In Frankreich haben landesweite Streiks gegen die Rentenreformpläne der Regierung große Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt. Der Zugverkehr kam am Donnerstag weitgehend zum Erliegen. Der öffentliche Nahverkehr war stark gestört. Laut dem Bahnbetreiber SNCF verkehrten kaum Regionalzüge und die Hochgeschwindigkeits-TGV-Linien waren deutlich ausgedünnt.
Zudem blieben viele Schulen geschlossen und Raffinerien wurden blockiert. Gewerkschaften hatten die Beschäftigten aufgerufen, die Arbeit niederzulegen und gegen die von Präsident Emmanuel Macron geplante Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters um zwei auf 64 Jahre auf die Straße zu gehen.
Zugverkehr, Raffinerien und Schulen werden bestreikt
Zahlreiche Protestkundgebungen im Land sollen der Forderung nach einer Abkehr von den unpopulären Reformplänen Nachdruck verleihen, die als ein Schlüsselprojekt in Macrons zweiter Amtszeit gilt. Die Streiks wirkten sich auch auf die Stromerzeugung aus. Daten des Versorgers EDF und des Netzbetreibers RTE zeigten, dass sie um 7,8 Gigawatt (GW) zurückging, was etwa zwölf Prozent der gesamten Stromversorgung entspricht.
Frankreich musste daher verstärkt Strom aus Großbritannien, Belgien, Deutschland, der Schweiz und Spanien importieren. Und Atomkraftwerke im Land würden wahrscheinlich hochgefahren, um die Netzstabilität tagsüber zu gewährleisten, meint Analyst Emeric de Vigan: "So funktionieren Streiks in Frankreich: Streikende dürfen die Versorgungssicherheit nicht gefährden."
Die Gewerkschaft CGT erwartet, dass sich mindestens 70 Prozent ihrer Beschäftigten im Raffineriesektor an den vier Raffineriestandorten des Konzerns TotalEnergies der Streikaktion anschließen. Es sei keine Unterbrechung der Kraftstoffversorgung an Tankstellen zu erwarten, wenn die Gewerkschaften sich an ihren Streikplan hielten, erklärte TotalEnergies.
Landesweite Proteste gegen Macrons Rentenreform
Der CGT-Raffinerie-Gewerkschaftsverband hat diese Woche zu einem einzigen Streiktag und zu weiteren Arbeitsniederlegungen nächste und übernächste Woche aufgerufen. Der Donnerstag ist laut CGT nur der Auftakt der Protestwelle, dem weitere Streiktage folgen würden.
Die Regierung verteidigt ihre Pläne damit, dass sie die Rente zukunftssicher machen wolle. „Diese Reform ist nötig und fair“, sagte Arbeitsminister Olivier Dussopt im Fernsehsender LCI. Die Gewerkschaften argumentieren, dass es andere Möglichkeiten gebe, beispielsweise Super-Reiche stärker zur Kasse zu bitten oder die Arbeitgeberbeiträge anzuheben.
Der Rückhalt in der Bevölkerung für die Protestwelle ist groß: In einer Umfrage nach Bekanntgabe der Reformpläne durch Ministerpräsidentin Elisabeth Borne hielt ein Großteil der Befragten Streiks als Protestmittel für angebracht. In Frankreich gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Versuche der Regierung, das Rentensystem zu reformieren – es ist eines der großzügigsten und teuersten in Europa.
Ob die Gewerkschaften genügend Arbeitnehmer mobilisieren können, um das Vorzeigeprojekt Macrons zu kippen, ist laut Experten eine offene Frage: „Was niemand wissen kann, und nicht einmal die Gewerkschaften wissen, ist, ob der Groll der Franzosen groß genug ist, um das Land zu blockieren“, sagte der Politologie-Professor Bruno Palier von der Pariser Hochschule Sciences Po.
Die Gewerkschaften hatten Mitte der 90er Jahre mit einer mehrwöchigen Streikwelle erfolgreich den Versuch der damaligen konservativen Regierung torpediert, das Renten- und Sozialversicherungssystem neu auszurichten. Und Ende 2019 sah sich Macron bei seinem ersten Versuch einer Rentenreform bereits mit massiven Protesten konfrontiert, bevor er angesichts der aufgekommenen Pandemiewelle die Pläne auf Eis legte.