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Nord Stream: Russland erwägt Reparatur der Pipelines

Lesezeit: 5 min
07.01.2023 09:18  Aktualisiert: 07.01.2023 09:18
Während öffentlich noch immer nicht bekannt ist, wer hinter dem Anschlag steckt, hat Russland Schritte unternommen, um die Reparatur in Angriff zu nehmen.
Nord Stream: Russland erwägt Reparatur der Pipelines
Ein Arbeiter prüft am 06.12.2016 tonnenschwere Rohre für die zukünftige Ostsee-Erdgastrasse Nord Stream 2 auf einem Lagerplatz im Hafen von Sassnitz-Mukran (Mecklenburg-Vorpommern). (Foto: dpa)

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Seitdem die Nord Stream-Pipelines Ende September 2022 einer Sabotage zum Opfer gefallen sind, versuchen Ermittler herauszufinden, wer hinter dem Anschlag steckt. Russland und der Westen beschuldigen sich gegenseitig einer Täterschaft. Einem Artikel der New York Times zufolge hat Russland nun damit begonnen, die Planungen für eine Reparatur der Pipelines in Angriff zu nehmen.

Schwedische Studie warnte schon 2007 vor der Gefahr

Bereits 2007 warnte laut New York Times eine Studie der schwedischen Regierung vor den Gefahren, welche mit der Verlegung einer kritischen Energieinfrastruktur entlang der Ostsee in Verbindung stehen. Damals beschrieben die Analysten der schwedischen Verteidigungsforschungsagentur ein Szenario. Demnach würde ein einziger Taucher ausreichen, um einen Sprengsatz zu zünden.

Nun befinden sich europäische Ermittler vor beinahe genau dem Szenario, welches die Analysten damals prognostiziert hatten. Die schwedischen Behörden, die die strafrechtlichen Ermittlungen leiten, sind zu dem Schluss gekommen, dass sehr wahrscheinlich ein staatlicher Akteur für die Explosion im September verantwortlich war. Beamte und Experten gehen davon aus, dass der Sprengstoff wahrscheinlich von Schiffen abgeworfen oder, wie im schwedischen Bericht angekündigt, durch Unterstützung von U-Booten oder Tauchern auf dem Meeresboden platziert wurde.

Wie sich herausstellte, war die Ostsee ein nahezu perfekter Tatort. Ihr Boden ist den New York Times zufolge mit Telekommunikationskabeln und -rohren durchzogen. Diese werden nicht genau überwacht. Ständig kommen und gehen Schiffe aus den neun Anrainerstaaten und die Schiffe können sich leicht verstecken, indem sie ihre Ortungstransponder ausschalten. So sagt Niklas Rossbach, stellvertretender Forschungsleiter der schwedischen Verteidigungsforschungsagentur, die 2007 die Studie verfasste zur New York Times: „Die Schlüsselfrage ist nicht, welche Art von Überwachung es gab, sondern warum diese Pipeline und andere Pipelines und Stromkabel sowie die Unterwasserkabel auf dem Meeresboden nicht überwacht wurden.“

2021 wies das Magazin Euractiv daraufhin, dass die Ostsee ein riesiger Friedhof für nicht explodierte Munition und chemische Waffen ist, die nach den Weltkriegen versenkt wurden. Expeditionen zur Beseitigung dieser Hindernisse sind üblich, was bedeutet, dass das Fachwissen zur Durchführung von Unterwassersprengungen allgegenwärtig ist. Mehrere Ostseeanrainerstaaten, darunter auch Russland, verfügen über Taucherteams, die auf Operationen am Meeresboden spezialisiert sind, so Beamte in der Region. Russland, das einen Hafen an der Ostsee hat, verfügt genauso wie andere Anrainerstaaten über kleine, leise U-Boote, die sich unbemerkt bewegen können, so ehemalige Militär- und Geheimdienstmitarbeiter in der Region.

Nord Stream AG hat im Dezember mit Kalkulationen begonnen

Nun aber wird die Theorie, dass Russland für die Explosionen verantwortlich ist, wie es von westlichen Beamten oft wiederholt wird, schwieriger aufrechtzuerhalten, wie die New York Times erklärt. In den letzten Wochen im Dezember habe die Nord Stream AG, die sich mehrheitlich im Besitz eines vom Kreml kontrollierten Unternehmens befindet, damit begonnen, die Kosten für die Reparatur des Rohrs und die Wiederherstellung des Gasflusses zu kalkulieren, so eine anonyme Quelle gegenüber der amerikanischen Zeitung.

Ein Kostenvoranschlag für die Reparatur beginnt bei etwa 500 Millionen Dollar, sagte die Person. Berater für Russland untersuchen auch, wie lange die beschädigten Rohre dem Salzwasser standhalten können. Die Untersuchungen werfen die Frage auf, warum Russland, sollte es seine eigenen Pipelines gesprengt haben, mit der teuren und technisch komplizierten Reparatur beginnen würde.

