Weltwirtschaft

Schweiz: Gas-Solidaritätsdeal mit Deutschland vor dem Aus

Lesezeit: 4 min
06.10.2022 09:32  Aktualisiert: 06.10.2022 09:32
Der Schweizer Plan, Deutschland mit einem Abkommen zur Solidarität bei einem eventuellen Gas-Notstand zu verpflichten, rückt in weite Ferne. Berlin ist an einem bilateralen Abkommen nicht interessiert.
Schweiz: Gas-Solidaritätsdeal mit Deutschland vor dem Aus
Die Idee eines Solidaritätsabkommens mit Deutschland steht vor dem Aus. (Foto: iStock.com/BrilliantEye)
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Die Idee der Schweiz sich durch ein Solidaritätsabkommen mit Deutschland für den Fall eines Gas-Notstandes im Winter abzusichern, scheint nicht umsetzbar zu sein. Im März stellte die Schweizer Umwelt- und Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) den Plan vor. Das Abkommen hätte vorgesehen, dass sich beide Länder bei einem Versorgungsengpass mit Gas unterstützen. Der Deal ist nun nach Angaben der Schweizer Tageszeitung Tagesanzeiger geplatzt. Im Mai hatte es noch positiv ausgesehen und Sommaruga kündigte gemeinsam mit Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein Aushandeln des Abkommens an.

Deutschland favorisiert trilaterales Abkommen

Obwohl man in der Schweizer Politik laut Tagesanzeiger im September noch optimistisch war, ruderte Sommaruga in einem Interview am 2. Oktober gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung zurück: „Wir sind im Gespräch, aber ob das Abkommen am Ende zustande kommt, ist unsicher.“ In der Schweiz wurden in das Abkommen hohe Erwartungen und große Hoffnungen gesetzt, die nun einen deutlichen Dämpfer erhalten haben. Laut Angaben des Tagesanzeiger liegt das Hauptproblem nicht in der Europapolitik und auch nicht in der möglichen Entschädigungsfrage, sondern am Format des Abkommens.

Deutschland hat anstatt eines bilateralen Abkommens mit der Schweiz jedoch mehr Interesse an einem trilateralen Abkommen mit der Schweiz und Italien. Ein Abkommen mit Italien wird auch von der Schweiz angestrebt, allerdings kein trilaterales Abkommen, sondern ein separates bilaterales Abkommen.

Die Schweiz ist laut dem Tagesanzeiger für Deutschland kein attraktiver Partner für ein bilaterales Abkommen. Sie hat keine Gasvorräte und wenn könnte nur Berlin Bern in einem Gas-Notfall unterstützen und nicht umgekehrt. Die Überzeugung von Schweizer Politiker, dass die Schweiz allein als Transitland nach Italien attraktiv sei, scheint im Bundeswirtschaftsministerium auch nicht zu überzeugen. Weiterhin hat Habeck dem Tagesanzeiger zufolge gemerkt, dass die Schweiz kein sicherer Vertragspartner sei.

Deutschland setzt auf ein trilaterales Abkommen, um von Italien profitieren zu können. Italien hat seit dem Beginn des Ukraine-Krieges neue Quellen erschlossen und im April eine Absichtserklärung mit dem Kongo über Flüssiggaslieferungen getroffen. Auch aus Russland erhält Italien nach einem Stopp am Wochenende wieder Gas. Der russische Konzern Gazprom gab am Mittwoch bekannt, dass wieder Gas über Österreich nach Italien geliefert werde.

Italien will kein Solidaritätsabkommen mit Deutschland

Italien selbst ist laut dem Tagesanzeiger wenig davon begeistert mit Deutschland den Gasvorrat zu teilen. Die Politiker haben die Finanzkrise und das Verhalten am Anfang der Covid-19-Pandemie im Hinterkopf und die Idee einer Deckelung der Gas- und Strompreise kommt in Italien nicht gut an und wird als unsolidarisch angesehen. Mit der Wahlsiegerin der Parlamentswahlen vom 25. September, Georgia Meloni, dürfte es für Deutschland noch schwieriger werden eine Einigung mit Italien zu finden. Meloni machte im Wahlkampf nicht unbedingt als Deutschland-Freundin auf sich aufmerksam

Auch Solidaritätsdeals mit anderen Ländern scheinen für Deutschland kompliziert zu werden, wie der Tagesanzeiger berichtet. Die Gespräche mit Tschechien über ein vergleichbares Abkommen sind nicht fortgeschritten und die Niederlande, Polen und Belgien haben deutschen Solidaritätswünschen direkt einen Riegel vorgeschoben.

