Finanzen

Märkte zwingen Fed zum Umdenken: Ist die Zinswende (schon) vorbei?

Lesezeit: 7 min
31.12.2022 06:51  Aktualisiert: 31.12.2022 06:51
Die US-Zentralbank hadert mit wirtschaftlichen Realitäten und Schattenmärkten, die weiteren Zinsanhebungen im Weg stehen. Der neueste Zinsschritt der Federal Reserve war womöglich schon ihr letzter.
Märkte zwingen Fed zum Umdenken: Ist die Zinswende (schon) vorbei?
Die aggressiven Zinserhöhungen der Fed dürften bald ein Ende haben. (Foto: dpa)

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Der Anleihemarkt prophezeit ein überraschend frühes Ende der Zinserhöhungen im Dollarraum. Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) hatte die Zinsen jüngst erwartungsgemäß um 50 Basispunkte angehoben. Der Zins-Korridor für kurzfristige Refinanzierungen der amerikanischen Geschäftsbanken bei der Fed liegt nunmehr bei 4,25 bis 4,5 Prozent, während die Zentralbanker nichts zu einem geplanten Ende der Zinsanhebungen verlauten lassen.

Anleihe-Investoren rechnen trotzdem schon im neuen Jahr mit den ersten Zinssenkungen – sehr zum Ärger von Notenbank-Chef Jerome Powell. Der hatte in der jüngsten Live-Schaltung zwar eine Verlangsamung der Zinsschritte angekündigt, dabei aber betont, dass die Inflation (aktuell: 7,1 Prozent, Zielwert: 2 Prozent) noch deutlich mehr an Dynamik verlieren müsse, bevor man von einem endgültigen Zinsgipfel sprechen könne. In den Prognosen der 19 Fed-Mitglieder werden keine Zinssenkungen für das kommende Jahr 2023 prognostiziert.

Der Markt ist etwas anderer Ansicht und entkoppelt sich ein Stück von der Rhetorik des Offenmarkt-Ausschuss. Aus den Kursen von Staatspapieren lässt sich ableiten, wo Anleihe-Investoren den Hochpunkt der Zinsen sehen. Aktuell stehen wir hier bei rund 4,8 Prozent – und damit niedriger als 5,25 Prozent, was von den Notenbankern um Powell als zwischenzeitliche Zielmarke kommuniziert wurde. Das bedeutet zugleich: Wenn die im neuen Jahr von der Fed angepeilten zwei Zinsanhebungen dennoch eingepreist sind, dann rechnet der Anleihemarkt schon in der zweiten Jahreshälfte 2023 mit Zinssenkungen.

Das wäre dann ein schmerzhafter, jedoch recht kurzer Zinszyklus gewesen. Es könnte auch sein, dass dieser Zinsschritt schon der letzte gewesen ist. Die Vergangenheit hat zumindest gezeigt, dass Notenbanken fast immer den Märkten hinterherlaufen und nicht umgekehrt.

Berechnungen von Bloomberg zufolge kam in der Historie seit 1972 die letzte Zinsanhebung durchschnittlich 22 Wochen nachdem der Gipfel bei der Inflationsrate erreicht wurde. Dieser Zeitpunkt wurde genau Mitte Dezember erreicht. Die ersten Zinsreduktionen passieren dann im Schnitt nochmal 16 Wochen später – hiermit wäre demnach Anfang April zu rechnen.

Die Fed hat nur einen sehr begrenzten Spielraum

Obige Zahlenspielereien sollte man nicht überinterpretieren, zumal es auch nur Erwartungswerte auf der Basis von Durchschnittswerten sind. Außerdem ist das stagflationäre Umfeld der 1970er und 80er-Jahre nur begrenzt mit dem heutigen Wirtschaftsumfeld vergleichbar – nicht zuletzt in Bezug auf die Schulden-Problematik. In den letzten 40 Jahren hat die Verschuldung von Staat, Unternehmen und Verbrauchern mit einer beachtlichen Dynamik zugenommen. Die Vereinigten Staaten sind dabei im globalen Vergleich ganz besonders abhängig von Schulden. Jede Zinserhöhung bremst die US-Wirtschaft in erheblich höherem Maße als es in anderen Ländern der Fall ist.

Willkommen in der Realität. Die gewaltigen Schuldenberge der Gegenwart beschränken den Spielraum der Federal Reserve viel mehr als damals, was es wiederum nochmal wahrscheinlicher macht, dass der Zinserhöhungszyklus jetzt schon am Ende ist. Das gilt besonders dann, wenn die Inflationsrate weiter zurücklaufen sollte – aktuell werden die (Staats-)Schulden immerhin inflationiert.

