Finanzen

Lagarde will ihre Kritiker mit "Maulkorb" auf Linie bringen

Lesezeit: 2 min
22.04.2022 11:47  Aktualisiert: 22.04.2022 11:47
Insidern zufolge dürfen EZB-interne Kritiker in der Öffentlichkeit nur die gemeinsamen Beschlüsse erklären. Die eigene Meinung hingegen müssen sie zurückhalten.
Lagarde will ihre Kritiker mit "Maulkorb" auf Linie bringen
EZB-Chefin Christine Lagarde will interne Kritik nicht mehr an die Öffentlichkeit dringen lassen. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Informelle Richtlinie zeigt offenbar Wirkung

EZB-Chefin Christine Lagarde hat Insidern zufolge versucht, Kritik aus der Führungsetage nach Zinsbeschlüssen zu unterbinden. Mit einer informellen Richtlinie seien die Währungshüter angehalten worden, an den Tagen nach dem Zinsentscheid in öffentlichen Auftritten zunächst nur die auf der jeweiligen Sitzung beschlossene Mehrheitsmeinung wiederzugeben, erfuhr Reuters von vier Personen mit direkter Kenntnis der Vorgänge. Ihre "persönliche Sicht" zu den gewöhnlich an Donnerstagen gefällten geldpolitischen Beschlüssen sollten sie bis montags zurückhalten. In den Richtlinien, über die im EZB-Rat nicht formal abgestimmt werden soll, werden die Notenbanker auch angehalten, keine Details zu internen Diskussionen an die Presse durchzustechen.

Kritiker sehen die neuen Richtlinien als eine Art Maulkorb, der verhindert, dass Währungshüter in der auch für die Medien so wichtigen Zeit nach den Zinsbeschlüssen ihre Sicht der Dinge äußern. Sie seien damit gehalten, über Tage Beschlüsse zu erläutern oder zu verteidigen, zu denen sie nicht in vollem Umfang stehen. Erst danach öffne sich für sie ein Zeitfenster für Kritik, wenn sie allerdings nicht mehr so viel Gehör finden. Diese Richtlinie sei kontraproduktiv, meint ein Insider: "Wenn man will, dass etwas durchgestochen wird, dann so." Denn falls Kritiker nicht offen sprechen könnten, würden sie sich andere Wege suchen, um Gehör zu finden.

"LEICHTER GESAGT ALS GETAN"

Die Europäische Zentralbank wollte sich nicht zu dem Bericht äußern. Die neuen Richtlinien sind offenbar nicht in Stein gemeißelt und orientieren sich eher an Erwartungen Lagardes. Dies bedeutet auch, dass Währungshüter bei Verstößen gegen den neuen Komment eigentlich nichts zu befürchten haben. Dennoch haben die ungeschriebenen neuen Regeln offenbar Wirkung entfaltet: Lagarde hatte auf der Pressekonferenz nach der jüngsten Zinssitzung gesagt, dass die milliardenschweren Anleihenkäufe der Notenbank sehr wahrscheinlich im dritten Quartal enden werden und eine Zinserhöhung einige Zeit danach folge. Danach warteten Bundesbankchef Joachim Nagel und dessen belgischer Kollege Pierre Wunsch bis zu dieser Woche, um ein schnelleres Tempo bei der geldpolitischen Normalisierung anzumahnen.

Der über die Insider nunmehr bekanntgemachte Vorstoß Lagardes überrascht auch vor dem Hintergrund, dass sich die EZB im vergangenen Jahr eine neue Kommunikationsstrategie gegeben hatte, in der keine entsprechenden Auflagen für öffentliche Äußerungen von Notenbankern enthalten waren. Einer der Insider sieht die Währungshüter in einem echte Dilemma: Es gelte, Beschlüsse geeint zu vertreten, auch wenn es abweichende Meinungen gebe: "Das Problem ist, dass dies leichter gesagt als getan ist."

ERINNERUNGEN AN DRAGHI WERDEN WACH

Währungshüter aus den wirtschaftlich zumeist stärkeren Ländern im Norden der Euro-Zone haben die ultra-lockere Linie der Notenbank in den vergangenen Jahren oft kritisiert. Mit dem absehbaren Ende der sehr laxen Geldpolitik haben sie nunmehr Oberwasser, während die oft aus dem Süden des Euroraums stammenden Verfechter der eher lockeren Linie in die Defensive gedrängt werden.

Dass Lagarde nun vor diesem Hintergrund offenbar interne Kritik an geldpolitischen Beschlüssen unter dem Deckel halten will, erinnert an die späten Amtstage ihres Vorgängers Mario Draghi: Dieser hatte 2019 Vertreter einer weniger lockeren Linie mit dem eisernen Festhalten an Negativzinsen und massiven Anleihenkäufen den Wind aus den Segeln genommen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Immobilien
Immobilien Gesundheitsimmobilien: Investmentmarkt stolpert – wie sieht die Pipeline weiter aus?
07.05.2024

Nach robustem Transaktionsvolumen in den vergangenen Jahren herrschte auf dem Investmentmarkt für Pflegeheime, Seniorenimmobilien und...

DWN
Politik
Politik Erbschaftssteuer: Droht durch Klage Bayerns ein Wettbewerb der Länder beim Steuersatz?
07.05.2024

In Karlsruhe wird es diesen Sommer mal wieder um den Dauerbrenner Erbschaftssteuer gehen. Schon zweimal hat das Verfassungsgericht von der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Menge sichergestellten Kokains im Hamburger Hafen verdreifacht
06.05.2024

Im Hamburger Hafen werden alle nur erdenklichen Waren umgeschlagen - auch Drogen. Immer mehr Kokain findet durch das Tor zur Welt seinen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Der internationale Handel und Kriege im Fokus bei Xi-Besuch in Frankreich
06.05.2024

Auf gute Stimmung machen in Europa: Chinas Staatspräsident Xi besucht seit fünf Jahren mal wieder Frankreich und lächelt, als ihn...

DWN
Politik
Politik Neues Gesicht in der CDU: Helmut Kohl-Enkel will in Bundesvorstand gewählt werden
06.05.2024

Die Kinder von Helmut Kohl haben auf eine Karriere in der Politik verzichtet. Jetzt versucht der Enkel des früheren Bundeskanzlers,...

DWN
Politik
Politik Friedrich Merz bleibt Parteichef: CDU zur sofortigen Regierungsübernahme bereit
06.05.2024

Die CDU trifft sich zum dreitägigen Bundesparteitag in Berlin. Es geht um die Verabschiedung des neuen Parteiprogramms der Union und auch...

DWN
Politik
Politik Scholz zu Besuch in Litauen: „Jeden Zentimeter ihres Territoriums verteidigen"
06.05.2024

Mit der anlaufenden Stationierung einer gefechtsbereiten Brigade an der Nato-Ostflanke geht Deutschland im Bündnis voran. Der...

DWN
Politik
Politik Über Fidschi nach Down under: Annalena Baerbock an der Frontlinie der Klimakrise
06.05.2024

Sie zählen zu den kleinsten Klimasündern, haben aber am stärksten unter den Folgen der Erderwärmung zu leiden. Baerbock ist um die...