Politik

Erdogans aggressive Außenpolitik gegen den Westen zahlt sich aus

Präsident Erdogan schreckt nicht davor zurück, die Partner im Westen vor den Kopf zu stoßen. Damit demonstriert er, welche große Macht die Türkei heute hat.
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21.01.2023 16:41
Aktualisiert: 21.01.2023 16:41
Lesezeit: 6 min
Erdogans aggressive Außenpolitik gegen den Westen zahlt sich aus
Präsident Erdogan sieht die Zukunft der Türkei nicht mehr im Westen. (Foto: dpa) Foto: Christoph Soeder

In der Türkei stehen in diesem Jahr Wahlen an und die Position von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist zum ersten Mal in seiner politischen Laufbahn wackelig. Um seine Popularität wieder zu verbessern, strebt er unter russischer Vermittlung Frieden mit Syrien an. Denn wenn die Millionen syrischer Flüchtlinge tatsächlich nach Hause zurückzukehren könnten, wäre dies ein großer politischer Erfolg für Erdogan. Zudem setzt Erdogan im Wahlkampf verstärkt auf nationalistische Rhetorik gegen Griechenland.

Am Freitag auf einer Kundgebung in Istanbul stachelte Erdogan seine Anhänger gegen den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis auf und sandte ihm wegen der langjährigen territorialer Streitigkeiten zwischen den beiden Nachbarstaaten eine weitere deutliche Warnung. "Sehen Sie, Mitsotakis, [...] wenn Sie einen Fehler machen, dann würden verrückte Türken aufmarschieren", sagte Erdogan unter dem Jubel hunderter Anhänger. Er hat sogar angedeutet, dass die Türkei in der Lage ist, Athen mit ballistischen Raketen anzugreifen.

Wahlkampf gegen den Westen

Sowohl in der Türkei als auch in Griechenland, die beide Mitglieder der Nato sind, finden in den kommenden Monaten Wahlen statt. Die jeweiligen Staatsoberhäupter sind dafür bekannt, dass sie ihre Reden nutzen, um Konflikte in der Ägäis, die die beiden Länder trennt, oder im östlichen Mittelmeer anzusprechen. Erdogan hat am Freitag erneut kritisiert, dass Griechenland seine Inseln in der Ägäis bewaffne und damit gegen internationale Vereinbarungen verstoße.

Mitsotakis hatte am Donnerstag gesagt, dass eine Lösung der Differenzen zwischen den beiden Ländern durch ein Gespräch mit Erdogan möglich sei, und dass die beiden Nachbarn nicht in den Krieg ziehen würden. Er wiederholte jedoch seine Kritik an den energiepolitischen und territorialen Ambitionen der Türkei. "Wir können zum Beispiel nicht akzeptieren, dass die Türkei eine Vereinbarung mit Libyen unterzeichnet, die Kreta jedes Recht auf Seegebiete abspricht", sagte er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. "Das sind völlig inakzeptable Voraussetzungen."

Doch der Nachbar Griechenland ist längst nicht der einzige Nato-Partner, den der türkische Präsident mit harten Worten angreift. Selbst die USA geraten in Erdogans Visier, weil sie seiner Ansicht nach den Terrorismus zu unterstützen, indem sie die PKK bewaffnen. Auch steht der Verdacht im Raum, dass die USA im Jahr 2016 am Putschversuch gegen Erdogan beteiligt waren. Und die EU hat dem türkischen Präsidenten zufolge die Beitrittsbestrebungen seines Landes zur EU nie ernst genommen und ist zu einem Zufluchtsort für Terroristen geworden.

Heute betrachtet sich die Türkei nicht mehr als Teil Europas, sondern als ein Land mit einem eigenen Schwerpunkt. Die Bedeutung des Landes ist heute so groß, dass es die Nato es sich eigentlich nicht leisten kann, die Türkei zu verlieren. Daher haben sich die westlichen Staaten vorerst damit abgefunden, dass die Türkei sich weigert, im Ukraine-Krieg Partei zu ergreifen. In Ankara hat man schon das Gefühl, stark genug zu sein, um solche alten Bündnisse zu ignorieren oder sie auf die Probe zu stellen, um neue zu schmieden und autonom zu handeln.

