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Europa in den Schlingen von Amerikas China-Politik

Lesezeit: 7 min
03.12.2022 09:10
Amerikas übergeordnete Strategie orientiert sich an China und dem pazifischen Raum, dort spielt künftig die Musik. Europa verliert in Washington zunehmend an Gewicht - und lanciert einige Rückzugsgefechte.
Europa in den Schlingen von Amerikas China-Politik
Frankreichs Präsident Emanuel Macron beim Staatsbesuch in den USA mit Präsident Joe Biden. (Foto: dpa)

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Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron beklagte sich in den vergangenen Tagen bei den Spitzen der USA über das neue Wirtschaftsprogramm, mit dem Präsident Joe Biden Amerikas Industrie großzügig fördert. Zwei große Pakete passierten das Parlament und jetzt fließen Milliarden vor allem in moderne Technologien.

In der EU befürchtet man, dass sich US-Firmen aus Europa zurückziehen und europäische Unternehmen sich verstärkt in Amerika engagieren werden, dass europäische Exporteure Probleme bekommen. Mit diesen Sorgen kam Macron nach Washington und meinte, dass man doch auf diese Art mit einem Freund nicht umgehen dürfe.

Macron wurde von Biden besonders herzlich empfangen. Das war es aber auch schon. Der Botschafter aus Europa merkte nicht, dass er sich im falschen Theaterstück befand. Der Eifer der USA, alles zu unternehmen, um die Position als führende Weltwirtschaftsmacht zu behalten, hat nichts oder wenig mit Europa zu tun. Es geht um China. Es geht um die Rückkehr der amerikanischen Produzenten aus China in die USA. Es geht um die Attraktivität des Standorts USA. Dass Nebeneffekte Europa treffen könnten, regt in Washington niemanden auf, zumal man nicht versteht, dass die EU kein vergleichbares Programm auf die Beine stellt, um Europas Industrie zu stützen, nicht zuletzt ebenfalls gegen China.

1,6 Billionen für Amerikas Wirtschaft

Gleich nach seinem Amtsantritt im Jänner 2021 konnte Joe Biden nach Überwindung einiger Schwierigkeiten ein Infrastruktur-Programm über 1.200 Milliarden Dollar in Gang bringen, das in erster Linie der mittelständischen Wirtschaft zugutekommt. Vor kurzem wurden 52,7 Milliarden für die Chip-Industrie beschlossen, worauf prompt eine Reihe von Unternehmen den Bau oder die Erweiterung von Fabriken angekündigt haben. Den Vorreiter machte bereits 2021 Intel mit dem Start von zwei Chip-Fabriken in den USA. Das Investitionsvolumen von 20 Milliarden Dollar gehört zu den größten Industrieprojekten der USA und wurde lange vor dem aktuellen Förderprogramm gestartet.

369 Milliarden Förderungen bringt die Regierung Biden zudem für den Klimaschutz und die Sicherung der Energieversorgung auf. Zusätzlich zu den Förderungen gibt es steuerliche Investitionsbegünstigungen für Unternehmen, die moderne Technologien forcieren. Private Käufer von Elektro-Autos können bis zu 7.500 Dollar von der Steuer absetzen, allerdings nur, wenn die Fahrzeuge in den USA, in Kanada oder in Mexiko produziert werden. Europäische, japanische, chinesische Autos sind ausgeschlossen. Das europäische Wirtschaftsprogramm im Ausmaß von 750 Milliarden Euro, das derzeit, belastet mit vielen Umweltauflagen, durch die Staatshaushalte der 27 EU-Mitglieder stolpert, nimmt sich da bescheiden aus. Zumal den größten Brocken Italien kassiert und für die anderen Länder deutlich kleinere Beträge bleiben.

Unter Biden wird die von Trump begonnene Anti-China-Politik ausgebaut

Die unter Trump drastisch von 3 auf rund 20 Prozent bei vielen Produkten angehobenen Zölle auf Importe aus Chinas hat die Regierung Biden nicht korrigiert. Vor wenigen Tagen wurde zudem amerikanischen Unternehmen verboten, Maschinen und Software für die Mikrochip-Produktion nach China zu liefern.

Die Exportsperre im Chip-Bereich wird bereits als Sanktion bezeichnet. Gleichsam als Vorgriff auf die Maßnahmen, die verhängt würden, sollte China tatsächlich Taiwan angreifen. Auf diese Eventualität bereiten sich die USA gerade in allen Bereichen vor. Auch in diesem Zusammenhang spielt Europa keine Rolle. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin empfing den mit Macron angereisten französischen Armeeminister Sébastien Lecornu sehr herzlich und bedankte sich für den Beitrag bei der Aufrüstung der Ukraine. Doch Austins primäres Interesse liegt woanders. Bei jeder Gelegenheit betont der US-Verteidigungsminister, dass der Indo-Pazifische-Raum für Amerika die vorrangige Zone ist, in der sich die Zukunft des Weltfriedens und die Sicherung der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Ordnung entscheiden.

