War es ein Unfall oder ein Attentat? Das steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Die Berliner Polizei mauert. Im Gespräch mit mir wollte die Leiterin der Pressestelle, die Erste Hauptkommissarin Anja Dierschke, nur das bestätigen, was sowieso schon bekannt ist. Nämlich, dass heute Morgen um 10.26 Uhr ein Auto am Kurfürstendamm (Kudamm) von der Fahrbahn abkam, auf den Bürgersteig preschte, dort mehrere Menschen überfuhr und einen von ihnen tötete, wieder zurück auf die Fahrbahn raste und ein paar hundert Meter weiter in das Schaufenster eines Douglas-Geschäfts krachte.
Dort sei der Fahrer dann festgenommen worden, nachdem er "festgehalten und der Polizei übergeben" worden war. Er befindet sich "in Gewahrsam", so Dierschke. Nähere Angaben zu seiner Person wollte sie nicht machen, außer, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen Renault Cleo und bei dem Fahrer um einen Mann handele. Unter anderem wollte sie nichts zu seiner Nationalität sagen: "Wir halten uns da an den Presse-Kodex. Wenn die Nationalität für den Sachverhalt von Belang ist, etwa, wenn es sich um eine politisch motivierte Tat handelt, geben wir sie heraus. Bei einem Unglücksfall nicht."
Der Mann wird derzeit verhört. Nach Angaben der Bild-Zeitung handelt es sich um einen 29-jährigen in Berlin lebenden Armenier. Bei der getöteten Person soll es sich um eine Lehrerin handeln, die mit ihrer Schulklasse in der Innenstadt gewesen sei. Unter den Schwer- und Leichtverletzten soll es sich in erster Linie um Schülerinnen und Schüler handeln. Die Bild berichtet auch, der Täter habe versucht, zu flüchten, Passanten hätten ihn festgehalten und der Polizei übergeben.
An fast exakt der gleichen Stelle ereignete sich vor fünfeinhalb Jahren, im Dezember 2016, ein schrecklicher Anschlag: Der wegen Gewalttaten (unter anderem Raubes) mehrfach vorbestrafte, aus Tunesien stammende Islamist Anis Amri raste mit einem Sattelschlepper, dessen Fahrer er vorher ermordet hatte, auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz (Standort der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche) und tötete zwölf Menschen.
Die Situation stellt sich derzeit surreal dar. Neben dem Breitscheidplatz, im Herzen der Innenstadt des ehemaligen West-Berlins, in der Nähe des Bahnhof Zoos, stehen Krankenwagen mit Blaulicht, sichern mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten den Ort des Geschehens ab. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik ist vor Ort, um sie herum Leibwächtern in dunklen Anzügen. Vor dem neuen Trakt der im Krieg fast zerstörten Gedächtniskirche stehen Menschen und warten, unter ihnen viele Jugendliche. In unregelmäßigen Abständen verlässt jemand die Kirche, einer der Wartenden wird hereingeholt. "Hier finden die Zeugenaussagen statt", erklärt mir eine Polizistin, "außerdem ist hier die Notfallseelsorge untergebracht". Vorm Zugang zur Gedächtniskirche sitzen Beamte in Zivil, um ihren Hals baumelt die Polizeimarke, unter dem Sweatshirt zeichnen sich die Umrisse ihrer Pistolen ab. Sie wirken erschöpft. Insgesamt sind laut Dierschke rund 130 Beamte im Einsatz. Unter anderem von der Kripo, der Einsatzhundertschaft und den nahegelegenen Revieren.
Gleichzeitig geht das Leben auf den großen Bürgersteigen um den Breitscheidplatz herum weiter, als ob nichts passiert wäre. Touristen flanieren, Geschäftsleute eilen zu ihren Terminen - viele scheinen die Ereignisse gar nicht wahrzunehmen. Auf dem Kudamm, in den angrenzenden Straßen, sitzen die Menschen in den Cafés, gehen shoppen - das gelegentliche Auftauchen eines Einsatzfahrzeugs der Berliner Polizei, das mit Blaulicht Richtung Breitscheidplatz rast, wird kaum zur Kenntnis genommen. Business as usual.
WIR WERDEN SIE WEITER AUF DEM LAUFENDEN HALTEN!