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Lithium aus Deutschland: Projekte kommen voran

Lesezeit: 5 min
29.12.2022 10:37  Aktualisiert: 29.12.2022 10:37
Schon bald könnte in Deutschland Lithium abgebaut werden. Die heimische Autoindustrie wäre dann nicht mehr auf Importe aus China, Australien oder Südamerika angewiesen.
Lithium aus Deutschland: Projekte kommen voran
Lithiummine in der Atacama-Wüste in Chile. Bisher sind die deutschen Autobauer massiv auf Importe angewiesen. (Foto: dpa)
Foto: Lucas Aguayo Araos

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Manche nennen es das weiße Gold vom Oberrheingraben: Lithium aus Thermalwasserquellen tief unter der Erde. Wenn der Schatz gehoben werden könnte, wäre die deutsche Autoindustrie mit dem wichtigen Rohstoff für Elektroautobatterien aus heimischem Bestand versorgt. Die Hersteller wären weniger auf Importe aus China, Australien oder Südamerika angewiesen. Unabhängigkeit von globalen Lieferungen ist für Europa ein wichtiges Ziel - erst recht, seit die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg die Anfälligkeit solcher Lieferketten gezeigt haben. Zudem ist ein Wettlauf zur Sicherung der Rohstoffe für Elektroautos im Gang. "Lithium ist ganz klar ein wichtiger Faktor", sagt Andreas Rade, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). "Europa hat das Potenzial, den Bedarf teilweise selbst decken zu können."

Das Vorkommen im Rheintal zwischen Mannheim und Offenburg gilt als das größte in Europa. Wie schnell dort Lithium gewonnen werden kann, ist umstritten. Die Firma Vulcan Energie aus Karlsruhe, Tochter der in Deutschland und Australien börsennotierten Vulcan Energy, arbeitet seit 2020 an einem hochfliegenden Plan. Ab Mitte des Jahrzehnts will das Unternehmen jährlich 40.000 Tonnen Lithium fördern - genug für eine Million Elektroautos. Dabei wird heißes Thermalwasser hochgepumpt, das Lithium extrahiert und das Wasser dann wieder zurückgeleitet. Als Abnehmer hat Vulcan dafür schon Volkswagen und weitere Großkunden gewonnen.

"Mit fünf Projekten fangen wir jetzt an. So viele brauchen wir für eine Menge von 40.000 Tonnen im Jahr", sagt Geschäftsführer Horst Kreuter. Pilotanlagen laufen schon am Geothermie-Kraftwerk im pfälzischen Insheim. Dabei soll die Lithium-Gewinnung aus heißem Thermalwasser mit der Produktion erneuerbarer Energie gekoppelt werden, um klimaneutral zu produzieren. Insgesamt birgt die Region fast 16 Millionen Tonnen Lithiumkarbonatäquivalent (LCE), das ist die übliche Rechengröße.

Forscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) schätzen das realisierbare Potenzial des Lithiumvorkommens ausgehend von bestehenden Geothermieanlagen geringer ein. "Es gilt erst noch zu beweisen, dass man Lithium in industriellem Maßstab produzieren kann", sagt Valentin Goldberg, Geowissenschaftler und Co-Autor einer Studie dazu. Laut KIT sind von den insgesamt 42 Geothermiekraftwerken in Deutschland nur vier dank ausreichend hoher Lithiumkonzentration im Thermalwasser zur Gewinnung des Rohstoffs geeignet - dazu gehören Landau und Insheim, wo Vulcan teils aktiv ist. Für das Geothermie-Kraftwerk Insheim, das Vulcan seit Anfang 2022 gehört, kommen die KIT-Forscher auf maximal rund 1800 Tonnen LCE Jahreskapazität. Um die Anfangsproduktion der bisher neun in Deutschland geplanten Batteriezellfabriken von 37.000 Tonnen LCE abzudecken, bräuchte man mindestens 19 Standorte, schätzt Goldberg.

VULCAN SETZT AUF NEUE TECHNIK

Vulcan selbst hält für sein angestrebtes Startvolumen 2025 nur fünf Standorte für notwendig. Vulcan-Chef Kreuter erklärt die Kluft mit dem Unterschied von Wissenschaft und Praxis. Die Forschung, die nur auf wissenschaftlichen und nicht auf Studien der Industrie aufbauen dürfe, hinke der Technik Jahre hinterher. "Wir haben unsere Prognosen auf dem Stand der Technik gemacht und nicht dem der Wissenschaft."

Vulcan setzt auf eine neue Bohrtechnik, bei der sich eine Bohrung für das Heraufpumpen des Thermalwassers in drei Äste verzweigt und so mehr Wasser zutage fördert als die heutigen Anlagen. So könnten 100 Liter pro Sekunde fließen - die KIT-Forscher sehen ein Limit bei 80 Litern. Detlev Rettenmaier vom deutsch-französischen Europäischen Institut für Energieforschung (Eifer) erklärt, das Verfahren sei in der Ölindustrie Praxis, bei Thermalwasser aber noch nicht erprobt worden. "Unklar ist auch, wie schnell man das hohe Volumen wieder injizieren kann."

Zum anderen will Vulcan mit einer Extraktionsmethode, die sei 20 Jahren in Südamerika genutzt wird, bis zu 96 Prozent des vorhandenen Lithiums herausholen. Das KIT geht von höchstens 90 Prozent aus. "Wir wissen, es funktioniert. Wir müssen bloß an dem ein oder anderen Schräubchen drehen", betont Kreuter.

