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Südosteuropa im Fadenkreuz fremder Mächte

Lesezeit: 9 min
11.02.2023 08:44  Aktualisiert: 11.02.2023 08:44
Im Schatten des Krieges in der Ukraine steigen auch die Spannungen im Kosovo und in Serbien. Was sind die Hintergründe für diese Entwicklung? Darüber sprachen die DWN mit Prof. Marie-Janine Calic, die u.a. am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag tätig war.
Südosteuropa im Fadenkreuz fremder Mächte
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD,r), wurde im Juni 2022 bei Regen von Albin Kurti, Ministerpräsident des Kosovo, am Amtssitz mit militärischen Ehren empfangen. (Foto: dpa)

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Im Schatten des Krieges in der Ukraine steigen auch die Spannungen im Kosovo und in Serbien. Was sind die Hintergründe für diese Entwicklung? Welche Rolle spielen die geostrategischen Interessen ausländischer Mächte in der Region? Und droht dort ein weiterer Krieg? Darüber sprachen die Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit Prof. Marie-Janine Calic, die unter anderem als politische Beraterin des Sonderkoordinators des Stabilitätspakts für Südosteuropa in Brüssel und am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag tätig war.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo, der von einer Mehrheit der EU-Staaten, nicht aber von der UNO als unabhängige Republik anerkannt wird, sind in den letzten Monaten angestiegen. Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Marie-Janine Calic: Der Krieg in der Ukraine hat zur Verschärfung bestehender Konflikte geführt. Alte Kriegstraumata wurden reaktiviert; das schürt Ängste und somit auch Spannungen. Die internationale Konstellation überträgt sich auf die Region. Brennpunkt ist die Stadt Mitrovica im Kosovo, wo viele Serben leben. Dort ist die pro-russische Propaganda sehr stark, serbische Nationalisten unterstützen die „slawischen Brüder“ in Russland. Viele sind dem russischen Präsidenten dankbar, weil er die Nato-Bombardements gegen Serbien 1999 nicht akzeptiert hat und bis heute die Aufnahme des Kosovo in die UNO blockiert. Serbien trägt auch deshalb die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mit; die Regierung des Kosovo hat sich ihnen hingegen angeschlossen.

Hinter all dem steht die Statusfrage, also ob Kosovo ein unabhängiger Staat sein darf oder nicht. Das haben außer Serbien und Russland auch viele andere Staaten nicht anerkannt, darunter 5 EU-Staaten. Serbien betrachtet Kosovo als sein Staatsgebiet, die Serben dort als serbische Staatsbürger. Der Streit um Personalpapiere und Autokennzeichen, der die jüngsten Spannungen ausgelöst hatte, steht symbolisch für die Abtrennung Kosovos von Serbien, worum es seit den neunziger Jahren geht, als Jugoslawien zerfiel. Die Regierung im Kosovo will die serbisch besiedelten Landesteile möglichst eng in ihre staatlichen Strukturen integrieren, die Serben wollen weitest gehende Autonomie für ihre Gemeinden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Lange wirkte das ehemalige Jugoslawien wie ein relatives Erfolgsmodell - bis es dann unter grausamen Bedingungen auseinanderbrach. Wie konnte es seinerzeit soweit kommen?