Diese Weltordnung werde von Russland und China in Frage gestellt, die beide die Souveränität selbstständiger, nach 1945 entstandener Staaten nicht anerkennen. In Europa zeigt sich das am Beispiel des Ukraine-Kriegs, im Indo-Pazifik möchte China Taiwan annektieren. In allen Ländern Südostasiens betrachtet man die Expansionsbestrebungen der Volksrepublik mit größter Sorge, da in kurzen Abständen nicht nur der Luftraum und die 12-Meilen-Zone Taiwans verletzt werden, sondern auch die Hoheitsgebiete der anderen Nachbarländer. Für besonders große Aufregung sorgt die von China betriebene Fischerei in fremden Gewässern, wobei getarnte Schiffe zum Einsatz zu kommen. Um diese Praxis abzustellen, bauen die Staaten gerade mit US-amerikanischer Unterstützung ein elektronisches Überwachungssystem auf, das auch im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung hilfreich wäre.

Die Spitzen der US-Regierung sind in Südostasien eifrig unterwegs

Joe Biden und Lloyd Austin wie auch Vizepräsidentin Kamala Harris nützen seit einiger Zeit jede Gelegenheit, um an hochkarätigen Tagungen im Indo-Pazifik teilzunehmen und mit Spitzenpolitikern Allianzen zu schmieden. Das Motto lautet, die demokratischen Staaten müssen die bestehende Weltordnung gegen die Aggressivität Chinas verteidigen. Zur Illustration: Im August fand ein bilaterales Training der indonesischen und der US-Armee statt, an dem sich letztlich 14 Staaten beteiligten. Es entwickelte sich zum bisher größten, derartigen Ereignis in der Region.

Allerdings gibt es bislang keine Organisation, die nach dem Beispiel der NATO tatsächlich alle oder einige Länder der Region zu einer Verteidigungsallianz bindet. So muss man die Frage stellen, ob die Länder, die sich bei Treffen so solidarisch zeigen, bei einem Angriff Chinas tatsächlich an der Seite Taiwans kämpfen würden. Das ist zu bezweifeln, da auch keine entsprechenden Verträge existieren. Damit nicht genug: Auch die USA definieren ihre Unterstützung für Taiwan und die anderen Länder der Region als „Hilfe zur Selbsthilfe“. Man werde zwar bei der Aufrüstung helfen, aber nicht selbst in den Krieg ziehen.

An dieser Stelle liegt eine Botschaft an Europa nahe: Die Strategie „Hilfe zur Selbsthilfe“ wird auch in der Ukraine umgesetzt. Ebenso ist zu erwarten, dass bei einem Angriff auf ein NATO-Land die vertraglich festgelegte Beistandspflicht der Mitglieder nicht unbedingt und sofort zu einem militärischen Einsatz der anderen NATO-Staaten führen muss, sondern auch in der Bereitstellung von Flugzeugen, Panzern, Raketen und Drohnen bestehen könnte.

Der „Quad“ wird aufgewertet

Somit rücken die möglichen Ansätze einer Militärallianz unter US-amerikanischer Führung in den Mittelpunkt des Interesses. In diesem Zusammenhang findet der so genannte „Quad“ Aufmerksamkeit. Der „Quadrilateral Security Dialogue“ ist eine Kooperation von Indien, Japan, Australien und den USA, die als Ziel die Sicherung eines freien, offenen Indo-Pazifik hat. Diese Betonung ist besonders wichtig, da offenkundige Bestrebungen Chinas zu beobachten sind, diesen Teil des Pazifiks zu einem chinesischen Binnenmeer zu machen. Obwohl es den Quad-Dialog seit 2007 gibt, ist er bisher nicht zu einer echten Allianz gediehen. Die chinesische Propaganda attackiert den Quad allerdings bereits als indopazifische NATO. Das einzige Bindeglied ist tatsächlich die Ablehnung der chinesischen Expansionsbestrebungen.

- Indien hat einen Dauerkonflikt mit China, der sich auch in immer wieder aufbrechenden Grenzstreitigkeiten im Himalaja manifestiert. Indien ist aber mit Russland eng verbunden und muss darauf achten, wie eng Russland und China kooperieren.

- Japan hat kaum beruhigte Spannungen mit China aus der Zeit der japanisch-chinesischen Kriege. China ist aber der größte Kunde japanischer Exporte.

- Australien pflegt eine eher neutrale Politik. Aktuell fährt man allerdings einen lautstarken Anti-China-Kurs, weil es China gelungen ist, die Salomonen mit einem Sicherheitsabkommen näher an die kommunistische Volksrepublik zu binden. Die Inselgruppe gehört zum britischen Commonwealth, ist traditionell eng mit Australien verbunden und bildet am westlichen Ende des Pazifiks eine Art Tor zu Australien.

Auch wenn die drei Länder sich als demokratische Partner Amerikas deklarieren, kann man den „Quad“ nicht als Basis einer südostasiatischen NATO bezeichnen.

