Als Edward Snowden vor neun Jahren seine Heimat Amerika verließ, zahlte er seinen Flug nach Hongkong mit Bargeld. Hätte er Kreditkarten genutzt, wäre seine Flucht gescheitert – die Welt hätte nie von ihm und seinen Enthüllungen erfahren. Auch in seinem russischen Exil greift Snowden ausschließlich zu Scheinen und Münzen. Heute warnt der Whistleblower entschieden vor digitalen staatlichen Währungen – und zugleich vor der Abschaffung des Bargelds.
„Ich traf die Vorbereitungen eines Mannes, der damit rechnet, zu sterben“
Seinen letzten Job vor seiner Flucht hatte Snowden auf der Hawaii-Insel Oahu. Sein Arbeitgeber: Die NSA. Dort hatte er eine privilegierte Stellung inne: Schätzungsweise nur ein paar Dutzend Menschen weltweit besaßen einen derart weitreichenden, tiefen Einblick in die Strukturen der wohl technologisch fortschrittlichsten staatlichen Geheimdienst-Organisation der Welt. Doch Snowden wusste nicht nur, wie die NSA funktionierte: Er wusste auch, wie sie Informationen beschaffte – und vor allem: Welche Informationen sie bis dahin schon zusammengetragen hatte.
Über mehrere Jahre hatte Snowden das System der Überwachung durch die US-Regierung studiert, in allen seinen Facetten. So sammelte die NSA etwa die Kommunikationsdaten aller Erdenbürger, derer sie habhaft werden konnte – unabhängig ihrer Bedeutung für die nationale Sicherheit der USA.
An den Computern in der NSA-Zentrale im US-Bundesstaat Maryland brauchte man nur einen Namen einzutippen, um alles über eine Zielperson zu erfahren: jede E-Mail, jedes Telefonat, jeder Eintrag in sozialen Netzwerken, jede SMS … Es war in einigen Fällen sogar möglich, Aufzeichnungen von Internetsitzungen wiederzugeben, als wäre der Bildschirm des Opfers mit einer Kamera aufgenommen worden.
NSA-Mitarbeiter konnten auch Überwachungssysteme einrichten, um in Echtzeit über bestimmte Aktivitäten bestimmter Personen informiert zu werden. Bei solch einer Person konnte sich um einen Ingenieur in Indonesien handeln, genauso aber auch um einen Bundesrichter in Amerika, einen Minister in Europa oder einen mittelständischen Unternehmer aus Deutschland.
Das ist nur ein Beispiel für die vielen Erkenntnisse, die Snowden an die Öffentlichkeit weitergeben wollte. Um Journalisten die komplizierte Materie vermitteln zu können, musste er ein Treffen auf neutralem Boden vorbereiten. Snowden schrieb in seiner 2019 veröffentlichten Autobiografie:
„Ich traf die Vorbereitungen eines Mannes, der damit rechnet, zu sterben. Ich räumte meine Bankkonten ab, steckte Bargeld in eine alte stählerne Munitionskiste, damit [meine Lebensgefährtin] Lindsay es finden und die Regierung es nicht beschlagnahmen konnte.“ (Siehe: „Permanent Record“ [ISBN 9783103974829], Frankfurt 2019, Seite 357).
Auf die Weitergabe eines einzigen geheimen Dokuments – und Edward Snowden wollte tausende weitergeben – drohen in den USA bis zu zehn Jahre Gefängnis. Und daneben konnte – und kann weiterhin – für Landesverrat die Todesstrafe verhängt werden.
Mit Bargeld gelang die Flucht
Bevor Snowden sich auf den Weg machte, meldete er der NSA einen medizinischen Notfall. Er gab an, einen epileptischen Anfall erlitten zu haben. Seiner Freundin Lindsay Mills dagegen hinterließ er sein Smartphone und einen Zettel:
„Muss beruflich weg. Ich liebe Dich.“
Mit vier Laptops, einer Spezialantenne und einem Zauberwürfel im Gepäck verließ er das Haus: „Dann fuhr ich zum Flughafen und kaufte ein Ticket für den nächsten Flug nach Tokio, das ich bar bezahlte. In Tokio kaufte ich ein weiteres Ticket, das ich ebenfalls bar bezahlte, und traf am 20. Mai [2013] in Hongkong ein, der Stadt, in der die Welt mir zum ersten Mal begegnen würde.“ (Permanent Record: Seite 361)
Hätte Snowden mit Kreditkarte bezahlen müssen oder gar mit dem Smartphone, wäre er spätestens in Tokio gestellt worden. Und, nach Sichtung seines verdächtigen Gepäcks, verhaftet worden. Hier zeigen sich bereits die Gefahren der Entwicklung hin in eine bargeldlose Welt. Es braucht überhaupt kein staatlich verordnetes Bargeldverbot; es reicht bereits, wenn private Unternehmen wie zum Beispiel Fluggesellschaften beginnen, Bargeld als Zahlungsmittel auszuschließen.