An den Fiskalausgaben spart man sicher nicht. Bereits auf den Weg gebracht ist zum Beispiel der über 700 Milliarden Dollar schwere „Inflation Reduction Act“, der über die nächsten 10 Jahre 369 Milliarden an reinen Investitionen beziehungsweise Subventionen vorsieht. Das alles muss mit Krediten finanziert werden. Im Staatshaushalt wurden seit Ewigkeiten keine Überschüsse mehr erzielt und die US-Regierung sitzt auf stolzen 31 Billionen Dollar an Staatsschulden. Das entspricht etwa 130 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Fed kann es sich eigentlich überhaupt nicht erlauben, die Anleihe-Märkte noch weiter auszutrocknen.

Die Dollar-Liquidität ist mittlerweile so dünn, dass das Finanzministerium ein eigenes Anleihe-Kaufprogramm auflegen will – um die Liquidität in dem mehr als 24 Billionen (24 Tausend Milliarden) Dollar schweren Markt sicherzustellen. Die Dimensionen sind noch unklar. Dass die Regierung damit praktisch die Anleihen aufkaufen würde, die von der Zentralbank im Rahmen ihrer Bilanzreduktion auf den Markt geworfen werden, ist dennoch mehr als bedenklich. In Großbritannien hatte nur ein überambitioniertes Steuersenkungsprogramm zu einem Ausverkauf von Pfund-Anleihen und einem Beinahe-Kollaps der britischen Währung geführt. Die USA haben eben den Vorteil des Status, den eine Weltleitwährung mit sich bringt.

Fast dreimal so groß wie den Markt für US-Staatspapiere (65 Billionen) schätzt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) das Volumen an „Schatten-Dollar“. So werden Dollar-Kredite bezeichnet, die amerikanische Banken außerhalb der Bilanz (OTC-Geschäft) vergeben haben – hier handelt es sich um Finanzinstrumente wie Währungs- und Zins-Swaps sowie Forwards. Hier stehen potentiell beide Parteien im Feuer: Die Banken auf der Forderungs-Seite und ihre Kunden als Schuldner. Die Analysten der BIZ schätzen, dass der Großteil dieser außerbilanziellen Dollarschulden auf ausländische Kreditnehmer entfällt. Banken dominieren das Bild, aber auch Nichtbanken aus dem Ausland (Institutionelle Investoren, Hedgefonds, Versicherungen, Unternehmen und vermögende Privatanleger) sollen laut BIZ immerhin mindestens 20 Billionen Dollar an Schattenkrediten halten. Solche Derivate sind in der Regel sehr zinssensitiv, weil kurzfristige Laufzeiten dominieren, und die Dollar-Schattenmärkte demnach „anfällig für Finanzierungsengpässe“.

Nicht zu vergessen: Es ist fraglich, wie lange die Federal Reserve die Anleger noch quälen will oder kann. Am Immobilienmarkt werden neuerdings MBS-Papiere (mit Hypotheken besicherte Anleihen) illiquide, während die gesamte Branche ohnehin durch die schwache Wirtschaft und das Zinsumfeld leidet. Die Wall Street würde sich derweil sehr über Zinssenkungen und eine weniger restriktive Geldpolitik freuen. Die derzeit so unklare Situation gefällt den Investoren überhaupt nicht, weshalb die US-Aktienmärkte seit geraumer Zeit hyper nervös sind und sich andauernd in ziemlich wilden Tagesschwingungen ergehen – ohne dabei jemals ihre relativ engen Bandbreiten zu verlassen.

Der Anleihemarkt gilt nicht zu Unrecht als klüger als der Aktienmarkt. Die Marktteilnehmer sehen das Dilemma der Fed mit klaren Augen und kommen zu dem Schluss, dass es bei einem Leitzins von 4,8 Prozent erst mal vorbei ist mit den Zinsanhebungen – zumindest sofern die Inflation weiter rückläufig ist oder wenigstens konstant bleibt. Die Verbalakrobatik von Powell und seinen Zentralbank-Kollegen spielt hier kaum noch eine Rolle.

Rezession verdrängt Inflation: Der Trend zeigt Richtung sinkender Zinsen

Fakt ist: Zinsen der Staatspapiere waren zuletzt doch deutlich rückläufig. Die Benchmarks – Anleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren und 2 Jahren – rentieren aktuell mit 3,6 respektive 4,24 Prozent. Insbesondere auf die Entwicklung der längerfristigen Zinsen sollte man genau achten, denn diese kann die Notenbank bei weitem nicht so gut kontrollieren wie das kurze Ende der Zinskurve.

