Dieses Mal mit einer gewagten Prognose: Wenn die Ukraine Entschlossenheit zeigen und weiterhin mit Rüstung unterstützt werden würde, könne sie eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Verteidigung ihrer eigenen Unabhängigkeit spielen und dem Treiben Russlands Einhalt gebieten.
„Es ist gut möglich,“ sagte der Sicherheitsexperte gegenüber dem konservativen Portal „wPolityce.pl“, „dass, wenn es der Ukraine gelänge, Russland empfindliche Verluste zuzufügen, es dort zu großen Umbrüchen oder sogar zu einem Machtwechsel kommen könnte.“ Denn letztlich sei auch die überfallene Ukraine trotz der ernsten Situation, in der sie sich befindet, immer noch ein geopolitischer Akteur. Was sie erreichen könne, sei von Bedeutung für die ganze Welt. Umso mehr fordert Kordowski jegliche Unterstützung für die Ukrainer.
Auf die Frage, ob Putin sich mit einer Invasion der Ukraine zufriedengeben oder aber nach weiteren Ländern in seinem direkten Umfeld greifen würde, entgegnete Kordowski: „Das wird er nicht tun, solange der Krieg in der Ukraine andauert. Kein Staat würde ohne Not einen Zwei-Fronten-Krieg beginnen.“ Zwar zeigt sich Kordowski überzeugt davon, dass Putin den Krieg einerseits von langer Hand geplant und weitreichende Pläne zur Unterwerfung und Okkupation auch vieler anderer Länder entworfen hätte – das alles geschähe allerdings nur schrittweise, „step by step“.
Am Anfang stehe jedoch immer noch die Ukraine: „Und darum ist dies nun für uns die Zeit und der Ort, um aktiv zu werden und Russland zu stoppen. Umso mehr, weil die Ukraine eines der wenigen Länder ist, das sich einer russischen Invasion auch wirklich entgegenstellen möchte.“ In Ländern wie Kasachstan, wo große Teile der Gesellschaft prorussisch gesinnt seien, sähe es anders aus.
Die Ukraine, die lange genug in Unabhängigkeit gelebt habe, um sich für diesen Konflikt zu wappnen und aus Erfahrungen jahrelangen Kriegs mit Russland Kraft schöpfen könne, sei eines der wenigen Länder, das Russland Einhalt gebieten könne – sofern man es entsprechend mit Ausrüstung unterstütze.
Noch sei Zeit dafür, weil die Waffenlieferungen einen Faktor darstellen würden, den Russland nicht restlos einschätzen könne - erst wenn die Ukraine vollständig in russischer Hand sei, hätte Russland Zeit, nach anderen Staaten zu greifen.
Zum Schluss plädiert Kordowski: „Wir haben also Zeit, und sollten sie in zweierlei Hinsicht nutzen. Erstens, um weiter aufzurüsten, was wir (Anm. d. Autors: gemeint ist Polen) im Übrigen bereits tun. Zweitens sollten wir der Ukraine so viel helfen, wie nur möglich, indem wir sie noch besser ausrüsten und die Welt noch mehr dazu anregen, Russland Sanktionen aufzuerlegen.“