Die WirtschaftsWoche berichtet ebenfalls über die Reparatur. Auf Nachfrage des Magazins bestätigte das Auswärtige Amt die Planung für Reparaturen durch die Nord Stream AG: „Die für Nord Stream 1 zuständige Nord Stream AG prüft derzeit das Ausmaß der Schäden und mögliche Reparaturoptionen.“

Polen und Ukraine haben Motive für die Sprengung

Neben den Reparaturen der Pipelines ist auch die Frage, welcher finanzielle Schaden für das Unternehmen entstanden ist. Dem schweizerischen Handelsamtsblatt zu entnehmen ist die Nord Stream AG in einem Insolvenzverfahren und bekam dazu zum Jahreswechsel eine Stundung von einem halben Jahr. Auf Nachfrage von DWN bezüglich des finanziellen Schadens für das Unternehmen durch die Sprengung antwortete die Nord Stream AG nicht.

Die offensichtlichen Pläne zur Reparatur der Pipeline werden die Zweifel an der Schuld Russlands noch einmal befeuern. Sie sind ein weiteres Motiv, welches gegen den Kreml als Tatverdächtigen spricht. Dazu kommt noch die Entscheidung der schwedischen Regierung, Einzelheiten der Ermittlungen vor westlichen Verbündeten geheim zu halten. Dies führt zu Spekulationen, dass die Ermittler eventuell den Fall gelöst haben könnten und die Wahrheit aus strategischer Sicht verschweigen. Diesen Spekulationen schob Daniel Stenling, Schwedens oberster Spionageabwehrbeamter, gegenüber der New York Times einen Riegel vor und fügte hinzu: „Wir haben keine konkreten Beweise, aber hoffentlich werden wir sie bekommen.“

Neben der Spekulation um die Vorenthaltung kommen nun auch zwei andere verdächtige Länder als Drahtzieher auf den Debattentisch: Polen und die Ukraine. Im Jahr 2021 schickten die ukrainischen Energieregulierungsbehörden ein 13-seitiges Schreiben an Polen, um die Inbetriebnahme der neuen Pipeline zu verhindern. „Nord Stream II wird sich negativ auf die nationale Sicherheit der Ukraine auswirken“, hieß es in dem Schreiben, das der New York Times vorliegt. Der Brief warnte auch vor wirtschaftlichen Folgen für die Ukraine, da russische Unternehmen nach wie vor dafür bezahlen, Gas durch ukrainische Leitungen zu schicken.

Aus einem ukrainischen Regierungsdokument, das der New York Times vorliegt, geht hervor, dass die Ukraine auch nach dem Einmarsch Russlands damit rechnete, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 von russischen Unternehmen, darunter die staatlichen Unternehmen Gazprom und Rosneft, für die Durchleitung von Gas Gebühren zu verlangen. Gemäß ihrem Vertrag erhält die Ukraine durchschnittlich 1 Milliarde Dollar pro Jahr an Transitgebühren

Pole verglich Nord Stream mit Hitler-Stalin-Pakt

Von Beginn an hatte das Nord Stream 2 Projekt Schwierigkeiten. Deutschland und die anderen im Projekt involvierten europäischen Länder verteidigten das Projekt, wohingegen die Vereinigten Staaten dagegen Sanktionen erließen. Neben der Ukraine hat auch Polen mit beiden Pipelines seit Jahren ein großes Problem. Kurz nach der Sabotage im September sorgte ein polnischer Politiker für Aufsehen, als er sich bei den USA für die Zerstörung der Pipelines bedankte. Schon 2006 hatte ein hoher polnischer Beamter der New York Times zufolge die geplanten Nord Stream Projekte sogar mit dem Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verglichen, durch den Polen aufgeteilt wurde.

Gegen Polen und die Ukraine als Verdächtige sprechen jedoch zwei entscheidende Dinge. Wenn ein Mitglied der EU oder der NATO wie Polen einen derartigen Anschlag verüben würde, dann hätte dies große Konsequenzen in zwei wichtige westliche Partnerschaften. Gegen die Ukraine spricht trotz dem finanziellen Gewinn bei einem Wegfallen von Nord Stream, dass das Land keinen Ostseehafen besitzt und das einzige bekannte U-Boot 2014 von Russland gekapert wurde.

Beste Überwachung durch russische Sonarsensoren

Die schwedischen Ermittler haben der New York Times zufolge an der Explosionsstelle Sprengstoffreste gefunden. Gleichzeitig haben sie auch gemerkt, dass die Ostsee ein kompliziertes Gewässer ist. Unterwasserfotos hätten wenig Aufschluss gegeben. Man wäre weiter, wenn die Pipeline 24 Stunden lang überwacht worden wäre.

Die Überwachung einer so großen Pipeline wäre jedoch unglaublich teuer gewesen. Außerdem hatte diese Idee der Kontrolle für die europäischen Geheimdienste nie Priorität. Die beste Unterwasserüberwachung in diesem Gebiet, so sagen laut der amerikanischen Zeitung Sicherheitsexperten, erfolgt durch russische Sonarsensoren entlang der Pipeline.

Da es nur geringe Beweise vom Meeresgrund gibt, kann ein Erfolg nur durch Abhörmaßnahmen der Geheimdienste und menschliche Quellen erreicht werden. Bislang haben die amerikanischen und europäischen Geheimdienste jedoch noch keine Daten veröffentlicht, die sie möglicherweise gesammelt haben.


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