Die ersten Warnstreiks von Hafenarbeitern seit Jahrzehnten könnten schon bald den Druck auf die ohnehin angespannten Transportketten erhöhen. "Wir rechnen damit, dass am Dienstagmittag ein Warnstreik beginnt", sagte der Sprecher des Hamburger Hafenlogistikers HHLA, Hans-Jörg Heims, am Freitag. Er verwies auf entsprechende Flugblätter, die im Unternehmen kursierten.
Angesichts der zunehmenden Containerstaus vor und in den Nordseehäfen käme der Arbeitskampf aus Sicht der HHLA zur Unzeit. Die HHLA betreibt im größten deutschen Seehafen drei Containerterminals und damit die mit Abstand wichtigste Drehscheibe für Im- und Export von Waren nach und von Deutschland.
Die Gewerkschaft Verdi streitet mit dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe über mögliche Lohnerhöhungen für 12 000 Beschäftigte in den Häfen in Hamburg, Bremen und Niedersachsen. Angesichts der Inflation und der Mehrarbeit während der Pandemie ist die Gewerkschaft mit bisherigen Angeboten nicht zufrieden. "Wir haben alles möglich gemacht, was ging", sagte ein Verdi-Sprecher. Zu möglichen Streikplänen wollte er sich nicht äußern, sagte aber: "Die Hafenarbeiter sind angesäuert."
Verdi-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth sagte, sie wolle sich an Spekulationen nicht beteiligen. Sie verwies auf ein für Mittwoch angesetztes Pressegespräch, in dem sie sich über das weitere Vorgehen der Gewerkschaft äußern will. Die nächste Verhandlungsrunde ist für den kommenden Freitag angesetzt. Die Friedenspflicht lief bereits zum 1. Juni aus.
Derzeit stauen sich vor allen Häfen an der Nordseeküste zunehmend Containerschiffe, die auf Abfertigung warten. "Es ist nicht allein ein Hamburger Problem", sagte der HHLA-Sprecher. Auch gebe es Staus in der gesamten Lieferkette. Die HHLA beispielsweise hat seit Monaten damit zu kämpfen, dass Container, die sonst binnen wenigen Stunden in die ein oder andere Richtung weitertransportiert werden, zwischengelagert werden müssen. Daher muss sich der Betreiber um immer neue Lagerflächen bemühen, auf den die Container geparkt werden können.
Generell sind die globalen Lieferketten schon mit Beginn der Pandemie vor mehr als zwei Jahren aus dem Takt geraten. Das ist nicht nur für Logistiker, sondern auch für Verbraucher und Unternehmen als Abnehmer und Lieferanten ein Thema. Neu ist aus Sicht des Kieler Wirtschaftsforschungsinstituts IfW indes, dass vor den Häfen an der Nordseeküste inzwischen rund 2 Prozent der weltweiten Containerladung festhängen.
"Für die Nordsee ist das sehr viel", sagte IfW-Ökonom Vincent Stamer. Dabei seien die deutschen Häfen mit Hamburg an der Spitze gar nicht so stark betroffen - die meisten Schiffe lägen vor Europas größtem Seehafen Rotterdam und vor Antwerpen, der Nummer 2, auf Reede. Das bestätigt auch ein Blick auf den Schiffsortungsdienst Vesselfinder.
Stamer führt das Problem in Europa vor allem darauf zurück, dass sich die riesigen Staus vor den großen US-Häfen an der Westküste inzwischen aufgelöst haben. Dort lagen bis vor einigen Monaten teils mehr als 100 Schiffe auf Reede, weil die Häfen und der Hinterlandverkehr mit dem Entladen und dem Weitertransport der Waren nicht hinterherkamen. "Das Problem verlagert sich von einer Ecke der Welt zur anderen", sagte Stamer. Auch vor chinesischen Häfen kommt es wegen Corona-Lockdowns immer wieder zu Staus.
Angesichts der angespannten Transportketten dürfte das Druckpotenzial der Gewerkschaft im Tarifkonflikt besonders groß sein. Kommt es tatsächlich zu Streikaktionen, wären es die ersten seit Ende der 70er Jahre. Verdi verlangt wegen der Teuerung von fast acht Prozent einen nicht näher bezifferten "tatsächlichen Inflationsausgleich" sowie eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro. Zusätzlich will die Gewerkschaft eine Anhebung der sogenannten A-Pauschale für Beschäftigte in Containerbetrieben von jährlich 3338 Euro um 1200 Euro. Dies begründet die Gewerkschaft mit der enormen Überstundenbelastung angesichts der hartnäckigen Störungen.
Die Arbeitgeberseite bietet bislang zwei Erhöhungsschritte in diesem und im kommenden Jahr von 3,2 und 2,8 Prozent, Einmalzahlungen von insgesamt 600 Euro sowie eine Erhöhung der A-Zulage um 200 Euro. Verhandlungsführerin Ulrike Riedel argumentiert bei dem Angebot auch damit, dass der Bund diverse Entlastungen beschlossen hat, die Arbeitnehmer angesichts der explodierenden Energiekosten entlasten sollen. Im Zusammenspiel damit bewirke das Arbeitgeberangebot eine Reallohnsicherung für die Beschäftigten.