Die ASEAN konnte die Basis für eine südostasiatische Allianz bilden

Die nächste Aufmerksamkeit der USA richtet sich daher auf die anderen Staaten der Region, die alle in der ASEAN verbunden sind. Dieser Verband „Association of Southeast Asian Nations“ vermittelt durch seine schiere Existenz und die viel beachteten Tagungen den Eindruck einer gut gefügten Organisation. Im Rahmen der Bemühungen um eine stärkere Verankerung der USA in Südostasien nahm Präsident Biden an dem vor kurzem in Kambodscha abgehaltenen ASEAN-Gipfel teil. Das gemeinsame Interesse, Chinas Expansion zu stoppen, sollte doch ein Bindeglied sein. Eine nähere Analyse zeigt, dass eine Südostasien-NATO in weiter Ferne liegt.

Die zwei großen Inselstaaten, Indonesien und Philippinen, sind in erster Linie von den chinesischen Ambitionen bedroht, alle Wasserwege zu kontrollieren.

- Die Philippinen sind ein traditionell enger Verbündeter der USA und würde sich somit als Partner anbieten.

- Bei Indonesien ist diese Aussage schon weniger angebracht, auch wenn die bereits erwähnte gemeinsame, militärische Übung mit den USA zum Großereignis wurde. Das Land versucht, mit allen Mächten gut auszukommen, nicht nur mit den USA und China, auch mit Russland.

Auf dem Festland sind die Bedingungen auch unklar

- Vietnam und Laos haben kommunistische Einparteienregierungen, die naturgemäß mit der Kommunistischen Partei Chinas enge Beziehungen unterhalten. Allerdings will man nicht von China beherrscht werden und pflegt gute Kontakte zu den USA. Der Bombenhagel auf die beiden Länder in den Jahren des Vietnam-Krieges 1955 bis 1975 ist aber omnipräsent.

- Kambodscha ist zwar ein Königreich mit einer theoretischen Demokratie, doch regiert die „Kambodschanische Volkspartei“ allein und diktatorisch. Mit China bestehen enge Beziehungen, die auch eine militärische Kooperation umfassen.

- In Myanmar regiert eine Militärdiktatur, die von China unterstützt wird.

Vietnam, Laos, Kambodscha und Myanmar sind allein vier der zehn ASEAN-Staaten, in den man sich nur bedingt eine Zusammenarbeit mit den USA vorstellen kann.

Umgeben von diesen vier Ländern ist Thailand, das ein treuer Verbündeter der USA ist, bei gemeinsamen, militärischen Übungen wird die enge Bindung immer besonders betont. Auch Malaysia und Singapur kann man als pro-amerikanisch einstufen. Zur ASEAN gehört auch das kleine Sultanat Brunei auf Borneo, das als Ölproduzent eines der reichsten Länder der Welt ist. Der Sultan regiert als absolutistischer Monarch und ist auf Distanz zu allen Mächten. Zu erwähnen ist auch Südkorea, das nicht Mitglied der ASEAN ist, aber ein starker Verbündeter der USA ist.

Unter den geschilderten Umständen muss man in Washington zur Kenntnis nehmen, dass eine Anti-China-Allianz nicht so leicht zu bauen sein wird.

Einem Überfall Chinas muss Taiwan in erster Linie allein begegnen

Sollte also China tatsächlich Taiwan attackieren, so muss davon ausgegangen werden, dass das Land in erster Linie auf sich gestellt sein wird und nur mit der Unterstützung durch die USA, in gewissem Umfang auch durch die Philippinen, Japan und Südkorea rechnen kann. In Taiwan wird die prekäre Situation immer deutlicher gesehen, weil sich unter Xi Jinping die Politik der Volksrepublik besonders in den letzten Jahren dramatisch geändert hat.

Unter seinen Vorgängern Hu Jintao und Yang Zemin wurde zwar auch betont, dass Taiwan ein Teil Chinas sei, doch entwickelte sich ein durchaus praktikables Verhältnis. Die Militärausgaben des Landes bewegten sich lange bei 10 Milliarden Dollar im Jahr und wurden nun auf 20 Milliarden gesteigert. Im Mittelpunkt steht die Anschaffung von Flugzeugen und Raketenabwehrsystemen.

Die aktuelle Politik der Beschränkung der Konflikte auf ein betroffenes Land, dem man hilft, klingt nur momentan überzeugend. Man muss die bange Frage stellen, was geschieht, wenn etwa die russische Armee doch die Oberhand in der Ukraine bekommt und den Krieg zu gewinnen droht. Und wie reagieren die zurückhaltenden Helfer von heute, wenn sich Taiwan trotz aller Unterstützung nicht erfolgreich gegen China wehren kann. Wird man dann den Untergang dieser Länder zur Kenntnis nehmen und zur Tagesordnung übergehen? Das ist schwer vorstellbar. Eher werden dann doch die USA, die NATO, also letztlich doch Europa und andere eingreifen, womit der Weg in einen Weltkrieg gegen Russland und China vorgezeichnet wäre.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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