Die Problematik beim Thema Strom dürfte bei Gas-Solidaritätsdeals nicht hilfreich sein. So drohte ein leitender Angestellter des größten Stromnetzbetreibers Amprion damit die Stromexporte in die europäischen Nachbarländer zu drosseln. Dies dürfte die Kritik am deutschen Management der Energiekrise weiter befeuern und ist Wasser auf die Mühlen betreffend der Vorwürfe aus Italien, Deutschland verhalte sich nicht solidarisch gegenüber dem Rest Europas.

Gleichzeitig machen Deutsche Politiker wie der Vorsitzende der Deutsch-Schweizerischen Parlamentariergruppe im Bundestag Felix Schreiner (CDU), Druck auf die Bundesregierung bezüglich des Solidaritätsabkommens mit der Schweizer. Der Politiker fordert auf Anfrage des Tagesanzeiger, dass Deutschland bezüglich eines Deals mit der Schweiz tätig wird.

Ob es zu einem Abkommen kommt oder nicht, ist stark von einer Einigung Deutschlands mit Italien abhängig. Einigen sich beide Länder im Grundsatz nicht auf einen Deal, dann ist ein Solidaritätsabkommen sehr unwahrscheinlich. Aus Sorge vor einem Präzedenzfall hat die Regierung in Bern der Bundesregierung statt dem Europäischen Gerichtshof ein bilaterales Schiedsgericht vorgeschlagen, wie der Tagesanzeiger berichtet.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland auf so einen Vorschlag eingeht, ist gering, dies merkt man auch an den Worten von Robert Habeck im Juli zum Brüsseler Korrespondenten von CH Media. Habeck warnte die Schweiz dabei vor „Rosinenpickerei“.

Schweiz und Deutschland energiepolitisch unter Druck

Die Problematik mit dem Solidaritätsabkommen kommt zu einer Unzeit für die Schweiz. Man steht was die Vorbereitung auf einen Gas-Notstand angeht unter Druck. Neben Deutschland hat nämlich auch Italien einen großen Fokus auf einen Notfallplan für den Fall einer Gasknappheit. Wie brenzlig diese Situation werden könnte, zeigt der Gas-Streit zwischen Italien und der Schweiz im August dieses Jahr.

Der Tagesanzeiger berichtete Mitte August von einer Konfrontation zwischen Rom und Bern. Dabei ging es um ein italienisches Gesetz, welches im Falle einer Notlage in Kraft treten würde und Gasexporte faktisch nahezu unmöglich macht. Dies hätte zur Folge, dass die Gasdurchleitungen in die Schweiz nicht erlaubt wären. Marco Saalfrank, Leiter des internationalen Handelsgeschäfts des Energiekonzerns Axpo erklärte gegenüber der Zeitung, dass Gasverträge mit Italien einen Krisenvorbehalt hätten.

Umwelt und Energieministerin Sommaruga hatte deshalb im August den Druck auf Rom erhöht und im Falle des Eintretens eines solchen Gesetzes mit einem sogenannten Konzessionsfall gedroht. Damit nahm die Politikerin Bezug auf eine Klausel im Konzessionsvertrag für die Gasdurchleitungslinie. Diese Klausel erlaubt es der Schweiz das Gas der Transitlinie im Notfall für sich zu nutzen.

Zwei Quellen des Tagesanzeigers bestätigten, dass dieser Hinweis von Sommaruga zu scharfen Reaktionen aus Rom geführt haben soll. Sommarugas Sprecherin Annetta Bundi widersprach gegenüber dem Tagesanzeiger, dass es zu einer Konfrontation gekommen sei: „Die meisten Länder sind dabei, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, zu diversifizieren und zusätzliches Gas zu beschaffen. Selbstverständlich zieht in dieser Situation jedes Land verschiedenste Szenarien in Erwägung, auch Extremszenarien.“

Sowohl die Schweiz als auch Deutschland sind energiepolitisch gesehen in Europa in einer verzwickten Lage. Man möchte jeweils gerne ein Solidaritätsabkommen im Falle eines Gas-Notfalls realisieren, hat dabei aber unterschiedliche Interessen. Gemeinsam ist, dass sowohl Deutschland als auch der Schweiz die Partner für ein Solidaritätsabkommen weglaufen oder Aufgrund von Gesetzen (siehe Beispiel Italien) keine Verlässlichkeit bieten. So sind beide Länder in gewisser Hinsicht auf sich alleine gestellt.

Die Schweiz hat einen Vorteil gegenüber Deutschland. Sie kennt sich mit dieser Situation über Jahre gesehen gut aus, für Deutschland ist das Gefühl eher Neuland. Angesichts der Drucksituation für beide Länder wird es spannend, wie sich die Thematik in den nächsten Wochen entwickelt und vor allem wie sich die Regierung in Rom positioniert, die laut dem Wunsch Georgia Melonis bis zum 20. Oktober stehen soll.



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