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Fahrrad-Industrie boomt – trotz Wirtschaftskrise

Lesezeit: 4 min
11.09.2022 09:04
Trotz globaler Wirtschaftsflaute läuft das Geschäft bei Fahrrad-Herstellen und Vertriebsplattformen hervorragend. Unter den Profiteuren sind viele Firmen aus Deutschland. In der Branche gibt es aber auch Probleme.
Fahrrad-Industrie boomt – trotz Wirtschaftskrise
Das Geschäft mit E-Bikes boomt - trotz trüber Wirtschaftslage. (Foto: dpa)
Foto: Arne Dedert

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Trotz globaler Wirtschaftsflaute boomt die Fahrrad-Industrie. Der Sektor zählte mit einer Wachstumsrate von 41,3 Prozent im Jahr 2020 zu den klaren Gewinnern der Coronakrise. In Deutschland stieg der Branchenumsatz 2021 auf 10 Milliarden Euro – mehr als doppelt so hoch wie noch vier Jahre zuvor. Global wurden 2021 54 Milliarden Dollar umgesetzt und für die nächsten zehn Jahre wird die durchschnittliche Wachstumsrate des Marktes auf knapp 10 Prozent geschätzt.

(E-)Bikes sind das nachhaltige Fortbewegungsmittel der Zukunft

Warum Fahrradfahren immer beliebter wird, ist leicht zu erklären. Hohe Spritpreise machen Fahrräder gegenüber Autos sehr attraktiv. Für einen Teil der Bevölkerung ist es aktuell wohl die einzige Möglichkeit, um längere Distanzen zurückzulegen, ohne auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen zu müssen. Das macht das Geschäft ziemlich resistent gegenüber einer schwachen Konjunktur. Die Fahrrad-Branche profitiert auch davon, dass die Menschen Corona-bedingt weniger Bus und Bahn fahren wollen. Das Geschäft mit Pendlern läuft besonders gut.

Speziell E-Bikes gelten als das Fortbewegungsmittel der Zukunft, weil sich immer mehr Menschen nachhaltig und gesund fortbewegen wollen – sowohl Politik als auch Bürger empfinden Elektroräder als besonders nachhaltige und umweltfreundliche Mobilitäts-Option. Die Generation Z möchte minimalistischer leben und das Fahrrad (anstelle eines Autos) spielt hier eine wichtige Rolle. E-Bikes kommt auch zugute, dass sie deutlich weniger Kraftanstrengung als herkömmliche Fahrräder erfordern. Wer einmal mit Elektrorad unterwegs gewesen ist, der wird sich fragen, wozu man ein normales Fahrrad überhaupt noch braucht – weil man E-Bikes bei fehlender Aufladung genauso als herkömmliches Rad nutzen kann.

Etwa 40 Prozent aller Neu-Räder in Deutschland sind inzwischen mit einem Elektroantrieb ausgestattet. Mittelfristig rechnet der Zweirad-Industrieverband (ZIV) damit, dass mehr als jedes zweite neu verkaufte Fahrrad ein E-Bike sein wird. Wegen der relativ hohen (meist vierstelligen) Verkaufspreise repräsentieren E-Bikes hierzulande rund 70 Prozent des gesamten Marktvolumens.

Deutsche Firmen bei Investoren beliebt

Investoren setzen darauf, dass der weltweite Fahrradboom weiter anhält. Da gibt es zum Beispiel den deutschen Fahrradhersteller Canyon, der jüngst in einer Finanzierungsrunde 30 Millionen Euro eingesammelt hat. Dadurch wird das Unternehmen nun mit rund 750 Millionen Euro bewertet. Bei der aktuell deprimierenden Stimmungslage an den Aktienmärkten und der insgesamt stark angeschlagenen Bewertung von Startups sind solche Summen durchaus beachtlich.

Im vergangenen Jahr verkauften die Canyon-Gesellschafter einen 52-prozentigen Anteil an die Investmentgruppe GBL für 350 Millionen Euro. Nun hat das Unternehmen im Rahmen einer Kapitalerhöhung weitere Anteile in von 4 % an LRMR Ventures - das gemeinsame Family Office von US-Baskettballspieler LeBron James und Wirtschaftsboss Maverick Carter - sowie an die Private-Equity Gesellschaft SC Holdings verkauft, wie die Financial Times zu berichten weiß.

Laut Financial Times will das Unternehmen die neuen Finanzmittel hauptsächlich für die Expansion in den USA verwenden - einem Markt, auf dem Canyon seinen Umsatz in den kommenden vier Jahren verdoppeln will.