Marie-Janine Calic: Jugoslawien war in ethnischer, kultureller und religiöser Hinsicht ein ausgesprochen komplexes Land. Die Vielfalt erzeugte naturgemäß Konflikte um die Rechte der verschiedenen Volksgruppen im Vielvölkerstaat. Hinzu kam die regional sehr ungleiche sozialökonomische Entwicklung. Ende der achtziger Jahre war Slowenien pro Kopf der Bevölkerung etwa neun Mal so reich wie Kosovo. Es gab also ein gewaltiges Wohlstandsgefälle. Dieser Umstand hat nicht nur Unzufriedenheit geschürt, sondern auch konkrete Interessengegensätze hervorgebracht. Denn Slowenien war bereits ein Industrieland, Kosovo eher ein Agrarland. Daraus resultierten naturgemäß unterschiedliche Anforderungen an Reformen und Wirtschaftspolitik. In den achtziger Jahren, als Jugoslawien eine schwere Wirtschaftskrise durchlitt, verschärfte sich der Streit darüber, welche Verfassung und welche Politik einen gerechten Interessenausgleich bewirken könnte. Je schwieriger die Lage wurde, desto geringer war die Bereitschaft, die legitimen Anliegen der jeweils anderen anzuerkennen und sich auf Kompromisse einzulassen. So wurde Jugoslawien praktisch unregierbar. Als dann auch noch der Kommunismus, die integrative Klammer des Vielvölkerstaats, unterging, entdeckten viele Menschen die Volksgemeinschaft als neues Identitätsangebot. Damit hatte der Nationalismus ein Einfallstor. Und dann traten auch noch politische Führungen auf den Plan, die Ängste, Ablehnung und Hass schürten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Oft hört oder liest mal das Wort „Balkanisierung“ - und bringt damit Chaos, Gewalt und Rückständigkeit in Verbindung. Halten Sie den Begriff der „Balkanisierung“ für geeignet, die Zustände in Südosteuropa, und speziell im ehemaligen Jugoslawien, zu beschreiben?

Marie-Janine Calic: Die Metapher bezeichnet zerfallende innere Ordnung und Kleinstaaterei sowie, in den Worten des Journalisten Paul Scott Mowrer, „eine von verschiedenen Rassen hoffnungslos durchmischte Region“. Sie ist im 19. Jahrhundert entstanden, als die Balkanvölker gegen die Fremdherrschaft kämpften und das Osmanische Reich immer mehr Gebiete an die neu entstandenen Nationalstaaten verlor. Als Jugoslawien in den 1990er Jahren gewaltsam zerbrach, kehrten die alten Narrative und Deutungsmuster zurück. Der Begriff der „Balkanisierung“ ist nicht nur aufgrund der negativen Konnotationen fehl am Platz, er besitzt auch einen imperialistischen Subtext, weil er suggeriert, dass auswärtige Mächte dort Ordnung schaffen müssten. Dass der Balkan ein ewiger Unruheherd sei, ist jedoch historisch falsch. Die meiste Zeit haben die Menschen recht friedlich mit- und nebeneinander her gelebt. Eine bemerkenswerte Erbschaft des Osmanischen Reiche war sogar, ganz im Gegensatz zum lateinischen Westen, die friedliche Koexistenz der Religionen. Auch Christen und Juden besaßen dort gewissen Schutzrechte und Freiheiten. Vielen europäischen Juden hat dies – von der Reconquista im 15. Jh. bis zum Holocaust im 20. Jh. – das Leben gerettet. Natürlich gibt es auch in den Balkanländern wie in allen Gesellschaften Menschen, die zu besonderen Grausamkeiten fähig sind. Wer wüsste es besser als die Deutschen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihren Büchern „Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert“ und „Südosteuropa - Weltgeschichte einer Region“ beschreiben Sie welche geostrategische Bedeutung Südosteuropa für fremde Mächte, etwa Österreich- Ungarn und Russland, die beide von einer Schwächung des Osmanischen Reiches profitieren konnten, vor dem 1. Weltkrieg hatte. Wie war es damals? Und welche geostrategische Bedeutung hat die Region heute?