Der Trend zu sich normalisierenden Anleihe-Zinsen war schon seit Beginn der Herbstmonate sichtbar, aber so richtig kam diese Reaktion des Markes erst infolge der Inflationsdaten, die insbesondere bezüglich der Produzentenpreise (wichtigster Vorlaufindikator für Konsumentenpreise) teils niedriger ausfielen als befürchtet. Mit Zinserhöhungen möchte die Zentralbank die Inflation eindämmen, sodass geringere Preissteigerungsraten auch einen niedrigeren Zinsgipfel implizieren.

Einen gehörigen Anteil hatten auch die jüngsten Wirtschaftszahlen, die ziemlich enttäuschend ausfielen und ein rezessives Jahr 2023 andeuten lassen. Die Einkaufsmanager-Indizes (Messgröße für die Wirtschaftsaktivität in zahlreichen Sektoren) signalisieren einen Abschwung. Der Bausektor muss enorme Einbußen verkraften und die Immobilienpreise sinken. Die Auftragseingänge der Industrie liegen auf dem niedrigsten Stand seit Mai 2020. Die Verbraucherstimmung ist weiterhin im Keller und so schlecht wie zuletzt in der großen Finanzkrise 2008. Schon seit längerem schwächeln Einzelhandel und E-Commerce und im Gebrauchtwagen-Segment sinken die Umsätze – im Regelfall klare Warnzeichen einer schrumpfenden Wirtschaft.

Kurz gesagt: Die Rezession verdrängt zunehmend die Inflation, wobei die spürbar rückläufigen Erzeugerpreise ein frühes Signal dieses Prozesses sind.

Unter dem Strich ist die Zinskurve noch immer stark invertiert (langlaufende Anleihen bringen für den Käufer beim aktuellen Kurs über die gesamte Laufzeit weniger Rendite als Kurzläufer). Dies war in der Vergangenheit häufig ein Signal für einen Wirtschaftsabschwung. In einer Rezession rechnet der Markt mit Zinssenkungen der Notenbank, die damit die Wirtschaft stimulieren will. Wenn die Zinsen am langen Ende also niedriger sind als die Zinsen am kurzen Enden, wird damit eine Rezession eingepreist. Anders kann man eine solche Anomalie auch schwerlich erklären.

Interessantes Detail am Rande: Über den letzten Monat haben einige Hedgefonds damit begonnen, auf eine Versteilerung der Zinskurve zu setzen. Technisch bedeutet das, dass sie verstärkt auf höhere Renditen (ergo: niedriger Kurse) von 5- und 10-jährigen Papieren spekulieren, indem sie solche Anleihen leerverkaufen.

Euro zuletzt mit Rückenwind

Um das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, wollen wir auch einen Blick über den Atlantik werfen. Die Leitzinsen im Euroraum wurden ebenfalls um 50 Basispunkte angehoben und liegen nun bei 2,5 Prozent. Die EZB beginnt erst im März mit dem Abbau ihrer Anleihebestände, wobei pro Monat 15 Milliarden Euro angepeilt werden. Im Sommer soll das Volumen steigen. In den letzten Monaten wurden schon rund 800 Milliarden an Langfrist-Krediten aus dem Bankensystem abgezogen. Zugleich präsentierte sich EZB-Präsidentin Lagarde in ihrer Wortwahl etwas aggressiver als ihr Kollege in den USA. Im Gegensatz zur Fed möchte man die Größe der Zinsschritte beibehalten.

An den Währungsmärkten führte diese Konstellation zuletzt zu einem stabileren Euro, der schon zuvor positiv auf die Inflations- und Wirtschaftsdaten aus den USA reagiert hatte. Notierte er vor wenigen Wochen noch unter Parität, bekommt man für einen Euro aktuell wieder 1,06 US-Dollar. Die Europäische Gemeinschaftswährung war allerdings zeitweise stark „überverkauft“, wie wir bei den DWN immer wieder vermerkt hatten.

Wenn die Dollar-Zinsen nicht mehr oder nicht mehr so stark steigen, dann wird eine Geldanlage im traditionell niedriger verzinsten Euroraum attraktiver. Sollte die Fed den Zinszyklus jetzt abrupt beenden, würde der Euro vermutlich noch weiter aufwerten. Ein Anstieg auf über 1,10 würde uns aber überraschen. Vieles ist schon jetzt eingepreist und in Euroland besteht eine ähnliche Schuldenproblematik wie in den USA. Die Eurostaaten, inklusive Deutschland, stehen vor einer Refinanzierungswelle. Die Euromärkte quittieren das schon mit steigenden Renditen der Staatspapiere. Hinzu kommt, dass die (Erzeugerpreis-)Inflation in Europa deutlich höher ist - von der jederzeit eskalationsbereiten Energiekrise noch ganz zu schweigen. Auch die Europäische Zentralbank steckt in einer schweren Zwickmühle.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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