Mit einer verbindlichen Machbarkeitsstudie Anfang 2023 will Vulcan dann Banken überzeugen, Kredite für den mehr als 1,7 Milliarden Euro teuren Wachstumsplan zu geben. Denn die Nachfrage ist da: Neben Volkswagen wollen sich auch die Autobauer Stellantis und Renault, der Batterieproduzent LG Energy und der Kathodenfertiger Umicore ab 2025 bei Vulcan eindecken. Sie haben ab 2026 bis Ende des Jahrzehnts zusammen die Abnahme von rund 45.000 Tonnen im Jahr zugesagt. Langfristig traut sich Vulcan sogar zu, den Bedarf der gesamten E-Autoproduktion Deutschlands mit rund 20 Anlagen zu decken. "Vulcan kalkuliert optimistisch für ein Geschäftsmodell, die Wissenschaftler sind vorsichtiger und sehen eher noch die Schwierigkeiten bei der Umsetzung", sagt Forscher Rettenmaier mit Blick auf die unterschiedlichen Schätzungen.

KIT - LITHIUM ERST IN ZEHN JAHREN

Ein potenzieller Konkurrent von Vulcan Energy, der baden-württembergische Energieversorger EnBW, hält eine Kapazität von 40.000 Tonnen im Jahr für möglich - aber nur auf längere Sicht. Das Potenzial sei beachtlich, sagt Thomas Kölbel, Experte für Geothermie bei der EnBW. "Allerdings kann man Stand heute technisch längst nicht alles davon auch herausholen. Und dann ist noch die Frage zu beantworten, wie wirtschaftlich das möglich ist." Die EnBW hat dazu ein Projekt in Bruchsal laufen, um über einen Produktionsstart 2025 zu entscheiden. Ein Volumen von bis zu 45.000 Tonnen nennt Kölbel herausfordernd. "Um Mengen in dieser Größenordnung zu gewinnen, wären ganz viele neue Bohrungen notwendig."

Vorsichtiger als Vulcan Energy sind die EnBW und die Forscher vom KIT auch beim Faktor Zeit. Der Energieversorger rechnet mit vier Jahren von der ersten Planung bis zur Betriebsgenehmigung, das KIT mit fünf bis acht Jahren. "Wir müssen heute die Projekte anstoßen, damit wir vielleicht in zehn Jahren relevante Mengen Lithium aus dem Oberrheingraben produzieren können", sagt Geowissenschaftler Fabian Nitschke vom KIT. Eine wichtige Rolle in dem Prozess spielt die Akzeptanz der Anlagen bei der Bevölkerung. "Niemand kann Projekte gegen den großen Willen der lokalen Bevölkerung durchsetzen", sagt Kölbel. Da es mit multiplen Bohrungen um ein neues Verfahren gehe, dürften die Behörden sich Zeit nehmen, vermutet Eifer-Forscher Rettenmaier. Vulcan müsse deshalb "richtig, richtig Gas geben".

Die EnBW hat für drei Anlagen, die sie südlich von Mannheim anpeilt, intensiv geworben - bei Gemeinderäten, in Dialogforen und Begleitkreisen mit Bürgern. Denn die größte Sorge von Anwohnern ist, dass es durch die Bohrungen zu Erdbeben kommen kann - und seien sie auch nur leicht, so dass es zu Rissen in Häusern kommt. "Mittlerweile ist es nach unserer Erfahrung kein Reizthema mehr", sagt Kölbel. Bei der ersten öffentlichen Veranstaltung hätten fast 400 Besucher rund 100 Fragen gestellt. Bei der letzten kamen noch drei Gäste und hatten keine Fragen. "Die Leute verstehen und wollen eine Energiewende. Sie wollen aber nicht, dass sie an ihrem Eigentum Schaden erleiden."

SKEPSIS IM SÜDEN - OFFENE TÜREN IM NORDEN

Auf viel Widerstand stößt die Geothermie am südlichen Oberrheingraben in der Ortenau. Vor zwei Jahren löste eine Bohrung auf der anderen Rheinseite in Frankreich mehrere Beben aus, was zu mehr als 2000 Schäden an Häusern führte. Vulcan sieht sich mit seinem Erkundungsgebiet Ortenau deshalb Bürgerinitiativen gegen Geothermie gegenüber und versucht die Menschen zu überzeugen, anders und sicherer zu arbeiten als die Firma im französischen Vendenheim. Aufgegeben habe Vulcan die Ortenau nicht, betont Kreuter. "Wir werden hier schrittweise vorgehen, Vertrauen aufbauen und über Erkundungen langsam in die Umsetzung kommen." Die Projekte wurden aber zurückgestellt, um andere in Rheinland-Pfalz und bei Mannheim voranzutreiben - dort stoße man auf offene Türen. "Je weiter wir in den Norden kommen, desto einfacher wird es", erklärt Kreuter.

In der Pfalz seien acht Gemeinden gewonnen worden, nur eine habe sich geweigert, Vulcan die Vorerkundung zu möglichen Standorten mit 3D-Seismik zu gestatten. Wenn eine Lizenz zum Erkunden erteilt wurde, können die Kommunen das Projekt blockieren, indem sie den Lastwagen mit dem Erkundungsgerät die Durchfahrt verwehren. Die abschließende Erlaubnis für Geothermie-Bohrungen erteilt das Land. "Wenn wir nach Hessen gehen, da sagen die Bürgermeister eher, was kann ich tun, damit Vulcan zu uns kommt und nicht ins Nachbardorf geht", erzählt Kreuter. Mit der Energiekrise aufgrund des Ukraine-Krieges sei Wärme aus Geothermie, die Vulcan als Nebenprodukt zu bieten hätte, sehr gefragt. (Reuters)


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