Marie-Janine Calic: Die Balkanhalbinsel nimmt eine bedeutende geostrategische Position zwischen Europa und Asien ein. Seit der Antike strebten fremde Mächte danach, die Region zu beherrschen, um die militärisch und ökonomisch bedeutenden Verkehrsverbindungen zu kontrollieren sowie Bodenschätze, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Arbeitskräfte auszubeuten. In der Neuzeit kreuzten sich die imperialistischen Interessen von gleich drei Imperien, nämlich die der Habsburger, Osmanen und Romanovs, den Zaren Russlands. Sie stritten um die Meerengen-Frage, also um die Kontrolle des Bosporus und - damit verbunden - des östlichen Mittelmeeres. Denn im Zuge der Industrialisierung bekamen der Zugriff auf Rohstoffe und Absatzmärkte sowie die Durchfahrtrechte für Kriegsschiffe und die Kontrolle der Handelswege in die Kolonien eine noch zentralere Bedeutung. Österreich-Ungarn und Russland versuchten seit dem 18. und besonders im 19. Jahrhundert, Einfluss auf die entstehenden Balkanstaaten zu gewinnen, um ihre Einflusssphären auszudehnen. Dabei spielte auch der Schutz der Christen im osmanischen Reich ebenso wie die panslawische Ideologie eine Rolle. Vor dem Ersten Weltkrieg, als die Mächte um die Aufteilung der Welt in Einflussgebiete rangen, wurde der Balkan zum Brennglas der internationalen Beziehungen. Wer ihn kontrollierte, gewann Macht und Einfluss in Europa und in der Welt. Die Ereignisse dort wirkten sich also immer auch auf das Verhältnis der Großmächte zueinander aus. Nur so lässt sich erklären, dass das Attentat von Sarajewo den Ersten Weltkrieg auslösen konnte.

Heute ist besitzt der Balkan für die Mächte keine vitale sicherheitspolitische Bedeutung mehr. Seine Funktion hat eher der Nahe Osten übernommen. Trotzdem wird auf dem Balkan immer noch Geopolitik betrieben, weil sich Einflussnahme dort auch auf den Wettbewerb über andere Weltregionen auswirkt, zum Beispiel im Nahen Osten. Deswegen haben in den letzten Jahren, Russland, die Türkei und die Golfstaaten, vor allem aber auch China, mit billigen Krediten, medialer Desinformation und religiöser Mission größeren Einfluss gewonnen. Die Region wurde zum Einfallstor von Interessen, die Europa beunruhigen müssen. Es wurde zum Schauplatz eines „New Great Game“, durch das die Konstellationen der künftigen multipolaren Welt neu ausgehandelt werden. Insofern kommt dem Balkan eine „geostrategischen Schlüsselbedeutung“ zu, wie es in den Dokumenten der EU heißt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Interessen haben die USA in der Region? Welche die EU?

Marie-Janine Calic: Für die USA ist die Region v.a. aus geostrategischen bzw. sicherheitspolitischen Gründen wichtig. Sie bildet eine Brücke in den Mittelmeerraum, Richtung Türkei und Nahost. Sie spielt auch eine zentrale Rolle in der Verteidigungsstrategie des Westens. Außer Griechenland und der Türkei sind mittlerweile auch Kroatien, Montenegro, Nord-Mazedonien und Albanien der NATO beigetreten. Die USA haben die Unabhängigkeit Kosovos massiv befördert, unterhalten eine große Militärbasis in Camp Bondsteel und unterstützen den Aufbau einer eigenen Armee. Amerikanische Politik liegt dabei nicht immer auf einer Linie mit der EU, zum Beispiel hat Präsident Donald Trump Serbien und Kosovo gedrängt, ihre Botschaften in Israel nach Jerusalem zu verlegen. Sofern es um Konfliktbewältigung geht, bemüht man sich aber um abgestimmtes Vorgehen.

Die EU hat schon allein aufgrund der geographischen Nähe eindeutige Sicherheits- und Stabilitätsinteressen in der Region. Der Balkan ist, wie es ein Politiker ausdrückte, der „Innenhof Europas“. Jede Krise dort droht auf einen oder mehrere Mitgliedsstaaten überzugreifen, nicht zuletzt durch die Gefahr von Flüchtlingsströmen. Abgesehen davon ist die südöstliche Halbinsel ein Transitraum der außereuropäischen Welt: grenzüberschreitende Kriminalität, Migration und hybride Bedrohungen fanden und finden ihren Weg über die Balkanroute nach Westeuropa. Allerdings hat die EU auch Werteinteressen und muss verhindern, dass in unmittelbaren Nachbarschaft Menschenrechte verletzt werden oder Kriegshandlungen stattfinden. Nicht zuletzt geht es auf dem Balkan um Fragen der europäischen Integration. Sie bliebe unvollständig, wenn die Länder der Region außen vor blieben. Alle sind mittlerweile als Kandidaten oder „potentielle“ Kandidaten anerkannt. Übrigens lebt schon jetzt jeder vierte Bürger aus den Westbalkanstaaten in der EU, insgesamt sind es etwa 4,6 Millionen Menschen. Nicht zu vergessen: die EU ist bei weitem der wichtigste Handelspartner der Länder des Westlichen Balkan.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und welche Interessen verfolgt Russland?

