Angesichts der jüngsten Gewaltausbrüche zwischen mehreren ehemaligen Sowjetrepubliken haben die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi und Russlands Präsident Wladimir Putin den Einfluss beider Großmächte in diesen Regionen geltend gemacht. Pelosi, die dem US-Repräsentantenhaus vorsitzt, wies am Sonntag bei einem Besuch des russischen Bündnispartners Armenien dessen Nachbarland Aserbaidschan die Verantwortung für die Gefechte in der Grenzregion in den vergangenen Tagen zu. Putin forderte nach Angaben des Kreml die Präsidenten von Kirgisistan und Tadschikistan telefonisch dazu auf, ihren Grenzkonflikt friedlich beizulegen. Putin und Pelosi erklärten die Bereitschaft ihrer Länder zu weiterem Engagement in den Konfliktregionen.
Pelosi, die der Demokratischen Partei von US-Präsident Joe Biden angehört, sprach in der armenischen Hauptstadt Jerewan von "illegalen und tödlichen Angriffen durch Aserbaidschan auf armenisches Gebiet". Die USA verurteilten dies. "Dies wurde von den Aserbaidschanern begonnen und das muss anerkannt werden", sagte sie. Die USA seien bereit, Armenien im weltweiten Ringen von Demokratien und Autokratien zu unterstützen. Pelosi ist nach Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris die dritthöchste Repräsentantin der USA. Ihre Parteinahme ging über die bisher von Außenminister Antony Blinken geäußerte Besorgnis über den Konflikt hinaus und löste eine scharfe Reaktion Aserbaidschans aus. "Die unbegründeten und unfairen Anschuldigungen sind inakzeptabel", erklärte das Außenministerium in Baku.
In Russlands Hinterhof
Die Region gilt traditionell als Einflussgebiet Russlands, das in dem Konflikt in der Vergangenheit vermittelt hatte und mit den Armeniern in einem Militärbündnis verbunden ist. Zuletzt war in Armenien jedoch Enttäuschung über die Rolle Russlands laut geworden. "Wir sind natürlich sehr unzufrieden. Unsere Erwartungen waren nicht gerechtfertigt", hatte Parlamentspräsident Alen Simonjan gesagt. Die von Russland angeführte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) erweise sich als zahnloser Tiger. Aserbaidschan hatte sich vor rund 20 Jahren aus dem Bündnis verabschiedet und steht dem Nato-Mitglied Türkei nahe.
Bei Gefechten zwischen armenischen und aserbaidschanischen Kräften waren zuletzt mehr als 200 Menschen getötet worden. Hintergrund ist der jahrzehntealte Konflikt um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach. Völkerrechtlich gehört das Gebiet zu Aserbaidschan, von dem es sich aber 1991 losgesagt hatte. Der Konflikt war 2020 zu einem Krieg eskaliert, der nach sechs Wochen mit einer von Russland vermittelten Waffenruhe beendet wurde. Das Kaukasusgebiet ist ein wichtiger Korridor für Öl- und Gaspipelines vom Kaspischen Meer nach Europa.
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Putin vermittelt in Zentralasien
Putin telefonierte nach russischen Angaben mit den Präsidenten Kirgisistans und Tadschikistans, Sadyr Dschaparow und Emomali Rachmon. Er habe beide aufgefordert, den zuletzt eskalierten Konflikt "ausschließlich mit friedlichen, politischen und diplomatischen Mitteln" zu lösen, teilte der Kreml mit. Putin habe bekräftigt, dass Russland bereit sei, zur Stabilität in der Region beizutragen. Kirgisistan und Tadschikistan sind ebenfalls OVKS-Mitglieder. Russland ist im seit Februar geführten Angriffskrieg gegen die Ukraine stärker gebunden als anfangs vielfach erwartet. Als ein Grund gelten die Waffenlieferungen der USA und ihrer westlichen Partner an die Ukraine sowie die Koordination der ukrainischen Armee durch Amerikaner und Briten.
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Bei den Gefechten zwischen kirgisischen und tadschikischen Kräften starben vorige Woche den Konfliktparteien zufolge insgesamt 81 Menschen. Eine am Freitag vereinbarte Waffenruhe soll nach Angaben beider Seiten wiederholt gebrochen worden sein. Am Sonntag sprach Kirgisistan in einer vorläufigen Wochenbilanz von insgesamt 46 Toten sowie 137.000 Menschen, die aus der Grenzregion in Sicherheit gebracht worden seien. Tadschikistan erklärte, auf seiner Seite seien 35 Menschen getötet worden. In dem Grenzgebiet kam es in der Vergangenheit wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.