In Sicherheit bei Flüchtlingen in Hongkong
Bald, nachdem die britische Zeitung The Guardian am 5. Juni 2013 den ersten Bericht des investigativen US-Journalisten Glenn Greenwald über Snowden veröffentlicht hatte, wurde dessen Aufenthaltsort in Hongkong bekannt. Unzählige Pressevertreter versammelten sich vor seinem Hotel. Dem Menschenrechts-Anwalt Robert Tibbo gelang es, Snowden durch einen Nebenausgang hinauszuschleusen, um ihn – welche Ironie – in der Wohnung von sri-lankischen Flüchtlingen zu verstecken. Auch hier triumphierte Bargeld:
„Mein Angebot, sie für ihre zusätzlichen Ausgaben zu entschädigen, wiesen sie so vehement zurück, dass ich das Geld heimlich in ihrem Zimmer deponieren musste. […]. Ich kann nicht in Worte fassen, was es mir bedeutete, so viel von Menschen zu bekommen, die selbst so wenig hatten […].“ (Seite 375)
In den Fängen des FBI
Den Grund für Snowdens Fortbleiben erfuhr seine Lebensgefährtin erst, als sein Gesicht auf jedem Fernsehkanal erschien. Sie hatte sich daheim, wo Beamte ihre Wohnung auf den Kopf stellten, nicht mehr wohlgefühlt und war zu einer Freundin gezogen. Deren Mutter Eileen war in der Kommunalpolitik aktiv und beriet Lindsay, wie sie sich nun zu verhalten habe:
„Wir fuhren zur nächsten Filiale, und auf Eileens Geheiß hob ich mein ganzes Geld ab, für den Fall, dass das FBI meine Konten sperren würde. […]. Der Filialleiter wollte wissen, wofür ich so viel Bargeld brauchte, und ich sagte: ,Zum Leben.‘“
Die NSA weiß, was Sie im Laden einkaufen
Wer mit Karte oder Handy einkauft, der gibt seinen Aufenthaltsort preis, Informationen über seinen Lebensrhythmus (ersichtlich aus dem Zeitstempel, wann Zahlungen gebucht wurden), über seine Vorlieben (in welchen Geschäften man eingekauft hat), ob man sparsam ist oder verschwenderisch (Höhe der Zahlungen). Jeder, über den solche Metadaten angelegt werden, wird zum gläsernen Menschen.
Es geht aber noch weiter. Wenn der Kassenbeleg für die erworbenen Waren nicht von Hand geschrieben oder von einem isolierten Kassensystem gedruckt wird, kann nachvollzogen werden, was Sie gekauft haben. Bei großen Handelsketten werden die verkauften Produkte in Echtzeit an die Zentrale gemeldet, damit rechtzeitig Nachbestellungen vorgenommen werden können. Was man über Sie herausfinden kann, wenn sich die NSA hier einhackt, beschreibt Snowden in seiner Biografie:
„[…] wäre es für die Regierung eine Kleinigkeit, herauszufinden, dass Du dieses Buch liest. Zumindest wäre es nicht schwierig, herauszubekommen, dass Du es besitzt, […] als gebundene Ausgabe online erworben oder in einer Buchhandlung mit Kreditkarte gekauft hast.“ (Seite 407)
Wenn Sie sich näher mit der Flucht von Edward Snowden befassen wollen, sollten Sie seine Autobiografie „Permanent Record“ lesen – die Lektüre lohnt sich. Sie bekommen das Buch für Bargeld in jeder Buchhandlung.
Wie bezahlt Edward Snowden heute in Russland?
Auf Seite 243 seiner Biografie schreibt Snowden, dass er und seine Freundin bereits in Amerika alles bar bezahlt hatten. Und wie handhabt er es in seinem russischen Exil? Gegenüber dem staatlichen Fernsehsender France24 sagte er:
„Ich benutze nie Kreditkarten. […]. Und natürlich wissen wir, dass es all diese Stellen gibt, die diese Datenbanken nach Details über unser Privatleben durchforsten, und es sieht so aus, als wäre das kein guter Deal, stattdessen bezahle ich die Dinge bar.“ (Siehe das Interview im Video)
Der weltweite Siegeszug der Digitalwährung
Die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission arbeiten aktuell am Konzept der Digitalwährung. Die Notenbanken von nicht weniger als 87 Ländern tun das Gleiche.