Marie-Janine Calic: Moskau hat die NATO-Intervention im Kosovo als Demütigung empfunden und die unilaterale Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 als Bruch des Völkerrechts gebrandmarkt. Im selben Jahr unternahm die NATO ihre Erweiterung nach Südosten, nachdem sie bereits neue Mitglieder im Baltikum und in Osteuropa aufgenommen hatte. Russland fühlt dadurch seine Sicherheitsinteressen bedroht. Es ist ein wichtiges Ziel russischer Außenpolitik zu verhindern, dass Serbien der NATO beitritt.

Russland verfolgt ansonsten heute keine vitalen Interessen auf dem Balkan, nutzt die Region aber als symbolisches Terrain, um seine Bedeutung als Großmacht zu demonstrieren. Indem Russland als „spoiler“ westlicher Strategien der Konfliktbearbeitung auftritt, nutzt es den Balkan als Bühne der Machtprojektion. Es nutzt seine Vetomacht im UN-Sicherheitsrat, um die Anerkennung Kosovos zu blockieren und die Verlängerung des Mandats des Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina zu behindern.

Über einen „grand plan“, die Region hegemonial zu beherrschen, verfügt der Kreml nicht. Und Russlands Anteil am Handel und an den Direktinvestitionen auf dem Balkan rangiert weit hinter dem der EU. Allerdings ist es der Hauptlieferant von Öl und Gas, übrigens ein Grund, weshalb sich Serbien und Bosnien-Herzegowina den internationalen Sanktionen gegen Russland bisher nicht in vollem Umfang angeschlossen haben. Die viele beschworene slawisch-orthodoxe kulturelle und historische Verbundenheit mit den Balkanslawen besitzt in diesem Zusammenhang eher propagandistische Bedeutung.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der Öffentlichkeit weniger bekannt sind womöglich die Interessen Chinas und einiger arabischer Staaten in der Region. Können Sie dazu etwas sagen? und auf welche Weise versuchen diese, ihren Einfluss in der Region auszubauen?

Marie-Janine Calic: Der dynamischste Akteur ist tatsächlich China. Im Rahmen seiner Strategie der „neuen Seidenstraße“ („One Belt, one Road“) investiert das Land Milliarden, um Verkehrswege und andere Infrastrukturprojekte auszubauen, zum Beispiel den Hafen von Piräus und den Flughafen von Tirana. Ziel ist es vor allem, Transportkorridore für chinesische Waren zu schaffen. Im Unterschied zur EU stellt China derzeit keine politischen Bedingungen für Zusammenarbeit und Kredite, weshalb es zu einem der wichtigsten Gläubigerstaaten aufstieg. Die chinesischen Kredite machten 2020 in Serbien sieben Prozent, in Nordmazedonien 7,5 Prozent und in Montenegro sogar 20,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Nicht auszuschließen ist, dass es China gelingen wird, die Westbalkanländer nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch an sich zu binden. Mit Serbien besteht seit 2009 erklärtermaßen eine strategische Partnerschaft.

Auch die Türkei betreibt eine sehr aktive Westbalkanpolitik. Sie fördert die Wiederbelebung des Islam und knüpft kulturelle Bande, auch wenn sie im wirtschaftlichen Bereich sogar noch weit hinter Russland zurückbleibt. Nichtsdestoweniger strebt sie nach Wiederbelebung früherer Großmachtrollen und Einflusssphären. So brachten konservative und islamfreundliche Politiker und Intellektuelle in den neunziger Jahren die Ideologie des Neo-Osmanismus auf. Grundidee ist eine türkische Schutzherrschaft über ehemals osmanische Gebiete im Kaukasus, im Nahen Osten und auf dem Balkan.