Kritik am Westen kommt derzeit bei fast allen türkischen Wählern gut an - ebenso wie das Ziel, die Türkei zu einer Weltmacht zu machen. Und wenn man sich den Vormarsch der Türkei in Afrika und Zentralasien in den letzten zehn Jahren anschaut, die Beliebtheit türkischer Seifenopern, den Erfolg der türkischen Fluggesellschaft und die Zahl der Länder, die Schlange stehen, um türkische Drohnen zu kaufen, dann scheint die Türkei bereits eine Weltmacht zu sein.

Niedergang des Westens eine Chance für die Türkei

Die türkische Führung betrachtet es als ein enorme Chance, dass der Westen im Niedergang begriffen ist und eine neue internationale Ordnung Gestalt annimmt, und diese Überzeugung ist zu Säule der türkischen Außenpolitik geworden, zitiert der Economist Galip Dalay vom britischen Think-Tank Chatham House. Ein Beispiel dafür ist die Annäherung der Türkei mit Russland, die derzeit auch die Verständigung mit Syrien ermöglicht, um Krieg nach mehr elf Jahren endlich zu beenden.

Das Streben der Türkei nach guten Beziehungen zu Russland ist nichts Neues. Schon Mustafa Kemal Atatürk, der Begründer und erste Präsident der modernen Türkei, bat die Sowjetunion um Hilfe in seinem Krieg gegen Griechenland. Die Sowjets gaben ihm Waffen, Geld und Militärberater. Selbst während des Kalten Krieges arbeiteten die Regierungen in Ankara mit der Sowjetunion zusammen. Russische Ingenieure bauten einige der größten Industrieanlagen der Türkei. Unter Erdogan ist die Beziehung heute stärker als je zuvor.

Die Türkei erhält mehr als 40 Prozent ihrer Gasimporte aus Russland sowie Einnahmen aus dem Tourismus im Umfang von vielen Milliarden Dollar. Zwar sind die beiden Staaten im Kaukasus und in Libyen aneinandergeraten. Doch für die Türkei sind die Beziehungen zu Russland in Syrien am wichtigsten. Die Pufferzonen, welche die Türkei im Norden Syriens eingerichtet hat, wären ohne die Zustimmung Russlands nicht möglich gewesen.

Auch der Krieg in der Ukraine hat die nicht auf Distanz gebracht. Ihre Beziehungen haben größere Prüfungen überstanden, darunter die Ermordung des russischen Botschafters in der Türkei im Jahr 2016, die beide Länder als Provokation bezeichneten. Eine weitere Prüfung war Anfang 2020, als bei einem russischen Luftangriff in Idlib 34 türkische Soldaten getötet wurden. Die Türkei schlug zurück, aber nur gegen syrische Streitkräfte, und gab Russland nie die Schuld.

Erdogans geschicktes Manövrieren im Ukraine-Krieg

Auch wegen der guten Beziehungen zu Russland sieht sich die Türkei dazu berufen, in der Ukraine als Vermittler aufzutreten. Der Westen hat sich damit abgefunden, dass die Türkei in der Ukraine keine Partei ergreift. Ein größeres Problem ist, dass Erdogan sich vor dem Hintergrund des Krieges weiter an Russland annähert. "Wir sehen Russland nicht als Bedrohung an", sagte Präsidentenberater Ibrahim Kalin. "Dass wir Nato-Mitglied sind, dass wir Teil des westlichen Bündnisses sind, hindert uns nicht daran, gute Beziehungen zu unterhalten."