Einige kleine Karibikinseln haben bereits eine elektronische Währung parallel zu Bargeld eingeführt. Weiterhin auch Nigeria, der bevölkerungsreichste Staat Afrikas. Dort muss jeder Händler Zahlungen in der neuen Währung E-Naira akzeptieren. Wer ein Smartphone und eine Handynummer hat, kann eine elektronische Geldbörse auf sein Telefon herunterladen und damit bezahlen.
Wem seine Privatsphäre wichtig ist, der muss allerdings Abstriche machen. Denn der Weg zur SIM-Karte führt durch das NIN-Registrierungszentrum. Die NIN ist eine nationale Identifikationsnummer. Ohne die geht es nicht. Im Antragsverfahren sind eine Menge Daten preiszugeben. Abdrücke von allen zehn Fingern werden verlangt. Wer die Prozedur dann endlich überstanden hat, kann die E-Naira innerhalb der bestehenden Schranken nutzen: Es gilt das tägliche Transaktionslimit von 50.000 NGN (etwa 110 EUR). Ohne dem Staat über die NIN-Registrierung hinaus noch weitere Zugeständnisse zu machen, darf ein Bürger 300.000 NGN (circa 675 EUR) in seinem elektronischen Geldbeutel verwahren.
Apropos, Nigeria war auch das Land, das 2014 einen, nennen wir ihn modernen, Personalausweis herausgebracht hat. Das erste staatliche Ausweisdokument, auf dem das Symbol von Mastercard blinkte! Kreditkarte inklusive!
Snowdens Warnung vor der digitalen Währung
Nehmen wir wieder eine globale Perspektive ein. Edward Snowden sieht in der derzeitigen Entwicklung des Bezahlsystems eine große Gefahr. Er vermutet die Absicht, Bargeld zu verdrängen, um es schließlich zu ersetzen und es damit zu ermöglichen, noch den geringfügigsten Bezahlvorgang zu registrieren. Snowden warnt uns:
„Eine digitale Zentralbankwährung ist keine Übernahme des Konzepts der Kryptowährung auf staatlicher Ebene – zumindest nicht der Kryptowährung, wie sie so ziemlich jeder auf der Welt, der sie verwendet, derzeit versteht.
Stattdessen ist eine digitale Zentralbankwährung eher eine Perversion der Kryptowährung […] – eine krypto-faschistische Währung, […] die […] ausdrücklich dazu bestimmt ist, ihren Nutzern das grundlegende Eigentum an ihrem Geld zu verweigern und den Staat als Vermittler jeder Transaktion einzusetzen.“
Der Staat als Vermittler JEDER Transaktion. Der damalige Chef der Deutschen Bank, der Brite John Cryan, bestätigte dieses Ziel, als er sich 2016 auf dem Weltwirtschaftsforum wie folgt äußerte:
„Aber wir machen uns Sorgen um Bargeld, denn ich denke, das sollte entmaterialisiert werden. […]. Und ich denke, die Regierungen wären daran interessiert. […]. Es wäre besser, wenn alles nachvollziehbar wäre.“ (Sieh Video)
In der Gesprächsrunde, in der Cryan dies sagte, saß auch die heutige EZB-Präsidentin Christine Lagarde, damals noch Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie stimmte Cryans Prognose zu, dass es Bargeld in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben werde (das heißt, im Jahre 2026). Der IWF ist ein eifriger Förderer der Abkehr vom Bargeld. Und auch darüber hinaus auch ein Kämpfer für das E-Naira-Projekt (viele Staaten sind beim Internationalen Währungsfonds verschuldet, Nigeria mit unglaublichen sechs Milliarden US-Dollar – man bedenke die niedrigen Staatseinnahmen).
Auch auf dem Fintech Festival in Singapur im Jahr 2018 befürwortete Lagarde die Einführung digitaler Währungen. Die Eigenschaft von Bargeld, unter der vollen Kontrolle seiner Nutzer zu stehen und ihre Anonymität zu schützen, betrachtet Lagarde sehr kritisch. Sie brachte das damals folgendermaßen zum Ausdruck:
„Würden die Zentralbanken zu Hilfe eilen und eine völlig anonyme digitale Währung anbieten? Sicherlich nicht. Dies wäre ein Glücksfall für Kriminelle. […].“
Edward Snowden hätte also das Nachsehen. Kein Entkommen für Whistleblower. Niemand würde in der schönen neuen Welt von Christine Lagarde über die Verbrechen der Regierung oder vergleichbarer Instanzen erfahren. Und damit werden die Hürden, einen Staat zu Rechenschaft zu ziehen, noch größer. Möge es nie ein Bargeldverbot geben. Möge die Möglichkeit erhalten bleiben, allerorten bar zu bezahlen!