Abgesehen von der Türkei unterstützen auch Saudi-Arabien, Iran und andere islamische Staaten die Re-Islamisierung, um Einfluss zu gewinnen. Tatsächlich spielt die Religion mittlerweile eine viel größere Rolle im öffentlichen Leben als noch vor ein paar Jahren, wie man zum Beispiel an der zunehmenden Verschleierung der Frauen in Bosnien-Herzegowina erkennen kann. Diese Staaten konkurrieren um „die richtige“ Ausprägung des Islams und tragen auf dem Balkan ihre Stellvertreterkonflikte aus. Tatsächlich geht es ihnen eher um andere Weltregionen, besonders die Vormacht in Nahost.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was können die verschiedenen Akteure tun, um einen weiteren Krieg auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zu verhindern (so sie dies ernsthaft wollen sollten…) Welche diplomatischen Initiativen wären hilfreich? Und wie könnte dort ein dauerhafter Frieden gewährleistet werden?

Marie-Janine Calic: Ein neuer bewaffneter Konflikt ist nicht wahrscheinlich. Es gibt zwar immer wieder Spannungen, auch lokale Scharmützel, aber keine größeren Eskalationsrisiken. Keine Partei hätte Interesse an einem neuerlichen Krieg und keine hätte die militärischen Mittel dazu. Außerdem stehen ja NATO-Friedenstruppen vor Ort, die als „Stolperdraht“ wirken. Nicht zuletzt: die EU-Beitrittsperspektive hat pazifizierend gewirkt. Alle Staaten der Region streben die Vollmitgliedschaft an – da kann man nicht mit Nachbarn Kriege führen. Es ist also wichtig, dass das Beitrittsversprechen der EU nicht nur auf dem Papier stehen bleibt, sondern dass die Annäherung auch greifbare Fortschritte macht.

Was Kosovo angeht: Brüssel hat bereits 2011 einen Dialogprozess angestoßen, um das Verhältnis mit Serbien zu normalisieren, indem erst einmal bestimmte „technische“ Fragen geklärt wurden. Nachdem es längere Zeit nicht mehr voran ging, liegt jetzt ein deutsch-französischer Vorschlag auf dem Tisch. Er orientiert sich am Grundlagenvertrag zwischen der Bunderepublik Deutschland und DDR 1972 im Rahmen der Ostpolitik. Er läuft auf eine de facto Anerkennung Kosovos hinaus, also im staatsrechtlichen, nicht völkerrechtlichen Sinn. Beide Länder sollen wechselseitig die Unverletzlichkeit von Grenzen und die territoriale Integrität anerkennen sowie geordnete diplomatische Beziehungen zueinander aufnehmen. Für diesen wie jeden anderen Vorschlag gilt: sobald der politische Wille vorhanden ist, könnte schnell eine Lösung gefunden werden. Leider sind aber in beiden Ländern nationalistische Führungen an der Macht, die den Konflikt zur populistischen Mobilisierung im eigenen Land nutzen. Trotzdem: der langjährige Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien zeigt, dass es durchaus möglich ist, auch sehr langwierige Konflikte beizulegen. 2018 fanden die beiden einen Kompromiss, Mazedonien hat sich in Nord-Mazedonien umbenannt.

Info zur Person: Marie-Janine Calic ist Professorin für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie war als Politische Beraterin des Sonderkoordinators des Stabilitätspakts für Südosteuropa in Brüssel sowie in der UNPROFOR-Zentrale in Zagreb und am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag tätig. Ihre Publikationen umfassen unter anderem die Monographien „Südosteuropa. Weltgeschichte einer Region (Verlag C.H.Beck, München 2016; 2. Auflage, 2019), „Geschichte Jugoslawiens“ (Verlag C.H.Beck, München 2022) und „Tito. Der ewige Partisan“ (Verlag C.H.Beck, München 2020).


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