In der Ukraine wird Erdogan dafür gelobt, dass er dem Land Drohnen zur Verfügung gestellt hat und dass er den Zugang zum Schwarzen Meer für russische Kriegsschiffe gesperrt hat. Aber in Moskau wird er gelobt, weil er sich weigert, die westlichen Sanktionen mitzutragen. Und im eigenen Land wird er gelobt, weil die Geschäfte mit Russland florieren. Die Exporte nach Russland erreichten im vergangenen Jahr 7,6 Milliarden Dollar. Dies war ein Anstieg um 45 Prozent gegenüber 2021.

Die Türkei ist seit jeher wichtig für die Nato. Türkische Soldaten haben sich an Einsätzen in Afghanistan, im Baltikum, in Bosnien, im Kosovo und in Mazedonien beteiligt. Im Jahr 1950, zwei Jahre vor ihrem Beitritt zum Bündnis, schickte die Türkei 15.000 Soldaten an die Seite der Amerikaner nach Korea. Die türkischen Streitkräfte sind heute nach den US-Streitkräften die zweitgrößte stehende Streitkraft in der Nato und die Nummer 13 in der Welt. Sie haben schätzungsweise 775.000 militärische und paramilitärische Angehörige.

Heute droht Erdogan damit, den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden zu blockieren, und will beide Länder zur Ausweisung von PKK-Verdächtigen und Gülenisten zwingen. Er hofft vielleicht auch, dass die Blockade den US-Kongress zu Zugeständnissen bewegen kann, dessen Mitglieder gedroht haben, den Verkauf neuer F-16-Kampfjets zu blockieren. Amerika hat der Türkei den Kauf von F-35-Tarnkappenbombern untersagt, nachdem Erdogan den Kauf eines S-400-Luftabwehrsystems aus Russland vorangetrieben hat.

Die lauwarmen Beziehungen zum Westen

Vom Krieg in der Ukraine über die Kriege in Syrien und in Berg-Karabach bis hin zu den Beziehungen zu China und den Sanktionen gegen den Iran - die Liste der Themen, bei denen die Türkei und der Westen uneins sind, ist lang. Dies zeigt sich auch in Zahlen. Im Jahr 2008 stimmte die Türkei 88 Prozent der außenpolitischen Entscheidungen und Erklärungen der EU zu. Bis 2016 war dieser Anteil auf 44 Prozent gesunken. Letztes Jahr waren es nur noch 7 Prozent.

Die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei waren schon kurz nach ihrem Beginn im Jahr 2005 zum Scheitern verurteilt. Deutschland und Frankreich scheinen eine türkische Mitgliedschaft inzwischen abzulehnen. Die Aufnahme von Zypern in die EU im Jahr 2004 und das Scheitern der Friedensgespräche zwischen der international anerkannten griechisch-zypriotischen Regierung im Süden und dem von der Türkei besetzten Norden scheinen ein unlösbares Problem zu sein. Viele Zyprioten befürchten, dass die Türkei den Norden annektieren könnte.

Die Gespräche über die Reform der Zollunion mit der EU sind ins Stocken geraten. Eine Ausweitung der Zollunion auf Landwirtschaft, Beschaffung und Dienstleistungen könnte das türkische BIP um bis zu 1,8 Prozent steigern. Doch die EU zögert zuzustimmen. Im Mittelpunkt der Beziehungen steht stattdessen ein Abkommen, in dessen Rahmen die EU der Türkei 6 Milliarden Dollar gezahlt hat, um Flüchtlinge auf ihrer Seite der Ägäis zu halten. Die Beitrittsgespräche treten seit Jahren auf der Stelle.

Die Türkei und der Westen scheinen immer weniger zueinander zu passen. Aber die Beziehungen werden vorerst weiter Bestand haben. Denn die EU ist weiterhin der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Türkei und die wichtigste Quelle für Auslandsinvestitionen, so wie Amerika der größte Waffenlieferant der Türkei ist. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, eine Gruppe asiatischer Länder unter der Führung Chinas, Indiens und Russlands, der Erdogan beizutreten gedenkt, ist zumindest vorerst nur eine Ergänzung zum Westen.

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