Trotz der Rekordinflation im Euroraum zögert die EZB in Zeiten des Ukraine-Krieges eine Zinswende weiter hinaus. Der EZB-Rat beschloss am Donnerstag, den geldpolitischen Schlüsselsatz von 0,0 Prozent beizubehalten. Zugleich müssen Banken weiterhin Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank horten. Dieser sogenannte Einlagesatz bleibt bei minus 0,5 Prozent.
Ökonomen zur Untätigkeit der EZB
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:
"Leider hat die EZB heute trotz einer Inflationsrate von 7,5 Prozent nicht beschlossen, ihre Nettoanleihekäufe und Minus-Zinsen früher zu beenden. Dieses Abwarten ist riskant. Je länger die EZB an ihrer sehr lockeren Geldpolitik festhält, desto mehr steigen die Inflationserwartungen der Menschen und setzt sich die sehr hohe Inflation dauerhaft fest. Die EZB sollte ihren Leitzins zügig in Richtung auf ein zumindest neutrales Niveau anheben, das bei rund zweieinhalb Prozent liegen dürfte."
ALEXANDER KRÜGER, CHEFVOLKSWIRT HAUCK AUFHÄUSER LAMPE:
"Ein ultimatives Enddatum für ihre Nettokäufe nennt die EZB weiterhin nicht. Sie liebäugelt aber stark damit, ihre Nettokäufe im dritten Quartal 2022 zu beenden. Auch der zinspolitische Fahrplan bleibt unbestimmt. Die EZB hält aber daran fest, dass Leitzinsen frühestens 'einige Zeit' nach den beendeten Nettokäufen erfolgen. Wahrscheinlich sind das drei bis vier Monate. Andernfalls hätte die EZB wohl von 'kurz' gesprochen. Wie der Leitzinserhöhungspfad konkret aussehen wird, ist damit weiter offen. Nach wie vor sieht es nicht danach aus, dass die EZB zu einer ernsten Inflationsbekämpfung übergehen wird. Wegen rezessiver Tendenzen und Rücksicht auf hohe Staatsschulden steht lediglich Leitzinskosmetik bevor. Diese dürfte immerhin reichen, die Negativzinspolitik einzumotten."
FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW:
"Die EZB behauptet, dass sie in einem Dilemma stecke, weil sie gleichzeitig mit einer hohen Inflation und der kriegsbedingten Rezessionsgefahr konfrontiert sei. Man kann den Mitgliedern des EZB-Rats in dieser Situation nur empfehlen, in die europäischen Verträge zu schauen. Hier findet sich eine klare Antwort, wie die EZB in einer solchen Situation zu entscheiden hat: Die Preisstabilität ist das vorrangige Ziel, diesem sind andere Ziele untergeordnet. Das angebliche Dilemma existiert nicht, wenn die EZB ihren Auftrag ernst nimmt. Jeder Monat des Zauderns fügt der Reputation dieser wichtigen europäischen Institution daher Schaden zu.
Eine Serie von massiven Inflations-Fehlprognosen der EZB-Ökonominnen und Ökonomen nährt zudem den Verdacht, dass die Bewertung der Inflationsdynamik vom Wunsch nach einer fortdauernden Niedrigzinspolitik getrieben wird und nicht umgekehrt die Zinspolitik auf einer unverzerrten Inflationsprognose basiert."