Canyon verkauft über seine Website Premium-Rennräder, Mountainbikes und Gravelbikes für bis zu 8.000 Euro direkt an den Endverbraucher. Canyon entwirft seine Fahrräder selbst, wobei die Rahmen und andere Komponenten hauptsächlich in Asien hergestellt werden. In den letzten sechs Jahren verzeichnete das Unternehmen ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 21 Prozent.

Eine weiteres deutsches Startup bewegt sich in niedrigeren Dimensionen. Rebike ist eine der zahlreichen neuen Internetplattformen, auf der hochwertige gebrauchte E-Bikes verkauft und verliehen werden. 2021 wurden auf der Plattform knapp zwei Millionen Elektroräder verkauft, rund 40 Prozent mehr als im Jahr davor. Seit einem Jahr gibt es zudem die Option eines dauerhaften Abonnements – die Firma möchte sich in Zukunft zunehmend auf diese Abo-Einnahmen fokussieren.

E-Bikes waren wohl noch nie so populär wie zurzeit und davon profitieren Firmen wie Rebike. Der Umsatz soll sich dieses Jahr auf 20 Millionen Euro verdoppeln. Zusätzlich konnte die junge Firma aus München gerade erst frisches Kapital in Höhe von 24 Millionen Euro einsammeln. Rebike expandiert innerhalb Europas – in Frankreich ist man bereits aktiv, als nächstes will man die Niederlande erobern. Mit dem frischen Geld soll außerdem die Radflotte aufgestockt und das Geschäft in den Großstädten ausgebaut werden.

Lieferengpässe bremsen den Fahrrad-Boom

Die Branche boomt also. Einzig die Lieferketten machen Probleme und bremsen das Geschäft ein wenig. Rebike hingt der Kunden-Nachfrage hinterher, weil die Radhersteller nicht genug liefern. „Wir könnten viel mehr verkaufen“, sagte Co-Gründer Sven Erger gegenüber dem Handelsblatt. Vor allem E-Mountainbikes seien chronisch knapp.

Die gesamte Fahrrad-Industrie leidet unter Lieferengpässen. Im ersten Halbjahr wurden in Deutschland etwas weniger Fahrräder montiert als im Vorjahreszeitraum. Der Industrieverband ZIV berichtete jüngst von einem Rückgang um 3 Prozent bei herkömmlichen Fahrrädern und um 1 Prozent bei E-Bikes.

Lieferschwierigkeiten gebe es aktuell insbesondere bei den elektronischen Bauteilen für E-Bikes (Batterien, Chips, Displays). Im vergangenen Jahr seien vor allem mechanische Teile (Schaltungen, Bremsen, Federungselemente) nicht ausreichend verfügbar gewesen. Viele Hersteller versuchen, die Rahmen-Produktion aus China in andere Länder zu verlegen, etwa nach Taiwan, Vietnam oder Kambodscha. Eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa scheitere bislang häufig am Mangel an Arbeitskräften, so ZIV-Präsident Burkhardt Stork.

Bei Elektrofahrrädern ist auch ein Mangel an Ladekapazität in Form von öffentlichen Ladestationen ein potentielles Problem - wenn der noch junge Trend auf die breite Masse überschwappen sollte. Zudem könnte das Segment der gehobenen E-Bikes wegen relativ hoher Preise ein wenig ins Straucheln geraten. Die günstigsten gebrauchten Elektroräder im Onlineshop von Rebike kosten derzeit circa 1400 Euro. In Zeiten sinkender Realeinkommen wegen hohen Inflationsraten und mauer Wirtschaftslage dürfte sich ein Teil der Zielgruppe schlicht kein hochwertiges Elektrorad mehr leisten wollen, auch nicht im Abo. ZIV zufolge bemerkt die Branche bereits jetzt einen Rückgang der Nachfrage, insbesondere bei Neuware und hier interessanterweise mehr bei den einfachen Rädern als bei den teuersten E-Bikes. Vereinzelte Branchen-Insider sprechen von einem temporären Überangebot (nachdem in den vergangenen Jahren eine konstante Übernachfrage geherrscht habe) und stellen sich auf ein etwas geringeres Wachstum ein.

Entscheidend ist jetzt vor allem, wie lange die hohen Preissteigerungsraten anhalten werden und wieviele wirtschaftlich besser betuchte Bürger noch Gefallen an Elektrorädern finden. Für die Fahrrad-Industrie insgesamt gelten dagegen kaum finanzielle Einschränkungen. Mobilität auf zwei Rädern ist ein langfristiger (auch politisch gewollter) Zukunftsmarkt, der als effizientes Fortbewegungsmittel und Sportgerät nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen kann. Es bleibt also spannend zu beobachten, wie das Wachstum der Branche weitergeht und welche großen Konzernen noch in den boomenden Markt einsteigen werden.

 

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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